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Gesammelte Werke. Oskar Panizza
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9788027204748
Автор произведения Oskar Panizza
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich löse das Mond-Rätsel nicht, lieber Leser, – und wenn Du es vermagst, so hast Du jetzt das Gesamt-Material meiner Betrachtungen vor Augen. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen. Ob der Mondmann ein himmlisches oder ein irdisches Wesen war, ich weiß es nicht. Aber die täppischen und kindischen Zwischenfragen der Mondfrau in dem soeben mitgeteilten Diskurs lassen vermuten, daß auch sie, obwohl äußerlich frappant irdisch geartet, doch in ihrem Urteil über den »großen Käs« auf der untersten Stufe stand, sonach kaum als reifes Frauenzimmer die Erde verlassen hatte, vielleicht als halberwachsenes Mädchen von drunten geraubt worden war, und den größten Teil ihres Lebens hier oben zugebracht hatte. Umgekehrt der Mondmann, vielleicht ursprünglich ein siderisches Geschöpf, war durch seine häufigen Besuche auf dem »großen Käs« doch zu einiger Kenntnis über die Vorgänge auf der Erde gekommen, welche er freilich von einem höchst beschränkten und sonderbaren Standpunkt aus betrachtete. – Wären es Franzosen gewesen, mit denen wir es da droben zu tun hatten, so hätte ihr fleißiges Mundwerk uns vielleicht manches verraten, und unsere Wahrscheinlichkeitsschlüsse stünden auf einem sichereren Boden und wären weniger lückenhaft; so sind es Holländer oder holländisch geartete Leute, die ihre besten Gedanken für sich behalten, und deren knappe und trockene Redeweise uns nur zu Vermutungen kommen läßt, von dem, was sie wissen und was in ihrem Innern vorgeht. –
Der Leser wird begreifen, daß, sobald nur die ersten Zeichen des herannahenden Mondwechsels sich kundgaben, ich, mit einem Viertel-Käs bewaffnet, zur Schlafenszeit mich hinausschlich auf die Mondlandung, um bei dem ersten Sichtbarwerden der Strickleiter mich auf dieselbe zu stürzen, und mir so selbst für den Fall des Entdecktwerdens, durch schleuniges Hinabklettern die Verbindung mit der Erde zu sichern; denn ich fühlte, daß, wenn ich jetzt nicht um jeden Preis den Mond verließe, ein Verbleiben darauf vielleicht auf unabsehbare Zeiten mein Schicksal sein werde. – Und Schwiegersohn auf dem Mond zu werden, war, obwohl ich auf der Erde nichts zu verlieren hatte, und beim Wiederbetreten derselben mir in Leyden nur Schlimmes bevorstand, – doch nicht nach meinem Geschmack. – Als ich so da draußen saß, und sah in die weite Welt hinein, – über mir der brennende, pratzelnde Mond, – unter mir eine gähnende Unendlichkeit, – kam mir die Erinnerung an meine Hausfrau mit den langen Zähnen, an das Leydener Studentenleben, an meine Beschäftigung auf der Anatomie, und ich kam mir vor wie jemand, der aus der Vakanz zur Schule zurückkehrt, der zwei Monate auf dem Land bei einfachen, ruhigen Leuten gelebt hat, und in das Gewühl der Stadt zurück muß, und mit Wehmut gedachte ich der possierlich dummen Gesichter der Mondkinder, die ich nun verlassen müsse, und die ich schon zum letztenmal gesehen hatte. – Von draußen konnte ich jetzt vortrefflich beobachten, wie das Feuer auf der schwarzglänzenden Mondrinde weiterfraß. – Ich überlegte die ganze Prozedur zur Abnahme der feurigen Dächer, – die große Feuersgefahr für das leicht gezimmerte Mondhaus selbst, – die Schwierigkeit der Befestigung der lodernden Teermassen an der eisernen Kette, und genügende Entfernthaltung von dem nun schutzlosen Haus, – und kam schließlich zur Überzeugung, daß, wenn ich, wie beabsichtigt, das letztemal hinter dem Mondmann dreingestiegen wäre, ich zweifellos verbrannt wäre, – zum mindesten erstickt; denn bei der Neigung der brennenden Hitze nach oben zu steigen, mußten mich die glühenden Gase, während der Alte hinabstieg, fortwährend in einen Mantel verderbenbringender Atmosphäre hüllen; und wenn dies auch nur eine Viertelstunde währte, während welcher die glostende Masse in sich zusammensank, so war ich verloren, da von einem Zurückbleiben auf der Leiter, hier, am Anfang, noch keine Rede sein konnte. Diese Erkenntnis erfüllte mich voll dankbarer Gesinnung gegen die weiblichen Mitglieder des Mondhauses, die durch ihr Ansammeln an der Eingangstür mir damals das Besteigen der Leiter zur Unmöglichkeit machten. Aber die Angst, nun doch in irgend einer Weise mit dem Feuer in Berührung zu kommen, wenn auch nur durch ein unglücklich abbrechendes Teerstück, veranlaßten mich, sobald die Leiter hinabgerollt war, – und dies