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kleine Steinhäuschen standen, aus denen dichtgepfercht kleine weiße Figuren herausgestikulierten und Gesichter schnitten. Vor jedem dieser Häuschen hielten die kerzentragenden, schwarzen Menschen in immer größerer Zahl, sprachen und bewegten die Hände hastig gegen die weißen Figuren, die auf ihre Weise zu antworten schienen. Was, beim Himmel, machen die da droben, dachte ich mir. Spielen die Theater? Die eine Hälfte hat sich weiß angezogen und ist in Häuschen versteckt, und die andere Hälfte ist schwarz angezogen! Und weil sie schwarz angezogen ist, bekommt sie, als weiteres Unterscheidungsmerkmal, ein Licht in die Hand!? Und nun stürmen sie aufeinander los und bekämpfen sich! – Ich schaute mich unwillkürlich um, als wenn hinter mir ein Erklärer stünde, wie man oft auf Jahrmarktspanoramen findet. Einer, der zu mir spräche: Das bedeutet das! Und das bedeutet das! – Aber es war niemand da. Im ganzen Haus herrschte eine atemlose Stille. Vielleicht, dachte ich mir, bin ich als einziger Mensch wach und der einzige Beobachter eines unerhörten, beispiellosen Naturvorgangs! Das weiße und schwarze Ameisenvolk da droben ist irgendein Bergvölklein, in der Gegend unbekannt, das an einem bestimmten Tag im Jahr aus dem Berge kriecht und seine geheimnisvollen, den Menschen nachgeäfften Feiern und Spiele treibt. – »Bitt’ für uns! Bitt’ für uns!« wehte immer wieder der Wind herüber. – Ich wurde immer aufmerksamer. Meine Sinne erwachten mehr und mehr. Ich versuchte den Anfang dieses nächtlichen Auszuges zu entdecken und bemerkte zu meiner Linken auf halber Höhe des Berges ein Häuschen, in dem altertümlich angezogene Soldaten einen Menschen an einem weißen Strick hinter sich herschleppten. Dieser Mensch war ebenfalls weiß, wie alles übrige im Häuschen, er hatte einen schmerzlichen, tiefleidenden Ausdruck im Gesicht. Andere Soldaten waren damit beschäftigt, die schwarze, den Berg heraufziehende Menge, die vor dem Häuschen dicht gedrängt stand, herauszulachen und ekelhafte Grimassen zu schneiden. Aber doch nicht so, daß die Schwarzen dies notwendigerweise auf sich beziehen mußten. Es schien vielmehr, als wenn bei allem gegensätzlichen Verhältnis zwischen den beiden Parteien die Vorgänge im Häuschen selbst ein für sich abgeschlossenes Ganzes bildeten.

      Was für eine seltsame Komödie! rief ich innerlich. Es scheint, hier spielen die einen den anderen vor. Oder spielen sie miteinander? – Wer schaut dann zu? – Ist alles gegenseitig abgekartet? Man verstellt sich und fällt nicht aus der Rolle? Aber für wen wird dann gespielt? Und warum da droben auf dem Berge? Warum nicht im Theater? – Bei manchem der Häuschen konnte ich das Innere gar nicht sehen, da es wie mit schwarzen Schatten ausgefüllt schien. Manchmal aber fiel der plötzliche Lichtstrahl einiger Kerzenträger in das dunkle Innere, und ich sah dann, wie ein weißer Kopf herausguckte, der einem anderen, ebenfalls weißen Kopf ins Gesicht spie. – Was für schreckliche und sonderbare Dinge, sprach ich zu mir selbst, gehen da droben vor? Ich besann mich lebhaft, ob ich jemals ähnliches in meinem Leben gesehen hatte.

      Eine schwarze, festgekeilte Gruppe lag eben vor diesem Häuschen auf den Knien – einige mit Wachslichtchen in der Hand – und gestikulierte in eifriger Weise hinauf zu den zwei Köpfen, von denen ich bei dem stets wechselnden Spiel von Licht und Schatten durch die Kerzen nicht sagen konnte, ob sie sich bewegten, wem sie angehörten, was sie vorstellten. Oft schien es bei dem grellen Lichtreflex, als hätten sie ein schwarzes rundes Loch mitten im Mund; sicher schien nur so viel, daß der eine Kopf dem anderen immer ins Gesicht spuckte, und daß der eine Kopf ein martialisches, höhnisches, fast niederträchtiges Gepräge hatte und einen Soldatenhelm trug, während der andere der weiße Mensch war, den ich schon in einem früheren Häuschen gesehen hatte: der weiße Mensch mit seinem gekränkten, traurigen Gesicht. – Unter den knienden schwarzen Gruppen schien es manchmal zu Meinungsverschiedenheiten, zur Parteinahme für den einen oder anderen Kopf zu kommen, oft drehten sich auch unter den Knienden zwei Köpfe wie zwei schwarze Silhouetten um und schauten sich gerade ins Gesicht, und dabei hob jeder einen Arm gegen das Häuschen hinauf, als stritten sie. – Aber alles ging so schnell und gleichzeitig, so marionettenhaft vor sich, daß ich auf den Gedanken kam: Vielleicht bewegen sich auch die Leute vor dem Häuschen unter einem gewissen Zwang, wie Gliederpuppen, und sind keine Menschen. – Aber was, fragte ich mich immer wieder, bedeutet das Ganze? – Ich wachte, so viel war sicher; ich konnte also die Vorgänge da droben mit meinen fünf Sinnen prüfen. – Ist der Vorgang in den Häuschen ein wirklicher, ein ernsthaft stattfindender, also so, daß die Menschen in ihren gebauten Häusern sich bewegen, daß sie essen, lachen und sich unterhalten – nicht nur zum Spaß essen, sondern wirklich ernsthaft essen? – Oder ist, was in den Häuschen vorgeht, nur ein bildlicher Vorgang, eine Allegorie, ein Spaß? – Sind die weißen Menschen Schauspieler? – Die sich mit weißer Zinkfarbe anstreichen? – Oder sind die Figuren starr und tot? – Aus Gips?

