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fragte ein Lieutenant mit Hängeschultern. Er hatte ein nervöses Zucken im Mundwinkel und kniff ständig seine bernsteinfarbenen Augen zusammen – eine Gewohnheit, die von den langen Monaten herrührte, in denen er Sioux Krieger durch die heiße Sommerhitze und eisigen Winterwind gejagt hatte.

      Longtree leckte sich über die aufgesprungenen Lippen, öffnete seinen Mantel und zeigte kurz sein Dienstabzeichen. »Joe Longtree«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Deputy U.S. Marshal. Ich glaube, Sie haben Befehle für mich vom Marshals Office in Washington hier.«

      »Einen Moment, Sir«, sagte der Lieutenant und schlurfte zum Zimmer des befehlshabenden Offiziers. Er kehrte mit einem kleinen, stämmigen Mann zurück.

      »Wir erwarten Sie bereits, Marshal«, sagte der Captain. Er streckte ihm die Hand entgegen. »Captain Wickham.«

      Longtree schüttelte ihm schlaff die Hand. »Meine Befehle?«

      »Hab ich nicht«, entschuldigte sich der Captain. Seine runden Wangen waren gerötet und er hatte eine beginnende Halbglatze. Der graue wuchernde Backenbart saß ihm wie zwei Pelze im Gesicht. »Aber wir haben jemanden hier, wissen Sie. Und zwar einen gewissen Marshal Tom Rivers. Aus Washington.«

      Longtree machte große Augen.

      Rivers war der Chief U.S. Marshal, dem alle Federal Marshals in den Territories unterstellt waren. Longtree hatte ihn nicht mehr gesehen, seit Rivers ihm das Amt verliehen hatte.

      »Tom Rivers?«, fragte Longtree, dessen Mimik sich nun belebte.

      »Jawohl, Sir. Er ist gekommen, um sich mit Ihnen zu treffen, bevor er nach Laramie weiterreitet. Ich befürchte, im Moment ist er gerade mit Colonel Smith unterwegs.« Wickham runzelte die Stirn. »Gestern Abend hat ein Kriegertrupp der Sioux einer unserer Patrouillen aufgelauert. Wir haben acht Männer verloren. Acht Männer, verdammt noch mal.«

      Longtree nickte. »Ich habe die Leichname gesehen.«

      »Furchtbare, furchtbare Sache«, gab Wickham zu.

      »Sicher, dass es die Sioux waren?«

      Wickham schaute beleidigt drein. »Sicher? Natürlich sind wir uns sicher. Diese Schweine bekämpfe ich schon seit zehn Jahren, Sir.« Er gewann schnell wieder die Fassung. »Mit ein paar vereinzelten Stämmen haben wir noch Probleme. Die meisten wissen nicht mal, dass sich Crazy Horse ergeben hat. Und bis sie davon hören … Sie können es sich vorstellen, Marshal.«

      »Wann erwarten Sie sie zurück?«

      »Vor der Dunkelheit, Sir. Ich habe gehört, dass Sie die Kerle verfolgt haben, die den Planwagen in Nebraska ausgeraubt haben – mordende Räuber. Wie ist es Ihnen ergangen?«

      Longtree zuckte die Achseln. »Nicht so gut, wie ich gehofft hatte.« Er kratzte sich das Kinn. »Habe alle drei begraben müssen. Lebendig wären sie mir lieber gewesen.«

      »Das hatten sie verdient, Sir.« Wickham klopfte Longtree auf die Schulter. »Wie es aussieht, bleibt Ihnen noch einiges an Zeit, bis der Colonel und seine Truppe zurückkommen. Sie haben einen langen, anstrengenden Ritt hinter sich, Sir – darf ich vorschlagen, dass Sie von unserer Gastfreundschaft Gebrauch machen?«

      »Das wäre sehr angenehm«, sagte Longtree, der die Belastungen der letzten Tage deutlich spüren konnte.

      »Lieutenant!«, bellte Wickham. »Suchen Sie dem Marshal ein Bett. Ich denke, er wird auch etwas Warmes zu essen haben und ein Bad nehmen wollen.«

      Der hängeschultrige Lieutenant verließ den Raum.

      »Wenn es Sie nicht stört, Sir, würde ich mich gerne mit Ihnen auf einen heißen Drink zusammensetzen.«

      »Ich folge Ihnen gern, Captain«, sagte Longtree.

      Kapitel 10

      Das Grog-Haus war innen schlecht beleuchtet, dunkel und roch nach Kiefernharz und Alkohol. In der Mitte standen Reihen von Tischen, an welche Bänke voller Astknoten herangeschoben waren. Longtree und Wickham holten sich jeder einen Becher heißen Rums und setzten sich. Außer ihnen war sonst niemand da.

