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wusste, dass er die Nacht dort draußen verbringen würde. Wusste, dass er ein verdammter Idiot war, die Gleise überhaupt unter den jagenden Wolkenfetzen zu inspizieren.

      Heute Abend würde es keinen Whisky geben, sondern nur ihn und die Karten und den kleinen Holzofen, der ihn wärmte.

      »Verdammt«, sagte er.

      Er biss das Ende einer Zigarre ab und zündete sie mit einem Streichholz an, während er Tabakfussel ausspuckte. In der Ecke begann Schnee zu driften, den der Wind durch die Lücken ins Häuschen presste. Runyon stopfte einen Lappen in die Wand. Eine Weile sollte das wohl halten.

      Er schluckte bitter wegen seines Pechs in dieser Nacht, wischte sich die Hände an seinem fettigen Overall ab und setzte sich wieder an sein Kartenspiel.

      Dann hörte er das Geräusch.

      Trotz des Windgeheuls und Klapperns des Schuppens konnte er es hören: Jemand machte sich draußen am Holzstapel zu schaffen.

      Runyon wusste, wer das war.

      Er stand auf, schnappte sich seinen leichten Hinterlader Colt Kaliber .38 und öffnete die Tür. Schnee und Wind peitschten ihm entgegen. Er biss die Zähne zusammen und kniff die Augen zu, kämpfte sich nach draußen und stapfte durch die Schneeverwehungen, die ihm an manchen Stellen bis zu den Hüften reichten. Hinter dem Schuppen ertappte er die Diebe auf frischer Tat.

      »Gottverdammt noch mal«, brüllte er in den Sturm und Schnee. »Lasst das Holz fallen!«

      Die Diebe waren drei mager aussehende Indianer in zerfledderten Büffelroben und abgenutzten Hirschlederleggins. Sie ließen das Holz fallen, starrten ihn mit großen dunklen Augen an. Eine dürre, hungrige Truppe, dünn wie Zaunpfähle und voller Verzweiflung.

      »Bitte«, sagte einer von ihnen auf Englisch. »Die Kälte.«

      Sein Englisch war zu gut für eine Rothaut, und das ließ Runyon die Galle hochkommen. Er gab sich mit Wilden wie den Blackfoot und Crow nicht ab, und ganz besonders nicht mit denen, die sich für zivilisiert genug hielten, die Sprache der Weißen zu sprechen. Runyon, der ein wahres Nachschlagewerk von Intoleranz war, hasste Indianer. Er war in einem Klima anti-indianischer Ressentiments geboren und großgeworden, dazu erzogen, alle außer den Weißen zu hassen. Ihm persönlich war nie ein Leid geschehen, aber er hatte von einem Überfall der Cheyenne im Indian Territory gehört, die seine Großeltern ermordet hatten, und wie sein Vater von einem Versteck aus mitangesehen hatte, wie die beiden von den Bastarden skalpiert worden waren.

      »Ach, euch ist kalt?«, rief Runyon.

      Derjenige, der Englisch gesprochen hatte, nickte. Die anderen beiden stierten nur. Runyon wusste, was sie dachten, kannte den Hass, den sie verspürten und wie viel lieber diese hinterhältigen verlogenen Schweine ihm die Kehle durchschneiden statt ihn ansehen würden.

      »Der Sturm hat uns aufgehalten«, sagte der Indianer. »Wir brauchen Holz zum Feuermachen. Wir bringen morgen früh welches zurück.«

      »Ach ja, natürlich, jede Wette. Ich gehe jede Wette ein, dass ihr das machen werdet.«

      »Bitte.« Die Stimme klang ehrlich und wenn er ein weißer Mann gewesen wäre, selbst ein mörderisch veranlagter Rumtreiber, hätte sich Runyon davon berührt gefühlt.

      Aber das hier waren Wilde.

      Und er wusste, dass sie einen in dem Moment, wo man ihnen Gnade oder Mitleid zeigte, auslachten. Dass sie zurückkehren und einen bei der ersten Gelegenheit umbringen würden. Diese heidnischen Teufel respektierten Mitleid nicht; für sie war es Schwäche.

      »Wenn dir kalt ist, Rothaut«, sagte Runyon und zielte mit dem .38er auf das Gesicht, »kann ich dich ganz schnell mit ein bisschen Blei aufwärmen.«

      »Bitte«, sagte der Indianer. Hart erworbener Stolz ließ seine Stimme schwanken – es war nicht einfach, um ein paar Scheite Holz zu betteln.

