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als die Dachbretter durchbrachen.

      Die Lampe erlosch, als der Schnee sie umfing.

      Mit einem Schrei in der Kehle fing Runyon an, gegen die Bretter der Hinterwand zu treten, sie herauszubrechen. Gerade, als er ein paar Bretter aus dem Weg zog und seinen massiven Körper durch die Öffnung quetschte, zersplitterte die Tür zu Kleinholz.

      Er kämpfte sich durch die Schneewehen. In seinen Ohren hallte das betäubende Heulen des Dinges wider, das kein Mensch sein konnte. Er rannte durch den umherwirbelnden, wehenden Schnee, stolperte, fiel, zog sich vorwärts. Hinter ihm tönte ein tiefes böses Knurren und etwas, das sich wie zusammenschnappende Zähne anhörte.

      Er drehte sich um und schoss zweimal auf eine verschwommene dunkle Gestalt.

      Eine gigantische Gestalt.

      Jetzt konnte er das Biest riechen. Verwesungsgestank ging davon aus, Dünste von verrottendem Fleisch und frischem Blut.

      Runyon schrie – ein schrilles, wahnwitziges Kreischen, das im Wind zerbrach.

      Und irgendetwas antwortete mit einem bellenden Heulen.

      Keuchend im Schnee liegend, die Finger steif um den Griff seines Colts gefroren, sah er, wie ihn eine große schwarze Gestalt ansprang. Viel zu groß für einen Menschen. Ein Riese. Runyon feuerte vier Mal, dann wurde ihm der Revolver aus der Hand geschlagen.

      Aber die Nässe.

      Sie dampfte von seinem Handgelenk hoch.

      In der betäubenden Kälte hatte er es nicht einmal gespürt, doch jetzt konnte er es sehen: Das Ding hatte seine Hand am Handgelenk abgeschlagen. Und noch während diese Gedanken in stillem Wahn durch seinen Kopf taumelten, griff die schwarze unförmige Gestalt erneut an.

      Runyon sah rote schielende Augen.

      Er konnte den heißen, fauligen Atem riechen, als wäre ein Kadaver in der Sonne zum Verrotten liegengelassen worden.

      Und dann wurde sein Bauch vom Schoß bis zur Kehle aufgeschlitzt, und er nahm nur noch Schmerz und den Tod wahr.

      Runyon war der Erste. Aber nicht der Letzte.

      Kapitel 8

      Als der Morgen dämmerte, hatte der Sturm nachgelassen.

      Der Wind war kühl und frisch, aber nur noch wenige Schneeflocken taumelten aus dem klaren, eisigen Himmel herab. Auf dem Gelände der Union Pacific Railroad in Wolf Creek ging es zu wie jeden Tag. Kurz vor neun Uhr entdeckte ein Signalgeber die Überreste des Stellwärterhäuschens. Als er sich dahinter umschaute, sah er eine einsame blutverkrustete Hand aus einer Schneewehe hervorstechen.

      Innerhalb einer Stunde waren die Gesetzeshüter da.

      »Wie erklären Sie sich das, Doc?«, fragte Sheriff Lauters und rieb sich die behandschuhten Hände. Er wollte mit der Untersuchung schnell fertig werden.

      Dr. Perry schüttelte nur den Kopf. Er hatte schneeweißes Haar, obwohl sein hängender Schnurrbart nur etwas stahlgrau gesprenkelt war. Er war ein dünner, zierlicher Mann mit Rückenproblemen, wie offensichtlich war, als er neben der verstümmelten Leiche von Abe Runyon in die Hocke ging. Sein Gesicht verkrampfte sich zu einer schmerzverzerrten Maske. »Ich weiß nicht, Bill. Ich habe keine Ahnung.«

      »Irgendein Tier«, sagte der Sheriff. »Das kann kein Mensch getan haben. Vielleicht ein großer Grizzly.«

      Perry schüttelte den Kopf, zuckte zusammen. »Nein.« Eine Pause. »Das war kein Grizzly. Diese Bissspuren sind von keinem Bären, zumindest von keinem, den ich je gesehen habe.« Er sprach voller Überzeugung. »Ich habe in den Bergen viele Männer wieder zusammengeflickt, und auch viele begraben, die einem hungrigen Grizzly in die Quere gekommen waren. Das war kein Bär.«

      Lauters sah wütend aus; sein blasses, aufgedunsenes Gesicht verzog sich grollend. »Was war es denn sonst, Himmel noch mal?« Das schmeckte nach Ärger, und Ärger konnte er nicht ausstehen. »Verdammt noch mal, Doc, ich brauche Antworten. Wenn da irgendwas rumschleicht, dass Menschen reißt, muss ich das wissen. Ich muss wissen, was ich jage.«

      »Tja, jedenfalls keinen Bären«, entgegnete Perry steif und starrte die Überreste an.

