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Mal gewünscht, er könnte auch sterben, doch jetzt… jetzt war plötzlich alles anders. Er wollte leben…

      Dr. Parker hörte, wie jemand an das Seitenfenster seines Wagens hämmerte, doch er schaffte es nicht, sich zu bewegen. Die Schmerzen waren so schlimm, daß es ihm beinahe den Atem nahm. Röchelnd rang er nach Luft, er fühlte den Blutgeschmack auf der Zunge und hatte das untrügliche Gefühl, das sei jetzt das Ende.

      Kraftlos sanken seine Arme herab, es wurde dunkel um ihn, und dann hörten die Schmerzen endlich auf…

      *

      »Herr Doktor!« rief Nachtschwester Irmgard aufgeregt. »Ein schrecklicher Unfall kurz vor Steinhausen! Von einem Sattelschlepper sind Baumstämme auf ein Auto gefallen.«

      »Oh, nein«, knurrte Stefan, dann eilte er im Laufschritt zum Krankenwagen hinaus. »Komm, Karina, vielleicht brauche ich dich.«

      »Die Gefahr, daß es während Marios Abwesenheit zu einem Notfall kommt, ist nicht sehr wahrscheinlich«, erinnerte Karina nicht ohne Sarkasmus, während sie zu Stefan in den Krankenwagen sprang. »Das war ein Irrtum, Bruderherz.«

      »Wenn er wirklich nur eine Viertelstunde bei Papa geblieben wäre, dann wäre er jetzt längst wieder da«, entgegnete Stefan, schaltete Blaulicht und Martinshorn ein und jagte los, so schnell es die schneebedeckten Straßen erlaubten.

      Die Fahrt zur Unfallstelle war kurz, doch das Bild, das sich den Geschwistern bot, dafür um so grauenvoller. Das Auto war halb unter tonnenschweren, vereisten Baumstämmen begraben, und Polizei und Feuerwehr bemühten sich darum, die Tür aufzustemmen.

      »Er bewegt sich nicht!« stieß der Fahrer des Sattelschleppers hervor, dann strich er mit einer fahrigen Handbewegung über sein Gesicht. »Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte. Die Stämme waren doch festgezurrt… dreimal habe ich es noch überprüft…«

      Karina hörte nicht mehr zu, denn in diesem Moment fiel ihr Blick auf das abgerissene Nummernschild, das unter einem der Baumstämme hervorschaute. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken.

      »Das ist Jeffs Auto!« Ihre Stimme überschlug sich beinahe. »O mein Gott, das ist…«

      Inzwischen hatte Stefan bereits die fahrbare Trage aus dem Krankenwagen geholt.

      »Karina, du verständigst über Funk sofort die Klinik«, befahl er. »Wir brauchen das gesamte Team. Schwester Irmgard soll außerdem versuchen, Teirich herbeizuschaffen. So, wie das Auto aussieht, könnte ein Neurochirurg nötig sein.«

      Jetzt endlich war es den Feuerwehrmännern gelungen, die Tür aufzustemmen und Dr. Parker, der zwischen Fahrersitz und Lenkrad eingeklemmt war, zu befreien. Vorsichtig wurde er auf die fahrbare Trage gelegt, und Stefan verschaffte sich einen ersten Überblick über die Verletzungen.

      Karina eilte sofort herbei. Aus weitaufgerissenen Augen starrte sie auf das wächserne Gesicht des Mannes, von dem sie behauptet hatte, ihn zu hassen, dabei sprach ihr Herz doch etwas völlig anderes. Mit einem leisen Aufschluchzen sank sie auf die Knie und berührte Dr. Parkers Gesicht, dann zuckte sie erschrocken zurück.

      »Stefan, er atmet nicht mehr!« stieß sie hervor.

      Der junge Arzt murmelte etwas Unverständliches, dann warf er Karina einen kurzen Blick zu. »Du mußt intubieren.«

      Entsetzt starrte sie ihren Bruder an. »Das kann ich nicht!«

      »Doch!« erwiderte Stefan ziemlich energisch. »Jeff hat es dir beigebracht. Los, Karina, diesmal geht es wirklich um Leben und Tod, und ich kann dir jetzt nicht helfen. Ich muß an der Femoralis einen Druckverband anlegen, sonst verblutet er.«

      Mit zitternden Händen griff Karina nach dem Laryngoskop und führte es vorsichtig ein, um die Stimmbändern zu prüfen, dann schob sie den Tubus durch seinen Mund in die Luftröhre. Ein kurzer Blick zu Stefan zeigte ihr, daß er keine Zeit haben würde, um zu überprüfen, ob sie richtig gearbeitet hatte.

