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hockte neben einem zerbrochenen Tisch. Eine Schrotflinte lag darunter. Sie war fast entzweigerissen worden – die Läufe waren zu einem U gebogen. Lauters schnüffelte an ihnen und sah in die Gewehrkammer. »Nate hat zwei Schüsse abgeben können, bevor es ihn erwischt hat. Und was«, fragte er spitz, »bleibt von Schrotkugeln unversehrt?«

      »Was auch immer diese Spuren hinterlassen hat«, warf Perry ein.

      Lauters war sofort neben ihm. Auf dem Boden war eine Spur ins Mehl gedrückt, etwas undeutlich, aber definitiv die riesige Fährte eines unbekannten Tieres. »Was, in Jesus' Namen, hat solche Pfoten?«

      Perry schüttelte nur den Kopf. »Jedenfalls kein Mensch. So viel wissen wir.«

      Der Abdruck war über sechzig Zentimeter lang, vielleicht zwei Dutzend Zentimeter breit. Lang, fast stromlinienförmig – was es auch gewesen sein mochte, besaß vorne drei lange Zehen oder Krallen und hinten eine kürzere, dickere Kralle.

      »Sieht fast wie von einem Hahn aus«, sagte Lauters.

      »Das hat kein Vogel hier hinterlassen«, berichtigte ihn Perry schnell.

      »Herrgott noch mal, Doc. Die Spur eines Giganten.«

      Perry stöhnte und bückte sich.

      »Sie sollten sich mal einen Termin für Ihren Rücken holen«, witzelte der Sheriff aus Gewohnheit, aber seine Stimme klang humorlos.

      Perry ignorierte ihn. Er grub weiter in dem Trümmerfeld herum. Seine Finger fanden einen Eisenring. »Erdkeller.«

      Mit Lauters Hilfe zog er und warf die Falltür auf. Der Keller war ein anderthalb Meter tiefes Loch mit Erdwänden, die rechteckig angelegt waren. Auf dem gefrorenen Matsch, aus dem der Boden bestand, lagen die Überreste von Nate Segaris.

      »Scheiße«, murmelte Lauters.

      Segaris sah übel aus. Sein Bauch klaffte offen und die Organe waren herausgerissen worden, sein Körper hohl wie eine Trommel. Seine Arme waren an verschiedenen Stellen gebrochen, zertrümmert und voller Bissspuren. An seiner linken Hand fehlten die Finger, abgesehen von dem schrecklichen Daumenstummel. Sein rechtes Bein war unter dem Knie abgehackt worden, wo die weiße Rundung der Gelenkknorpel dem Unterschenkel nachtrauerte.

      Lauters fluchte unhörbar und ließ sich in den Keller hinab. Er danke Gott, dass es November war. Wenn es Sommer gewesen wäre … an den Gestank und die Fliegen wollte er lieber nicht denken.

      »Es muss ihn getötet und da runtergeworfen haben«, überlegte Perry.

      »Ach wirklich, Doc?«

      Dem Sheriff war nicht nach Perrys schwachsinnigem Ratespiel. In letzter Zeit war ihm nach gar nichts mehr. Er sah sich suchend um, konnte die fehlenden Gliedmaßen des Mannes aber nirgendwo entdecken.

      Über ihm starrte Perry auf die Überreste von Segaris' Gesicht hinunter.

      Das linke Auge fehlte, wie auch das meiste Fleisch darum. Das andere Auge jedoch stand weit offen und starrte anklagend ins Leere. Sein Mund war mitten in einem Schrei offen stehengeblieben. Seine Schädeldecke war aufgebissen worden; selbst aus fast zwei Metern Entfernung konnte Perry die Zahnspuren im Schädel erkennen. Das Gehirn war herausgeschabt worden. Anscheinend waren die grauen Spritzer in der Ecke alles, was davon übrig war.

      Lauters sah mit flehenden Augen hoch. »Gott, hilf uns«, brachte er hervor.

      »Ich hoffe, dass Gott uns helfen kann, Sheriff; ich hoffe das wirklich«, meinte Perry. »Aber falls er's nicht kann, sollten wir besser überlegen, wie wir uns selbst helfen können.«

      Grummelnd zog sich Lauters aus dem Erdkeller hoch, ohne Perrys ausgestreckte Hand zu beachten. Er richtete sich auf und klopfte seine Kleidung ab.

