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nicht aufrechthalten und fiel schluchzend in die Kissen des Bettes zurück.

      Die Menschenfabrik

       Inhaltsverzeichnis

      Oft bin ich ganz verwirrt. Die Menschen um mich herum erblassen zu Schattenbildern, die wie wertlose Puppen auf und ab taumeln, und ein neues, farbiges Menschengeschlecht, von meiner Phantasie beordert, steigt aus dem Boden herauf, mich mit seinen erschreckten Augen anblickend.

      Tieck

      Wer viel zu Fuß gereist ist, bekommt allmählich eine so große Übung in Beurteilung des Standes der Sonne sowohl wie der Wegstrecken seiner Reise-Karte, daß er genau weiß, wann er von einem Ort aufbrechen muß, um sicher noch vor Eintritt der Dunkelheit das von ihm als Nacht-Quartier ausersehene Dorf oder Städtchen zu erreichen; ihm ergeht es nicht so wie dem Verfasser dieses vor mehreren Jahren, als er erst kurz zum Wanderstock gegriffen hatte und sich eines Abends von der Dunkelheit überrascht sah und, unfähig, eine Land-Karte oder den Kompaß zu Rate zu ziehen, seit zwei Stunden mutterseelenallein auf der Landstraße hingetappt war, müde, hungrig, ohne Ansprache und ohne Direktion. Es war im östlichen Teile Mittel-Deutschlands, und ich weiß wahrhaftig nicht mehr, in welcher Provinz oder in der Nähe welcher größeren Stadt, was auch zur Beurteilung der folgenden Komödie ohne jeden Belang ist. – Nachdem ich zur Einsicht gekommen, daß Stehen-Bleiben zu nichts führe und die Feuchtigkeit des Bodens das Aufschlagen des Nachtquartiers auf freiem Feld verbot, beschloß ich, unter möglichstes Schonung meiner Kräfte ruhelos weiter zu wandern, und wäre es auch die ganze Nacht, da bei der bekannten Bevölkerungs-Dichtigkeit Deutschlands ich über kurz oder lang auf irgendeine menschliche Niederlassung stoßen müsse. Meine Ausdauer wurde auch mit Erfolg belohnt, insofern, als ich das, was ich suchte, fand: ein Nachtquartier. Ob das Nachtquartier als solches ein Erfolg zu nennen war oder ob der Verfasser nicht besser getan hätte, in der schmutzigsten Pfütze auf der Landstraße zu übernachten, möge der gütige Leser am Schlusse dieser Erzählung beurteilen, denn nur die vertrackten Ereignisse dieser einzigen Nacht werden Gegenstand der folgenden Blätter sein.