      Abe Runyon fehlten das linke Bein, die rechte Hand und der linke Arm. Mit einer Axt oder Säge waren sie nicht abgetrennt worden, sondern abgerissen. Sein Gesicht war zerfleischt und die Kehle herausgerissen worden. Überall war Blut, das im Schnee zu Kristallen erstarrt war. Der Körper war ausgehöhlt und die Eingeweide nirgendwo zu finden. Keiner der Männer zweifelte daran, dass Abe Runyon zum Fressen getötet worden war.

      Mit Lauters' Hilfe drehte Perry den steifgefrorenen Leichnam um. Das Flanellhemd, das Runyon unter seinem Arbeitsanzug getragen hatte, war zerfetzt. Perry schob ein paar zerrissene Zipfel davon beiseite und legte Runyons Rücken frei. Von seinem linken Schulterblatt bis zum Gesäß verliefen raue Krallenspuren.

      »Sehen Sie?«, sagte Perry.

      Er nahm einen Bleistift aus seiner Tasche und untersuchte die Wunde. Es waren vier einzelne Rillen, von denen jede an ihrem tiefsten Punkt um die acht Zentimeter tief ins Fleisch hineingegraben war. Hinten am Nacken waren tiefe Wunden, die Perry als Zahnspuren erkannte. Sie hatten einen größeren Durchmesser, als der Bleistift breit war, und waren fast genauso tief.

      »Kein Bär hat ein solches Maul«, erklärte Perry dem Sheriff. »Etwas, bei dem die Zähne so auseinanderliegen und derartig angeordnet sind, habe ich noch nie gesehen.«

      »Scheiße auch, Doc«, spie Lauters aus. »Denken Sie mit. Hunde? Wölfe? Ein Puma? Sagen Sie mir was.«

      Perry zuckte die Achseln. »Das hat kein Wolf getan. Kein Hund. Keine Wildkatze. Wissen Sie, wie groß dieses … Raubtier gewesen sein muss? Heiliger Herrgott.« Er schüttelte den Kopf. Ihm gefiel das nicht. »Verdammt, Sie haben Abe doch gekannt. Der hatte weder vor Mensch noch Tier Angst. Wenn das Wölfe gewesen wären, hätten sie alles aufgefressen. Und er hat mit seinem .38er fünf Schüsse abgegeben – wo sind denn die Toten?«

      »Vielleicht hat er danebengeschossen«, meinte Lauters.

      »Er war ein begnadeter Schütze und das wissen Sie auch.« Mit Lauters Hilfe stand Perry steifbeinig auf. »Tja, was soll ich sagen, Bill. Ein Bär war's nicht, das ist unmöglich. Diese Bisswunden sind unglaublich – sicher zwölf bis fünfzehn Zentimeter tief.« Er sah besorgt aus. »Mir ist keine Tierart in dieser Gegend bekannt, die das gewesen sein könnte. Und ich bete zu Gott, dass ich dem Vieh nie begegnen werde.«

      »Wollen Sie damit sagen, dass wir es mit einer neuen Tierart zu tun haben?«

      Perry zuckte nur die Achseln, weigerte sich, zu spekulieren.

      Lauters spuckte einen Strahl Tabaksaft in den Schnee und schaute auf die Berge. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass sich in Wolf Creek böse Dinge zutragen würden.

      Kapitel 9

      Als Joseph Longtree in das Rechteck hereinritt, das Fort Phil Kearny beschrieb, waren die Leichen das Erste, was er sah. Acht Tote lagen auf festgetretenem Schnee und waren mit Planen bedeckt, die flatternd im Wind peitschten. Es waren Cavalry Trooper, entweder an Krankheit oder Schüssen gestorben. Im Wyoming Territory gab es von beidem reichlich. Er brachte sein Pferd vor den Leichen zum Stehen und folgte einem Trooper in den Stall.

      Er war nicht das erste Mal im Fort. Aber wie bei allen Forts im Westen wechselten auch hier ständig die Befehlshaber; ganz besonders während des Sioux Kriegs von '76. Überall waren Trooper gestorben. Und jetzt, zwei Jahre später, hatte sich daran nichts geändert.

      Nachdem sein Pferd untergebracht war, machte sich Longtree auf den Weg zum größeren der Blockhäuser, da er wusste, dass es die Kommandanten des Forts beherbergte. Drinnen war es warm. Ein großer offener Steinkamin war mit brennenden Scheiten gefüllt. Ein paar Schreibtische standen im Raum verstreut, hinter denen müde aussehende Offiziere saßen, deren abgenutzte Uniformen von einem kräftigen

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