      »Es wäre interessant, die Reihenfolge der Ereignisse zu wissen«, grübelte Perry. »Was sich wann zugetragen hat.«

      Lauters schaute ihn mit seinen wässrig grauen Augen finster an. »Und was zum Teufel würde das nützen? Ein Mann ist tot. Ermordet. Halb aufgefressen, um Gottes willen!«

      Geduldig nickte Perry. Er strich sich eine seidige Strähne weißen Haares von der Stirn. »Worauf ich hinaus will, Bill – wenn wir ein paar Dinge wüssten, würde es uns helfen, unseren Killer besser zu verstehen.«

      »Wenn wir was wüssten, zum Beispiel?«

      »Also, zuerst würde ich gern wissen, ob Segaris getötet wurde, bevor hier alles auseinandergenommen wurde oder hinterher. Wenn es hinterher war … na, dann haben wir es mit hassgetriebener, gewollter Zerstörung zu tun – einem Racheakt. Was wohl kaum typisches Tierverhalten ist.«

      Lauters schüttelte den Kopf. »Sie interpretieren zu viel in die Dinge hinein.«

      »Und Sie«, sagte Perry, »zu wenig.«

      Lauters ignorierte ihn. »Machen wir uns auf den Weg zurück in die Stadt. Wir müssen sehen, dass Spence mit seinem Wagen kommt, um die Leiche wegzubringen.«

      »Mit seinem Wagen?«, fragte Perry. »Tut mir leid, dass ich Ihnen das sagen muss, Bill, aber Spence ist eine Frau.«

      »Das denken Sie.« Lauters seufzte und nippte an einem Flachmann. »Je schneller wir die Leiche unter die Erde bringen, desto schneller werden die Leute aufhören, sich den Kopf drüber zu zerbrechen.«

      Perry folgte ihm nach draußen und stieg auf sein Pferd.

      »Tja«, sagte der Sheriff, leerte seinen Flachmann und verstaute ihn in der Satteltasche, »ich sehe Ärger auf uns zukommen, Doc.«

      Perry erwiderte nichts. Doch seine Augen suchten die Berge nach einer Antwort ab. Es gab keine. Nur den Wind und die Kälte.

      Kapitel 17

      Später, als er vor seiner Bürotür stand und der relativen Stille eines Sonntagabends lauschte, trank Lauters noch mehr. Er spürte nicht einmal die Kälte, die von den Bergen herunterstrich. Vor seinem inneren Auge sah er nichts als Blut, Tod und die Vorahnung von noch mehr Sterben.

      An diesem Abend war es fast friedlich in Wolf Creek.

      Die Ranchhelfer waren daheim geblieben und die Minenarbeiter in den Silbercamps. Kaum jemand ging vor die Tür. Es mochte wegen der kalten Temperaturen oder dem umherwehenden Schnee sein. Doch vielleicht lag es an etwas anderem. An etwas, das zum Fressen Menschen tötete. Vielleicht war es das, was die Menschen hinter verschlossen Türen hielt.

      Lauters trank wieder von seinem silbernen Flachmann.

      Selbst die alten Blackfoot-Bettler waren nirgendwo zu sehen. Bei genauerer Überlegung fiel ihm auf, dass er schon seit einer ganzen Weile keine Indianer mehr gesehen hatte. Seit die Morde angefangen hatten, so schien es. Dieser Gedanke ließ die Flasche vor seinen Lippen innehalten.

      Lohnt es sich, an diesen Gedanken Zeit zu verschwenden?, fragte er sich. Konnten die Indianer mit den Morden etwas zu tun haben? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Blackfoot der Gegend hielten sich meistens vom Ort fern, da sie von vielen Einwohnern ständig ohne Grund belästigt wurden. Und wenn ein schweres Verbrechen wie ein Mord oder ein Überfall passierte, zeigten sie sich nirgends – denn falls es einen Sündenbock geben musste, kam ein Indianer immer gerade richtig.

      Dieser Gedanke erinnerte den Sheriff daran, wie der eine Blackfoot gehängt worden war.

      Red Elk hatte er geheißen und war im Zusammenhang mit der Vergewaltigung und dem Mord an einem weißen Mädchen namens Carpenter festgenommen worden. Das Mädchen hatte keinerlei Familie gehabt. Sie war neu in Wolf Creek gewesen. Red Elk hatte sie angeblich eines Abends in dem Kurzwarenladen überrascht, in dem sie arbeitete, sich auf sie gezwungen und ihr dann die Kehle durchgeschnitten.

      Der Lynchmob tauchte in der zweiten Nacht auf, die er im Gefängnis saß. Alle trugen schwarze Kapuzen, in welche Schlitze für die Augen und den Mund hineingeschnitten waren. Neun von ihnen brachen ins Gefängnis ein.

      »Wir wollen die Rothaut«, hatte der

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