      »Verpisst euch!«, schrie Runyon. »Verpisst euch, bevor ich euch alle umlege!«

      Langsam setzten sie sich rückwärts in Bewegung, ohne dabei den Weißen aus den Augen zu lassen. Nur zu gut wussten sie, dass das eine schlechte Idee wäre. Zu oft waren Stammesmitglieder ermordet worden, die bewaffneten Weißen den Rücken zugedreht hatten.

      »Wir werden sterben«, sagte einer. »Aber du auch.« Und damit verschwanden sie.

      Doch für Runyon bewegten sie sich nicht schnell genug.

      Er blinzelte in den Wind, legte an und zielte auf den, der mit ihm gesprochen hatte. Er nahm den Rücken des Wilden ins Visier und drückte ab. Die Explosion war im heulenden, beißenden Wind kaum zu hören. So schlecht die Sicht auch war, konnte er doch den Wilden gerade noch hinfallen sehen, bevor wehender Schnee ihn verdeckte.

      »Gottverdammte Heiden«, fluchte Runyon und machte sich wieder auf den Weg nach drinnen.

      Er grinste, als er neben dem Ofen saß und sich die gefühllosen Hände wärmte, denn er war sich bewusst, die Welt von ein paar mehr dieser diebischen Rothäute befreit zu haben.

      Die Schweine würden erfrieren.

      Runyon lächelte.

      Kapitel 7

      Es war sehr viel später, als das Kratzen begann.

      Runyon hatte in seinem Stuhl ein Nickerchen gemacht. Vor ihm war eine Partie Solitaire ausgelegt, in der Hand lag immer noch sein .38er. Er hatte davon geträumt, schön warm und gemütlich bei einem Drink und guten Essen in Wolf Creek zu sitzen. Dann schlug er die Augen auf. Er war nicht in Wolf Creek. Er war in dem gottverdammten Stellwärterhäuschen und wartete auf den Morgen.

      Sich den Schlaf aus den Augen reibend legte er den Colt nieder und horchte. Irgendetwas hatte er gehört. Ein unbekanntes Geräusch. Grundlos wachte er nie auf. Er neigte den Kopf zur Seite und lauschte angestrengt. Der Wind heulte immer noch, der Schnee stob weiterhin in den Schuppen herein und das Gebälk zitterte wie vorher.

      Aber jetzt war da noch etwas.

      Ein tiefer, fast trauriger Klagelaut, den der Wind zerfetzte.

      Und Kratzen. Als würden Krallen an den verzogenen Brettern des Schuppens schaben.

      Er schluckte. Schweiß rann ihm langsam den Rücken hinunter. Es waren die Rothäute. Es mussten die Rothäute sein. Irgendwie hatten sie in den Minusgraden dort draußen überlebt und waren jetzt zurückgekehrt. Vielleicht mit einem Überfallkommando. Zumindest mit Gewehren, Messern und Hass.

      Was hatte die Rothaut gesagt?

      Wir werden sterben … aber du auch.

      Runyon erschauderte.

      Er hätte nicht einen erschießen sollen … er hätte sie alle erschießen sollen. Er hätte die Schweine durch den Schnee verfolgen und sie töten sollen. Sie alle erschießen und sich jede Menge Ärger ersparen …

      Aber jetzt waren sie wieder da.

      Runyon steckte sich die Zigarre neu an. Er wünschte sich, dass er mehr Patronen für den Colt mitgebracht hätte, aber Teufel auch, mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Er hätte es besser wissen sollen. Diese Wilden hielten ständig Ausschau nach weißen Männern, die allein waren, um sie zu ermorden und auszurauben.

      Jetzt umrundeten sie den Schuppen, bewegten sich mit leisen Schritten. Er konnte hören, wie sie an der Rückwand schabten. Aber was er dann hörte, ergab keinen Sinn: Knurren. Ein tiefes, animalisches Knurren. Kein Mensch gab solche Laute von sich. Vielleicht hatten sie einen Hund dabei. Er konnte ihn schnüffeln hören, wie er die Nase gegen die Bretter presste, tief grollte und wie ein Stier schnaubte. Runyon richtete den .38er auf die Tür.

      Der erste, der reinkam, würde ein toter Mann sein.

      Die Tür begann zu rütteln und schütteln, als würde jemand daran zerren. Die Bretter erzitterten und ächzten unter großem Druck. Nägel begannen, herauszufliegen. Jetzt war das ganze Häuschen in Bewegung, schwankte hin und her,

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