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als der Mond bekannt ist. – Ich fühlte, ich kam wieder ins Kombinieren hinein, und es werde wie alle vorherigen Male zu nichts führen; aber die Luft war so mild, und das Niedersteigen ging so glatt und regelmäßig vor sich: ich konnte mein Gehirn nicht zwingen, eine andere Gedankenrichtung zu nehmen, und so mag denn die Walze in der Musikdose da droben zum letzten Mal ablaufen: die Assyrer, – fuhr ich fort, – sind das älteste Volk, die des Mondes erwähnen; sie kannten seine Phasen, und waren überhaupt durch ihre gründliche Himmelsschau die Nation, die den Grund zur Astrologie legte; seit ihnen kann sich nichts Wesentliches in den Mondverhältnissen, wie das Beziehen des Mondes, das Hinaufsteigen, das Abheben der Monddächer, das Herunterschleppen des Vollmondes u.s.w. ereignet haben, weil sie es sonst, entweder selbst, oder die nach ihnen kommenden und ihre Studien aufnehmenden Völker, wie die Griechen und Römer, entdeckt haben würden. Also so, wie der Mond heut’ ist, so muß er seit drei-bis viertausend Jahren gewesen sein. Dann ist der Mondmann nur der Nachkomme einer seit urdenklichen Zeiten das Mondhaus bewohnenden und die Mondgeschäfte besorgenden Familie, wobei zwar in der Weise eine Ergänzung von der Erde aus stattgefunden haben mag, als eine Schwiegertochter, – so lange der Mannesstamm nicht erloschen war, – oder, in diesem Falle, ein Schwiegersohn hinaufgeholt wurde zur Sicherung der Nachkommenschaft und zur Sicherstellung des Gewerbs, – ähnlich wie das Scharfrichter-Metier oder sonst absonderliche Berufsarten sich durch eine lange Reihe von Jahren in derselben Familie heimisch erhalten. – Nun ist bis auf die Assyrer zurück nie ein Fall beobachtet wurden, wonach ein Herabsteigen oder Besteigen des Mondes vorgekommen oder belauscht worden wäre. Und zufällig trifft es sich, daß dasjenige Volk, welches noch älter ist als die Assyrer, und das uns, wenn es Überlieferungen hätte, sagen könnte, ob es auch schon den Mond am Himmel gesehen hat, die Zigeuner sind. Und zufällig ist es, daß, wie wir auf dem Wege der Vermutung oben schon gefunden haben, dieses das Volk ist, das durch seine natürlichen Bedürfnisse, wie durch seine hochentwickelte Intelligenz, auf die Erbauung einer Sicherheitswohnung in den unzulänglichen Höhen des Himmels sich angewiesen sah. Und ein dreifacher Zufall ist es, daß, während alle die alten Kulturvölker ausgestorben sind, dieses auf die prekärsten Bedingungen zur Erhaltung seines Stammes angewiesene Zigeuner-Volk heut noch lebt, und mit schiefen Augen zum Mond hinaufschaut, als erkennte es da oben ein von ihrer Weisheit mitten in den Himmel hineingeschobenes glänzendes und göttliches Monument. – Summa: Das Mondhaus oder der Mond ist eine vor den Assyrern und vor aller Überlieferung in den Himmel hineingebaute Zigeuner-Wohnung. Fragt sich: Wie bleibt das Mondhaus schwebend? – Die Gastheorie habe ich lang und breit oben schon besprochen. Aber alle Steinkohlen der Erde, glaube ich, würden nicht zu dem Gasquantum ausreichen, um seit bald viertausend Jahren eine Kinderstube mit zweiunddreißig Insassen, mit Proviant, Teerfässern und Käsen in dieser Höhe am Himmel schwebend zu erhalten! – Aber was konnte eintreten? – Der Zigeuner konnte einmal seinen Ballon zu stark gefüllt haben, und durch die energische Aufwärtsbewegung gelangte das Mondhaus bis in den Bereich der Anziehungskraft der Sonne, und die schließliche ungeheure Höhe der Zigeunerwohnung war das Resultat der einander entgegenwirkenden Anziehungskräfte. Sonne und Erde. Aus dieser Höhe war ein Herabziehen des Mondhauses nicht mehr möglich. Aber bald merkte der Zigeuner, daß nun auch der Ballon überflüssig war. Er kappte also den Ballon über seinem Haus, und nun nahm er seine Strickleiter, die zwanzig oder dreißig mal zu kurz war, um die Erde zu erreichen, und spaltete sie, um nicht zu verhungern, in ebenso viele Teile, und da sie von Haus aus dick und fest war, gelang es; und wie einer, der bei einem