geschah kurz darauf und dauerte an die fünf Stunden, – dieselbe sofort zu besteigen, und mich einige dreißig Meter hinunter zu retirieren, wo ich mich so gut wie möglich zwischen den Sprossen zurechtsetzte. – Auf diesem Platz blieb ich eine halbe Nacht, als ich aus dem Geschrei der Kinder und dem Übergreifen der züngelnden Flammen auch auf das nördliche Monddach erkannte, daß die Stunde der Krise herangekommen sei. In der Tat erschien bald der Alte wieder im gelben Lederkostüm mit dem langen Schürhaken und brach von den drei Mondöffnungen aus die Dach-Überzüge ab, riß dann in einem äquatorähnlich angelegten Kreis die obere Dachhälfte von der unteren durch, so daß das Mondhaus heraus schlüpfen konnte und packte schließlich mit der Rechten eine Kette, von der ich bei meinem entfernten Standpunkt nicht sehen konnte, wie sie befestigt war, die aber, wie ich glaube, verzweigt unter beide Hohldächer schon von Haus aus angebracht war, und riß mit einem einzigen Ruck beide flammende Hauben so weit nach seitwärts, daß sie, ihrem Zuge nach oben nachgebend, plötzlich mehrere Meter hoch über dem schwarzen Mondhaus erschienen. Diese Maßregel erschien mir äußerst praktisch; denn es war klar, daß, hätte der Mondmann den brennenden Hohlmond seitwärts oder unterhalb des Hauses nur kurze Zeit gehalten, dieses wie die Strickleiter in höchster Gefahr waren, anzubrennen. In einer gewissen Entfernung über dem Haus aber, wo die Flammen nach oben züngelten, war ein Übergreifen des Feuers ausgeschlossen. – Dies Alles war draußen auf der Mondlandung vom Alten bewerkstelligt worden; und er, wie das Haus, und die an der Ausgangstür neugierigen Gesichter der Mond-Insassen waren im Nu in tiefes Dunkel gehüllt. Aber schon kurz darauf senkten sich die zu einem großen Ballen zusammengeschmolzenen Monddächer infolge ihrer natürlichen Schwere langsam herab, und der Mondmann, der diese wohl noch aufgelockerte, aber nicht mehr brennende Kugel soweit seitwärts wie möglich herabführte, begann unter dem Jubelgeschrei der Kinder seinen Abstieg. – Ich eilte voraus, so schnell ich konnte; nicht so sehr aus Furcht, mit dem Mondmann oder seinem glühenden Vollmond in allzunahe Berührung zu kommen; sondern ein unbestimmtes Etwas trieb mich vorwärts; ich wollte aus diesen abnormen Verhältnissen heraus sein; ich wollte wieder die Erde unter meinen Füßen haben, um all’ das Unbegreifliche, was ich gesehen, in meinem Verstand ruhig ordnen, in meinem Gedächtnis übersichtlich plazieren zu können. – Ein anderer hätte sich vielleicht mit Rücksicht auf seinen Magen nach einer gemischten Kost gesehnt, um aus dem Käs-Einerlei herauszukommen; – ich sehnte mich nach irdischer Speise für meine Augen und für meinen Kopf, um aus dem Mond-Einerlei und seinen beschränkten Gesichtspunkten herauszukommen. Ich dachte an mein Bett in Leyden und an meinen Platz im Wirtshaus zu »De Groene Meerfrouw«, wo ich alles während der zwei Monate Vorgefallene reiflich zu überlegen und mit meinen Kommilitonen zu besprechen mir vornahm. – Aber ich kam nicht so schnell vorwärts, als ich beabsichtigte; die dickeren Luftschichten, in die ich hineinstieg, machten meine Adern heftig pulsieren, und bei der ganz veränderten Kraft-Anstrengung ermatteten meine Glieder in dem Maße, daß ich nur Sprosse für Sprosse nehmen konnte und bald den gewonnenen Vorsprung vor meinem Nachmann verlor. – Es war vollständig Nacht um mich. Über mir der Mondmann stieg mit einer Ruhe und Gleichmäßigkeit nach, wie ein Lastträger im Gebirge, der einen Weg zum hundertsten oder tausendsten Mal zurücklegt; die Mondkugel verbreitete nur einen strahlenden Schein, der wirkungslos in die Nacht hineinschoß, ohne zu erhellen; das Mondhaus über uns war vollständig in Finsternis gehüllt; tief unter mir entdeckte ich einen schwachen Lichtkomplex, der zunahm, je mehr wir uns der Erde näherten, und bald war es klar, daß wir in ein Zwielicht hineinstiegen; ob es das einer Morgen-oder Abend-Dämmerung war, ließ sich noch nicht feststellen. – Wenn dieser Mondmann, sagte ich mir, wirklich der Bewohner jenes Himmelkörpers ist, den wir mit Mond bezeichnen, – und daran zu zweifeln wäre nach allem Vorgefallenen ein so großer Fehler, daß der feste Glaube daran geradezu als Tugend erschiene, – dann muß er oder seine Vorgänger auch schon so lange da droben hausen und die Mondgeschäfte verrichten, als der Mond den Erdbewohnern bekannt ist; denn es geht nicht an zu glauben, daß erst der Mond existierte, und dann ein solches imaginäres Haus sich an seine Stelle setzte; ist das der Mondmann, – sagte