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dann umarmte er Siegfried, drückte den anderen, auch den beiden Knechten, die Hand zum Abschied und kletterte, während Klinkhard, Nothnagel und Schatte die Kette straff hielten, über den Rand des Absturzes hinaus.

      Die fünf Zurückbleibenden überlief ein kalter Schauer, als sie ihren geliebten Herren auf diesem furchtbaren Wege in der Dunkelheit verschwinden sahen. Keiner sprach ein Wort; sie hörten, wie er mit den eisenbeschuhten Füßen gegen den Felsen trat und dann und wann ein paar losgelöste Brocken in die Tiefe rollten. Bald aber erstarb das Geräusch; nur die Kette, die sie langsam, Zoll um Zoll, nachließen, klirrte und scharrte leise über das Gestein, und auch dieser Ton verstummte, als die Kette zu Ende war und nun auch das daran geknüpfte Tau immer weiter und weiter hinabglitt.

      Eine bange Viertelstunde verging in der steten Sorge, ob Tau und Kette auch halten und tief genug hinablangen würden. Plötzlich fühlte sie, daß kein Gewicht mehr daran hing. War die Kette zerrissen? oder in einer Felsspalte eingeklemmt? war der Graf abgestürzt? oder hatte er den Boden erreicht? Sie warteten eine Weile und zogen dann vorsichtig an. Die Kette war frei und gab nach, und als sie das Ende wieder oben hatten, fanden sie das Seil, das der Graf um den Leib gehabt hatte, um das Querholz gewickelt; er war also lebend und gerettet unten angekommen, das grausige Wagestück war gelungen.

      Erleichterten Herzens verließen die Fünf den Ort der heldenmütigen Tat ihres Herren, und Bock übernahm die Wache für ihn.

      Siegfried war am Morgen wieder früh bei Wege, erfüllt von dem stolzen Gefühl, Odas Beschützer und Befehlshaber der großen, im Kriegszustande befindlichen Burg zu sein. Er beauftragte Bock, den Reisigen und Knechten mitzuteilen, daß, wie und zu welchem Zwecke Albrecht den Regenstein verlassen hatte, damit sie in der Hoffnung auf baldigen Entsatz ihren Dienst desto freudiger täten. Noch in der Nacht hatte er lange überlegt, wie er sich damit gegen Oda verhalten sollt. Bei ihrer beständigen Furcht vor den Gefahren, denen sich die Brüder ihretwegen aussetzten, und ihrem selbstquälerischen Gram darüber, als hätte sie allein diese Gefahren heraufbeschworen und verschuldet, durfte er ihr ein so mit dem Leben spielendes Wagnis, wie Albrechts Fahrt den Felsen hinab, auch jetzt noch, nachdem es geglückt, nur in der vorsichtigsten Weise beibringen, wenn er ihr nicht einen Todesschrecken einjagen wollte.

      Den ersten Morgenimbiß genossen Albrecht und Siegfried während der Belagerung nicht zu bestimmter Stunde, sondern wann jeder Zeit hatte, so daß Oda bei ihrem Frühmahl oft allein blieb. So hatte sie es auch heute schon beendet, als Siegfried zu ihr in die Halle trat.

      Gleich frug sie ihn: »Hat Graf Albrecht in der Nachtwache mit Euch oder dem Ritter Bock getauscht?«

      »Wieso?« entgegnete Siegfried.

      »Es war nicht sein Schritt, den ich diese Nacht über den Burghof schallen hörte,« behauptete sie.

      »Kennt Ihr Albrechts Schritt denn so genau?« frug er erstaunt.

      Gern hätte sie gesagt: ja, ganz genau! aber damit hätte sie zuviel verraten; so wußte sie nicht, was sie darauf erwidern sollte.

      »Ihr habt recht gehört,« fuhr Siegfried fort, als sie nicht antwortete. »Bock hat diese Nacht die Wache getan.«

      »Warum das?« frug sie wieder, »Euer Bruder war doch an der Reihe. Ist Graf Albrecht nicht wohl? wo ist er?«

      Wo ist er? Dieser einfachen, schnurgeraden Frage gegenüber kam er in große Verlegenheit. Was sollte er nun sagen? Sie wartete auf Antwort.

      »Albrecht ist – fort,« kam es unsicher und zögernd heraus.

      »Fort?!«

      »Ja, – er ist fort vom Regenstein.« Siegfried war überzeugt, daß er das mit dem dümmsten Gesichte sagte, das er je in seinem Leben gemacht hatte.