      Longtree war schon länger nicht mehr in Kearny gewesen, aber viel verändert hatte es sich nicht. '68 war es aufgrund der kriegerischen Indianer genauso aufgegeben worden wie die Forts C.F. Smith und Reno, die entlang des alten Bozeman Trail lagen. Lediglich Kearny war wieder besetzt worden, und das 1875.

      »Dann erzählen Sie mir doch mal von Ihren Abenteuern in Bad River«, sagte Wickham auf seine typische kernige Art. Selbst wenn er sich über rüschenbesetzte Frauenunterwäsche unterhielt, klang es dank seiner Stimme maskulin.

      Longtree nippte an seinem Drink. »Da gibt's nicht viel zu erzählen.«

      »Die haben sich wohl gewehrt, was?«

      Unwillkürlich musste Longtree lachen. »Das kann man wohl sagen.« Mit leiser Stimme beschrieb er, was sich ereignet hatte. »Wenn der Flathead nicht gewesen wäre … na, das können Sie sich ja vorstellen.«

      Wickham zog die Augenbrauen zusammen. »Das ist seltsam ausgegangen, würde ich sagen. Kaum ein Mann überlebt eine Henkersschlinge. Ich kenne nur einen, und der hat den Rest seiner Tage mit einem schiefen Nacken zugebracht.«

      »Sonderlich gut fühlt sich mein Hals auch nicht an«, gab Longtree zu und sah dem Captain in die Augen. »Aber nichts hat Schaden erlitten. In einer Woche wird es mir wieder gut gehen.«

      »Trotzdem komisch.«

      Longtree hatte das starke Gefühl, dass Wickham ihm nicht glaubte. Er öffnete die obersten Knöpfe seines Hemds und legte einen um seinen Hals gewickelten Verband frei. Vorsichtig nahm er ihn ab. Eine geschundene, abgeschürfte, roh aussehende Wunde zierte seinen Hals.

      Wickhams Augen quollen hervor. »Mein Gott … wie konnten Sie das überleben? Wie?«

      Longtree wickelte sich den Verband wieder um. »Ich habe keine Ahnung. Glück? Schicksal? Dank der Gnade Gottes?« Er zuckte die Achseln. »Sagen Sie's mir.«

      Wickham fiel dazu nichts ein. Er trank seinen Rum aus. »Also, ich muss dann mal wieder an die Arbeit, Marshal. Ich bin mir sicher, dass wir uns noch sehen werden, bevor Sie gehen. Einen schönen Tag noch, Sir.«

      Longtree sah ihm nach. Zweifelsohne ging er, um mit seinen Offizieren über den gehängten Mann zu tratschen. Ihm die Wunde zu zeigen, war wohl etwas dramatisch gewesen, nahm Longtree an, aber er hasste es, Zweifel in den Augen eines Mannes zu lesen. Und nach allem, was er durchgemacht hatte, fand er, dass man ihm ruhig ein wenig Drama verzeihen konnte.

      Er bestellte sich noch einen Rum und wartete.

      Wartete und dachte an Tom Rivers.

      Kapitel 11

      Das Zimmer war nicht schlecht.

      Ein Bett mit Decken stand darin, und in der Ecke war ein kleiner Ofen, in dem ein paar Holzscheite brannten. Ein Waschzuber war für ihn mit dampfendem Wasser gefüllt worden. Ein Stück Seife und Handtücher lagen bereit.

      »Ganz wie zu Hause«, sagte Longtree, stieß sich die Stiefel von den Füßen und zog seine Kleidung aus.

      Nach seinem dritten Rum war der Lieutenant gekommen und hatte ihn in die Offizierskantine geleitet. Dort hatte er sich mit zarten Büffelsteaks, gebackenen Kartoffeln und Maisbrot vollgestopft, das er mit Bier hinuntergespült hatte. Eine so gute Mahlzeit hatte er schon lange nicht mehr gegessen.

      Während er sich den Schmutz und Schweiß der letzten Woche von der Haut schrubbte, dachte er über Tom Rivers nach. Warum sollte der Chief U.S. Marshal aus Washington ins Wyoming Territory kommen, nur um ihm seine Befehle zu überbringen? Das machte einfach keinen Sinn. Vielleicht war Rivers dabei, seinen Marshals einen Besuch abzustatten – etwas, von dem Longtree noch nie zu Ohren gekommen war – und hatte beschlossen, Longtree die Befehle höchstpersönlich auszuhändigen.

      Könnte schon sein.

      Aber

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