      Er liegt nicht in der Speiseröhre, versuchte sich Karina einzureden, doch ein Rest des Zweifels blieb zurück. Sie hatte schon so oft falsch intubiert. Jeffs Stimme klang ihr noch in den Ohren.

      »Davon solltest du dich aber besser überzeugen, bevor deinem Patienten der Magen platzt.«

      Doch Jeffs Magen platzte nicht. Sein Brustkorb hob und senkte sich im Rhythmus der künstlichen Beatmung.

      »Okay!« rief Stefan in diesem Moment und sprang auf. »Jetzt ab in die Klinik, aber schnell.«

      Er und Karina schoben die Trage zum Krankenwagen und hoben sie hinein.

      »Du fährst«, befahl Stefan, während er zu Dr. Parker in den rückwärtigen Teil des Wagens stieg.

      Karina schlug die Türen zu, dann setzte sie sich ans Steuer, schaltete das Martinshorn wieder ein und fuhr wie in Trance zur Klinik. Dabei wurde sie nur von einem einzigen Gedanken beherrscht: Jeff darf nicht sterben!

      *

      Nicole Kortenhagen war mehr als erstaunt gewesen, als Dr. Daniel an diesem Abend noch einmal an die Tür des Gästezimmers klopfte, das sie hier in der Villa bewohnte.

      »Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt aber…« Er zögerte einen Moment. »Ich habe gerade Besuch bekommen.«

      »Besuch?« wiederholte Nicole überrascht, dann dämmerte es ihr. »Mario.« Heftig schüttelte sie den Kopf. »Ich will ihn nicht sehen.« Dabei zog es sie mit jeder Faser ihres Herzens zu dem geliebten Mann hin.

      »Nicole, ich will dich wirklich nicht beeinflussen«, entgegnete Dr. Daniel und setzte sich dabei auf die Bettkante, dann griff er nach der Hand der jungen Frau. »Mario ist ziemlich niedergeschlagen. Er versteht nicht, weshalb du so plötzlich aus seinem Leben verschwunden bist, und ich muß gestehen – ich glaube ihm. Vielleicht solltest du ihm eine Chance geben, alles aus seiner Sicht zu schildern.«

      Nicole kämpfte mit sich, dann siegte die Sehnsucht in ihrem Herzen doch. »Also schön, ich spreche mit ihm. Aber nur, wenn Sie dabei sind. Sie können ihm in die Augen sehen, und in den Augen steht die Wahrheit geschrieben.«

      Dr. Daniel war nicht ganz dieser Meinung. »Ich glaube nicht, daß du mich brauchen wirst. Die Wahrheit liegt auch in der Stimme, und diese feinen Nuancen hörst du viel besser heraus als ich.«

      Nicole atmete tief durch. »Möglich.« Sie schwieg kurz, dann bat sie leise: »Bleiben Sie bitte bei mir… wenigstens am Anfang des Gesprächs.«

      »Solange du es willst, Nicole«, sagte Dr. Daniel zu, doch er rechnete schon jetzt damit, daß die jungen Leute ihn nicht allzulange brauchen würden.

      Er verließ das Zimmer und wartete draußen, bis sich Nicole angekleidet hatte. Dann begleitete er sie in seine Praxis. Bei ihrem Eintreten sprang Mario auf.

      »Niki!«

      Die Zärtlichkeit, die in diesem einen Wort lag, ließ Nicole vibrieren, doch dann kehrte die Erinnerung an das zurück, was Fiona gesagt hatte, und sie wich unwillkürlich vor ihm zurück.

      »Sag mir die Wahrheit, Mario«, verlangte sie. »War es nur Mitleid, das dich zu mir geführt hat?«

      »Nein, Niki«, wehrte Mario entschieden ab. »Ich schwöre dir, es war kein Mitleid! Wie kommst du nur auf so einen Gedanken?«

      Nicole lauschte den Worten nach und spürte, daß Mario die Wahrheit sagte.

      »Ich hatte Besuch«, erwiderte sie. »Eine Frau war bei mir und hat mir schreckliche Dinge erzählt.«

      Im selben Moment wußte Mario Bescheid. »Fiona.« Grenzenloser Zorn stieg in ihm auf. »Dieses Biest!« Und dann konnte er sich nicht länger zurückhalten. Mit einem Schritt stand er vor Nicole, nahm sie zärtlich in die Arme und drückte sie an sich. »Sie hat gelogen, Niki. Das mußt du mir glauben. Fiona und ich… wir… wir waren eine Weile zusammen, doch es war bereits zu Ende, bevor ich dich kennenlernte.«

      »Sie sagte, du würdest sie lieben.« Es fiel Nicole schwer, die Gemeinheiten der fremden Frau zu wiederholen, und nur die Gewißheit,

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