      Oda schwieg und blickte ihn grübelnd an, als hätte er in fremder Sprache zu ihr geredet und sie ihn nicht recht verstanden. Plötzlich verwandelten sich ihre Züge zu dem Ausdruck des Entsetzens, und überstürzt frug sie: »Hat es in der Nacht einen Kampf gegeben? hat sich der Graf allein hinausgewagt? ist er gefangen?«

      »Nein,« erwiderte Siegfried, »er hat sich durchgeschlichen, um Hilfe zu holen.«

      »Sich durchgeschlichen? mitten durch die Feinde?« sprach sie ungläubig und fügte erregt hinzu: »Graf Siegfried, Ihr verbergt mir etwas. Sagt alles auf einmal! was ist geschehen? wo ist Graf Albrecht?«

      Siegfried fühlte sich angesichts dieser plötzlich auflodernden Heftigkeit Odas und ihrer zitternden Angst um Albrecht von einer seltsamen Beklemmung ergriffen, und eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf.

      »Nicht durch die Feinde ist Albrecht gegangen, sondern den Felsen hinab,« sprach er sehr ernst, indem er Oda mit schnell tagender Erkenntnis unverwandt ansah.

      »Den Felsen? wo? welchen Felsen? – welchen Felsen, Graf Siegfried!?«

      »Da oben am Absturz, wo er am steilsten –«

      Sie sprang auf ihn los, packte ihn am Arme und rüttelte und schüttelte ihn mit einer rasenden Kraft. »Da?! da hinab? hinabgestürzt? zerschmettert und tot? tot? Die Wahrheit, Graf Siegfried! o mein Gott, mein Gott!« Aus stürmender, keuchender Brust schrie sie die Worte; ihre Augen traten aus den Höhlen, ihre Lippen zuckten; dann schlug sie die Hände vor das Gesicht, in ihrer Verzweiflung nicht wissend, was sie tat und sagte.

      Bleich und starr, mit einem Blicke, in dem Licht und Leben erloschen schien, stand Siegfried vor ihr, mitten ins Herz getroffen, und sprach matt und leise: »Seid ohne Sorge, Gräfin Oda! Albrecht lebt. Wir haben ihn sanft und sicher hinabgelassen. In drei Tagen kommt er mit einem Heere zurück und wird als Sieger durch das Burgtor reiten. Und dann« – die Stimme sank immer mehr zu einem Flüsterton hinab – »dann, Gräfin Oda, dann werd' ich ihm sagen, daß Ihr ihn liebt.«

      »Das werdet Ihr nicht tun!« rief sie glühend und bebend. »Euer Ritterwort, daß Ihr es nicht tut! Wenn Ihr es ihm aber dennoch sagt, es ihn nur ahnen laßt, so springe ich den Felsen hinab da, wo Graf Albrecht hinunterstieg! Ich schwöre es Euch beim Haupte Eures Bruders!«

      Kaum hielt sie sich noch aufrecht. Endlich, endlich war das, was sie so lange im übervollen Herzen zurückgedrängt und unter einer ruhigen, sich stets gleichbleibenden Freundlichkeit mühsam verborgen gehalten hatte, mit einer Gewalt, die stärker war, als sie selbst, einmal hervorgebrochen, hatte sie in heißer Leidenschaft mit fortgerissen und Siegfrieds holden Blütentraum mit einem Schlage vernichtet. Sie sah, wie all sein Glück in Trümmern vor ihm lag, und er jammerte sie im Grunde der Seele. Aber sie hatte keine Worte mehr. Erschöpft, wie nach einer übermenschlichen Anstrengung, wankte sie mit einem Blicke herzinnigen Mitleids, den er nicht sah, an ihm vorbei und aus dem Saale hinaus.

      Siegfried sank auf einen Schemel am Tische, verhüllte das Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich.

      Dreiundzwanzigstes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Es waren vier schwere Tage, für Siegfried sowohl wie für Oda, die ihnen bis zu Albrechts sehnlichst erwarteter Rückkehr langsam dahinschlichen. Wenn sie sich auch beide einer ruhigen und ernsten Freundlichkeit zueinander befleißigten und den zwischen ihnen stattgefundenen leidenschaftlichen Auftritt mit keinem Worte berührten, so war doch diese Zeit, namentlich für Oda, außerordentlich peinlich und machte ihr den großen Abstand recht fühlbar, wenn sie dieselbe mit dem heimlichen Glück jener Tage verglich, die sie in Siegfrieds Abwesenheit mit Albrecht allein verlebt hatte. Siegfried bat sie gleich am ersten Mittag um Erlaubnis, den Ritter Bock, weil er jetzt einen so beschwerlichen Dienst hätte, an ihrem Mahle teilnehmen zu lassen, was sie, seine Absicht verstehend, um so lieber gewährte, als er damit auch ihrem Wunsche, ein Beisammensein unter vier Augen möglichst zu vermeiden, entgegenkam.

      Bock führte die Unterhaltung bei Tische fast ganz allein, und da er Siegfrieds und Odas Befangenheit für Sorge um Albrecht hielt, so suchte er sie ihnen auszureden, indem er ihnen die Zeit vorrechnete, die derselbe zur Aufbringung genügender Streitkräfte und zum Anmarsch

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