      Es war vielleicht kurz vor zwölf Uhr nachts, als ich, der beim Marschieren immer den Kopf drunten am Boden hatte, plötzlich ein riesengroßes, schwarzes Gebäude nur wenige Schritte von der Landstraße vor mir auftauchen sah; dasselbe schien, soweit man bei der Dunkelheit urteilen konnte, aus mächtigen Quadern sehr solid gefügt, war mehrere Stock hoch, hatte diverse Hinter-Bauten, Remisen, Maschinen-Häuser, Schornsteine, kurz, eine weitläufige, offenbar industrielle Anlage. Ich sah kein Licht; trotzdem war ich fest entschlossen, mich anzumelden; ein fein bekiester Weg führte von der Landstraße zum Eingangstor. Hübsche Anlagen rechts und links bewiesen eine gewisse Wohlhabenheit des Besitzers ebenso wie dessen Kunstsinn und Liebe zur Natur. Ich läutete. Ein schneidendheller Ton fuhr durch das ganze Haus, dessen Gänge und Korridore, nach dem Echo zu schließen, gewaltige gewesen sein mußten. ›Das wird eine schöne Störung verursachen!‹ dachte ich mir. Aber zu meiner größten Überraschung hörte ich sogleich Tritte in meiner nächsten Nähe; eine Türe wurde aufgemacht; ein Schlüsselbund raschelte; im nächsten Moment öffnete sich das schwere, braun angestrichene Einfahrts-Tor, und vor mir stand ein schwarzes kleines Männchen mit freundlichem, glattrasiertem Gesicht und frag mich mit einer stummen Geste nach meinem Begehr. – »Entschuldigen Sie die Störung so spät in der Nacht«, – sagte ich – »was ist das wohl für ein Haus?« – »Eine Menschenfabrik.« Nun bitte ich den Leser, bevor wir weitergehen, sich durch nichts, durch keine Frage, Antwort oder Bemerkung, und wäre sie die verrückteste, davon abhalten zu lassen, diese Geschichte zu Ende zu lesen. Wir hören, sehen oder lesen im Leben oft viel sonderbarere Dinge, als die obige Antwort anzudeuten scheint, ohne gleich davonzulaufen oder das Buch zuzuschlagen. Hauptsache ist, daß man nicht den Kopf verliert, die Fakta ruhig auf sich einwirken läßt und dann eine Verständigung sucht. Zur Sache selbst möchte ich bemerken, daß, wenn in einem zusammengesetzten Substantiv das eine Wort zur näheren Erläuterung oder Erklärung des anderen dient, dieses letztere meist subjetivisch zu nehmen ist, während das erste am besten durch einen Relativ-Satz aufgelöst wird. Da ich nun keinen Grund hatte, anzunehmen, daß in diesem merkwürdigen Haus andere grammatikalische Regeln herrschen als in den übrigen deutschen Landen, so verstand ich unter »Menschenfabrik« eine Fabrik, in der Menschen fabriziert werden. Und das war ganz richtig. Und nun will ich den Gang der Erzählung nicht länger aufhalten, als ich selbst sprachlos und wie niedergedonnert vor dem kleinen Männchen dastand, unfähig, kaum einen Gedanken zu fassen, geschweige eine passende Rede vorzubringen, bis der freundliche Alte, nicht im mindesten ungehalten über meine Zögerung, mich durch eine Handbewegung aufforderte, einzutreten. Ich trat nun in den Hausflur und brachte so viel durch Sammlung meiner Gedanken zuwege, daß ich, ihm in die Augen blickend, sehr höflich bemerkte: »Sie meinen das nur bildlich!? – Sie wollen damit nicht sagen, Sie fabrizieren Menschen!?« – »Ja, wir machen Menschen!« – »Sie fabrizieren Menschen? Was heißt das?« rief ich jetzt aufs höchste erregt. Im geheimen aber stieg in mir ein Gedanke auf, daß es mit dem Mann oder mit dem Haus nicht in Ordnung sein könne. Der alte Mann schien meine Verwunderung nicht zu bemerken oder nicht zu beachten, sondern sagte, auf eine Glastür hinweisend, zu der wir inzwischen weiterschreitend gekommen waren, »Bitte, wollen Sie hier eintreten!« – »Menschen,« – rief ich – »das kann nicht wörtlich zu nehmen sein, das ist ein Bild, eine Redeblume, Sie können nicht Menschen machen wollen, wie man Brot macht?!« – »In der Tat,« – rief das alte Männchen fast freudig und gar nicht alteriert, etwa im Tone, wie der Kustos einer Galerie sagt: Ja, das berühmte Bild, nach dem Sie fragen, das ist bei uns – »in der Tat, ich akzeptiere Ihren Vergleich – wir machen Menschen, wie man Brot macht.« – Wir waren in einen mit breiten Stein-Fliesen belegten Korridor gekommen: in den Fenster-Ecken, die zum Hof hinausführten, standen große hölzerne Spucknäpfe, mit fleckigem, weichem Sägmehl aufgefüllt; man konnte schließen, daß hier bei Tag viele Leute vorbeipassieren. Alles trug den Charakter der Salubrität und rationellen Bewirtschaftung; die Winde frisch geweißt, die Bemalung einfach, aber sorgfältig. – Ich schaute mir noch einmal den alten Mann an; er schien so nüchtern, fleißig, benevolent zu sein; sein Alter und seine Gemessenheit schienen jede Neigung zu Phantastik oder dummen Scherzen auszuschließen. Ich kratzte mir im Ohr herum, ob sich dort ein Sieb befände, welches die Worte und ihren Gehalt verstelle. – »Menschen!« – sagte ich zu mir – »Menschen« – sagte ich dann ganz laut – »machen Sie; aber wozu? Zu welchem Zweck? Zugegeben, Sie machen sie; aber wozu Menschen machen, wenn sie kostenlos täglich zu Hunderten geboren werden? Was sind Ihre Art von Menschen? Wie kommen Sie zu der ganz ungeheuerlichen Idee? Wer sind Sie? Sind Sie ein im Mittelalter stehengebliebener Phantast und brüten über zauberische Theoremata eines Dr. Faustus, die die Neuzeit längst vergessen? Wo bin ich hingeraten? Bin ich zu weit ostwärts gekommen in eine orientalische Zauberküche? Oder bin ich in einem abendländischen Narrenhaus? Reden Sie! Wiederholen Sie Ihre Antwort! Was ist das für ein Haus?« – Mein Begleiter schien über die Flut meiner erregten Fragen nicht im mindesten bestürzt; er sah ruhig vor sich auf den Boden hin, als kontrolliere er die Genauigkeit der Arbeit des Steinlegers, eine Gleichgültigkeit, die mich noch erregter und furchtsamer machte, und sagte dann mit einiger Gemessenheit: »Sie stellen in einem Atemzug viele Fragen. Ich will versuchen, sie von rückwärts zu beantworten. Aber ich mache Sie gleich darauf aufmerksam: Durch Sehen und Beobachten werden Sie auf unserem Rundgang mehr begreifen und kennenlernen, als ich erklären und Sie fragen können. Also nochmals: Dies Haus ist eine Fabrik!« – »Und Sie fabrizieren?« – ergänzte ich fast schnaubend. – »Menschen!« – Menschen, Menschen, sagte der Mann mit unverbrüchlicher Ruhe. Ich versank in ein tiefes Hinbrüten, das mein Begleiter nachsichtig genug war, nicht zu stören. Alle die hundert Fragen, die sich an ein so plötzlich einem in den Weg geworfenes Wort wie »Menschenfabrik« sternschnuppenartig anschließen, zogen gedrängt durch mein Inneres, weil die Zunge sie nicht rasch genug zu bewältigen vermochte. Menschen, sagte ich zu mir selbst, gut! Der Gedanke ist nicht schlecht; aber wozu sie fabrizieren, und mit welchen Hilfsmitteln? Mein Begleiter nahm mich sanft beim Arm und wollte in den ersten Saal treten. »Halt! – Noch eine Frage,« – rief ich – »bevor wir weitergehen: Tun Ihre Menschen denken?« – »Nein!« – rief er sofort mit dem Ton absolutester Sicherheit und nicht ohne den Ausdruck

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