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bekam? Es hatte kein bestimmtes Datum für Longtrees Eintreffen gegeben. Statt am heutigen Tage hätte er ebenso gut nächste Woche oder nächsten Monat kommen können.

      Longtree lehnte sich im entspannenden, dampfenden Wasser zurück und grübelte. Seine Gedanken jagten einander.

      Es bestand auch die Möglichkeit, dass Rivers persönlich gekommen war, um ihm mitzuteilen, dass seine Ernennung zum Marshal rückgängig gemacht worden war. Anderen war das bereits passiert. Doch es schien unwahrscheinlich. Longtree gehörte dem Marshal Service seit 1870 an und in der Zeit waren ihm von den Dutzenden von Männern, die er gejagt hatte, nur wenige entkommen. Seine Leistungen waren beeindruckend. Wenn ihm gekündigt wurde, dann konnte es zumindest nicht an der Ausführung seiner Arbeit liegen.

      Und das Trinken? Konnte es daran liegen?

      Auch unwahrscheinlich.

      In letzter Zeit hatte er sich nicht viel Alkohol erlaubt. Und wenn, dann nur, wenn er nicht hinter jemandem her war. In der letzten Zeit hatte er keine Zeit zum Trinken gehabt. Ein Einsatz war dem nächsten gefolgt, ohne dass dazwischen freie Tage gewesen wären. Zuvor hatte es immer an der Langeweile gelegen …

      Nein, Rivers Erscheinen hier konnte damit nichts zu tun haben.

      Den Grund dafür konnte Longtree jedoch nicht erraten.

      Auf einmal wurde ihm bewusst, dass das Wasser kalt geworden war und dass jemand heftig an die Tür klopfte.

      »Komme schon«, murmelte er.

      Kapitel 12

      »Lassen Sie mich raten«, sagte Longtree. »Ich bin gefeuert.«

      »Natürlich nicht, Joe«, sagte Tom Rivers und ließ sich auf einen Stuhl vor dem Feuer sinken. Er wärmte sich die Hände. »Ganz im Gegenteil, wir brauchen Sie jetzt mehr denn je.«

      Longtree, der nur lange rote Unterwäsche trug, strich sich die schulterlangen Haare zurück und band sie sich mit einem Lederband zusammen. Er lehnte sich auf dem Bett zurück.

      »Erzählen Sie mir von Ihrer Expedition mit Colonel Smith«, wechselte er das Thema.

      Rivers grinste und strich sich über den Schnurrbart. Er war ein dünner, muskulöser Mann. Falten durchzogen sein Gesicht und gruben Schatten hinein. Seine Augen waren nebelgrün wie Teiche. Er war kein autoritärer Mensch und die meisten mochten ihn sofort. Das Gerücht ging um, dass er vor langen Jahren, als er ein Marshal im Indian Territory gewesen war, allein mit seinem Charme viele weiße und rote Outlaws dazu gebracht hatte, ihre Waffen abzulegen. Er war von Natur aus ein Diplomat. Andere Menschen schienen ihm einfach Gutes tun zu wollen.

      »Wir haben rein gar nichts gesehen«, gab er zu. »Ganz und gar nichts. Die einzigen Indianer, denen wir begegnet sind, waren geschlagen und bemitleidenswert, halb verhungert.« Er schüttelte den Kopf. »Für die Sioux hatte ich noch nie viel übrig. Das wissen Sie ja. Die Shoshone oder Pawnee oder Flathead sind mir wesentlich lieber. Aber zu sehen, was nun von ihnen übrig ist … es ist traurig, mit anzusehen, wie einst so stolze Stämme jetzt um ein paar Krümel Brot betteln.«

      Longtree rollte sich eine Zigarette. »Die Büffel sind fast vollständig verschwunden und damit auch die Prärieindianer. Ich glaube, wir sehen dem Tod eines gesamten Volks entgegen.«

      »Ich muss zugeben, dass mich das ein wenig schmerzt«, sagte Rivers.

      Longtree zündete seine Zigarette an. »Ich halte nichts von den Dakota.« Das war ein Fakt, der nicht weiter erläutert werden musste. Longtree war ein Scout der Armee gewesen und hatte in den Sechzigern gegen die Sioux, Cheyenne und Comanche gekämpft. Gegen die der Sioux-Nation angehörigen Stämme hatte er nicht nur wegen ihrer Feldzüge einen Hass entwickelt, sondern auch wegen ihrer Brutalität und des rücksichtslosen Tötens anderer Indianer. »Trotzdem ist es eine Schande, das zu sehen. Wenn es keine Büffel mehr gibt … tja, dann wird es mit ihnen auch nicht mehr lange weitergehen.«