      Während dieser Betrachtungen schweifte mein Blick etwas höher den Berg hinan, immer der schwarzen Menge folgend. Ich bemerkte in einem der nächsten Häuschen, wo die Tannen nicht den Zublick verwehrten, eine bleiche junge Frau, die ein weißes Taschentuch heraushängte, wie man ein Wäschestück aufhängt. Auf dem Taschentuch war ein Gesicht gezeichnet; aber es schien, als ob das Taschentuch ein Loch hätte: eine der weißen Figuren streckte ihren Kopf hindurch. – Was soll nun das wieder heißen? rief ich. Ist das symbolisch? Soll das heißen: Seht, solche Köpfe habt ihr! – Das weiße Gesicht auf dem Wäschestück war entsetzlich traurig, aber ganz plattgedrückt. Zu meiner Verwunderung bezog die Menge vor dem Häuschen die Andeutung der jungen, weißen Frau nicht auf sich, sondern starrte lautlos auf den weißen Kopf. – Ich bemerkte wohl, das Taschentuchgesicht hatte Ähnlichkeit mit dem malträtierten weißen Menschen in den früheren Häuschen. Aber was sollte ich mir denken, als ich denselben weißen Menschen im gleichen Häuschen hinter der jungen Frau in hockender Stellung über die Szene laufen sah!? Mit dem gleichen Gesicht, das schon einmal auf dem Taschentuch war!

      Was für eine Komödie! rief ich immer wieder. Wie possierlich und traurig ist das alles zu gleicher Zeit! Die Häuschen hatten viel Ähnlichkeiten mit den Puppentheatern auf unseren Jahrmärkten, vor denen die neugierige Menge dichtgedrängt steht und lacht und weint. Und nun kam mir folgende phantastische Vorspiegelung: Ich dachte mir: der tiefdunkelblaue Sternenhimmel da droben ist ein blauer Vorhang, der senkrecht auf dem Bergeskamm aufsitzt. Und die Häuschen sind herausgeschobene Kulissen, Stationen, kleine, giebelförmige Miniaturtheater, und hinter dem Vorhang stehen große, gewaltige Riesen, Götter, allmächtige Schauspieler, kurz, größere, als wir Menschen sind, die durch die Häuschen mit uns Menschen in Verbindung stehen und aus dem Hintergrund der Häuschen ihre Riesenfinger herausstrecken. Und an jedem Finger haben sie eine weiße Puppe, und mit diesem Puppenspiel und Theaterwerk ergötzen sie uns und rühren uns zu Tränen.

      Aber ein Vorgang in einem der folgenden Häuschen riß mich plötzlich aus meinen Träumereien und belehrte mich, daß ich nicht träumte, sondern wachte, denn diesmal ging die Sache nicht still und lautlos ab, wie bisher. – Das Häuschen lag knapp vor der Spitze des Berges. Offenbar hatte ich einige Häuschen mit dem Auge überschlagen, da sie hinter Tannen versteckt waren; denn der Vorgang stand außer Zusammenhang mit dem vorhergehenden. Da wurden demselben weißen Menschen die Kleider vom Leibe gerissen; eine von den weißen Puppen hieb ihm mit einem Prügel auf den Kopf, auf welchem ein eigentümlicher Kranz befestigt war, derart, daß ihm das weiße Blut über die Wangen lief. Ein anderer ballte ihm mit kniffiger Miene die beiden Fäuste so nahe vor dem Gesicht, daß man glauben konnte, im nächsten Moment erwürge oder erschlage er ihn. Eine große Menge weißgepuderter Menschen lachte außerdem aus dem Häuschen heraus, so zahlreich, daß sie alle in der Lünette nicht Platz hatten, ja einige, wie um ihre höhnische Freude über den Vorgang denen draußen nicht entgehen zu lassen, streckten seitlich, da wo der Stein schon abschnitt, noch ihre grinsenden Köpfe heraus. – Also ist hinten ein Theaterraum! sagte ich zu mir selbst, und einzelne der weißen Figuren laufen vielleicht hinter den Häuschen unbemerkt den Berg hinauf, um in einem späteren Bild als Statisten wieder mitwirken zu können!

      Die schwarzen Marionetten vor dem Häuschen waren außer sich vor Wut und Verzweiflung über die Behandlung, die dem weißen Menschen geschah. In ganzen Gruppen, zu sechs oder sieben, mit sechs, sieben Händen starr hindeutend, die Augen glotzig, mit käsigen Mienen, verschlangen sie den Vorgang. Einige ältere Frauen hoben jüngere, ihre Mündel und Nichtchen, hinauf, um das Schreckliche zu betrachten. Andere liefen wie besessen auf und ab, weil sie den richtigen Platz nicht finden konnten. Ich konnte es nicht hören, aber offenbar weinten und schluchzten viele in entsetzlicher Weise. Trotzdem war der Vorgang

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