      »Ich befürchte, das war der Plan, Joe.«

      Longtree nickte. Er wusste, dass eine Gruppe texanischer Parlamentsmitglieder 1874 einen Gesetzesvorschlag ausgearbeitet hatte, der das Abschlachten der Büffelherden eingedämmt hätte. Es hätte Beschränkungen gegeben, wie viele Tiere pro Tag von einem Jäger erschossen und wo sie gejagt werden durften. Es hatte vernünftig geklungen. Aber die Armee erhob Einspruch. Je eher es keine Büffel mehr gab, so wurde argumentiert, desto schneller wären die Prärieindianer besiegt. Das war logisch gedacht und zur Zeit der Indianerkriege stellte sich kaum jemand gegen das Argument. Der Armee war es so gut wie unmöglich gewesen, die schnell umherziehenden, nomadischen Stämme der Prärie einzukreisen und zu besiegen – die Blackfoot, Sioux, Cheyenne usw., aber wenn die Büffelzahlen erst einmal dezimiert waren, würden diese Völker nicht mehr in der Lage sein, sich zu ernähren, hätten keine Kleidung und auch keine Zelte mehr. Ohne Rohstoffe kann eine Armee nicht existieren.

      Es war logisch gedacht, wenn auch etwas grausam.

      Doch es hatte funktioniert.

      »Ein paar einzelne Stämme muss es da aber noch irgendwo geben«, sagte Rivers. »Es wird wohl noch einige Jahre dauern, sie zu beseitigen.«

      Longtree nickte. »Wie wär's, wenn Sie mir nun sagen, weshalb Sie hier sind?«

      »Ich statte meinen Marshals lediglich einen Besuch ab. Das hatte ich schon lange vor, und nun habe ich endlich die Zeit dafür gefunden.« Rivers hielt inne, zog eine Pfeife mit Tonkopf hervor und stopfte sie. »Und was Sie angeht, Joe – für Sie habe ich einen Sonderbefehl.«

      »Und der wäre?«

      »Sie müssen nach Wolf Creek im Montana Territory und dort ein paar Morde untersuchen.«

      Longtree atmete eine Rauchwolke aus. »Wolf Creek. Davon habe ich gehört – das ist doch in der Nähe von Nevada City. Aber dafür ist John Benneman zuständig«, sagte er. Benneman war der Deputy U.S. Marshal, der im Südwestteil von Montana arbeitete.

      »Benneman ist momentan vom Dienst befreit, Joe. Er ist von ein paar Wegelagerern ziemlich übel angeschossen worden. Für die nächsten Monate ist er nicht einsatzbereit.« Rivers schien dabei unwohl zu sein. »Außerdem sehen wir uns mit einer schwierigen Situation konfrontiert, für die wir mehr als einen Mann brauchen. Wir benötigen jemanden, der ermitteln kann.«

      »Erzählen Sie weiter.«

      »In und um Wolf Creek herum hat es fünf Morde gegeben«, erklärte Rivers. »Grausame, brutale Tötungen, die anscheinend von einem Tier begangen worden sind. Die Leichen sind verschlungen worden. Aber … na ja, das sehen Sie dann selbst.«

      »Stellen Sie einen Jäger ein, Tom. Wenn es irgendein wildgewordener Grizzly ist, werden Sie so den besten Erfolg haben. Ich bin schon zu lange hinter Männern her, als dass ich nun Tiere jagen kann.«

      Rivers seufzte. »Uns hat die Mitteilung erreicht, dass es vielleicht ein Mensch gewesen sein könnte. Keine Details – es ist nur ein Gerücht.«

      Longtree zog die Augenbrauen hoch. »Wovon reden wir hier?«

      »Ich habe wirklich keine Ahnung, was los ist, Joe. Nur, dass es seltsam ist. Ich will, dass Sie sich die Sache mal ansehen, sonst nichts. Schauen Sie sich einfach um und sehen zu, dass Sie etwas herausfinden können.«

      »Das klingt alles sehr vage.«

      Rivers schaute ihm in die Augen. »Sie haben schon Erfolg gehabt, wenn wir noch weniger Informationen hatten.«

      »Mag sein. Aber das ist trotzdem mager.«

      Rivers nickte. »Ich weiß. Nehmen Sie sich eine Woche Zeit und schauen Sie sich um. Wenn Sie glauben, dass wir es mit einem Tier zu tun haben, gut. Dann schreiben wir ein Abschussgeld aus und bringen Jäger hin. Wenn es sich um einen Menschen handelt … na, Sie wissen, was Sie dann zu tun haben.«

      Longtree gefiel das noch immer nicht. »Und weshalb ist das ein Fall für die Bundesregierung, Tom? Für mich hört sich das wie etwas an, was die Menschen vor Ort regeln können. Scheint mir nicht

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