Brand sich an einem zerschlitzten Bettuch drei Stock hoch herunterläßt, so ließ sich unser Zigeuner mit der zusammengeknüpften Strickleiter auf die Erde hinab; und unten kaufte er zunächst allen Hanf zusammen, den er kriegen konnte, und baute sich so erst eine sichere Verbindung mit der Erde. – Aber bald merkte er, daß sein Holzdach oben von der Sonne in Brand gerate, und jetzt erst legte er Teerpappen auf, und als diese regelmäßig sich entzündeten, aber ohne dem eigentlichen Dach zu schaden, nahm er sie regelmäßig ab und ersetzte sie durch neue, und die glühenden brachte er als Vollmond hinunter auf die Erde und verband mit diesem Gang gleich den der Verproviantierung; und der alte Zigeuner, der ursprünglich zum Stehlen sich ein Haus in die Luft baute, blieb jetzt droben – aus Gewohnheit. Und pflanzte sein Geschlecht und sein Metier fort. Und wenn er keine Zigeunerin bekam, holte er sich eine Assyrerin mit hinauf. Und sein Enkel vielleicht eine Lydierin. Und im Wechsel der Völker seine Nachkommen eine Griechin oder Römerin. Und noch später eine Gothin. Und allmählich wurde das Interieur des Mondhauses germanisch. Und der Letzte seines Geschlechts holte sich eine Krefelderin oder Xantnerin. –

      Es wurde bitter kalt. Und der Leser, der über die soeben gemachten Ausführungen spöttisch lächelt, oder bedenklich den Kopf schüttelt, möge bedenken, daß ich mich zwischen Himmel und Erde befinde, und daß mein Herz, fast zerspringend vor Heimweh und Freude, im Begriff war zur Erde, wie zu einer Mutter, zurückzukehren. Die Kälte brachte mich auch zurück zu meiner Steig-Arbeit. Ein feuchter Dunst lag auf meinen Kleidern und auf meinen Haaren, ein Zeichen, daß wir den Dunstkreisen der Erde immer näher kamen. Wir mochten an die vier Stunden schon gestiegen sein. Es war aber noch immer stockfinster. Trotzdem glaubte ich, daß wir dem Tag näher waren, als der Nacht, denn die dämmrige Ausbreitung unter mir war eher heller geworden. Schwarze, gigantische Figuren mit insektenhaften Beinen sah ich unter mir lautlos sich hin und her bewegen. Ich glaubte, wir passierten jetzt das Reich des Dämonen, welches nach der mittelalterlichen, theologischen Anschauung zwischen Erde und Himmel inzwischen lag; es waren aber die Schattenbilder von Mondmann und mir, die von der glostenden Mondkugel auf die Nebelmassen unter uns geworfen wurden. Bald tauchten wir auch in den Nebel ein und sahen nun gar nichts. Trotzdem wurde es immer lichter und zweifellos war für die Erde die Sonne im Begriff des Aufgehens. Sonach war diesmal der Mondmann um viele Stunden später daran, als vor zwei Monaten, wo er gegen Mitternacht unten landete. Ein eigentümliches Sausen drang von unten herauf; waren es die von der nahenden Sonne bewegten Luftmassen, oder waren es die Wälder, oder die Flüsse, oder das Meer, – kurz, ich fühlte, wir seien in nächster Erdennähe. Ich überlegte genau, welche Gänge ich zuerst machen werde, um meine Verhältnisse in Leyden, besonders der Universität gegenüber, zu ordnen, – als mich plötzlich ein schrecklicher Gedanke überfiel: wir konnten ja ebensogut in Panama oder auf Hawaï herunterkommen, und ich war dann ohne Hilfsmittel unter Fremden oder Wilden, und eine halbe Weltkugel von meiner Heimat entfernt. Ich beschleunigte meine Kletter-Arbeit. Der dicke Nebel gab mir Hoffnung, daß wir uns in einem kalten und feuchten Klima befanden. Nach etwa einer Viertelstunde tauchten wir aus dem Nebel heraus, und – unter mir lag eine stark angereifte Wiese; es fiel mir ein, daß es jetzt Januar sein müsse; von einer Erkennung der Gegend war keine Rede; aber der Tag war entschieden im Anbrechen; nach etwa zehn Minuten kam ich gegen das Ende der Strickleiter. Zu meinem Schrecken sah ich, daß die Leiter nicht ganz zum Boden herabreichte, gleichzeitig aber auch bemerkte ich, daß sie umgeschlagen, und das umgeschlagene Ende weiter oben festgebunden war. An ein Losbinden dieses Stückes war aber für mich nicht zu denken, weil ich schon über die Stelle weg war. Jetzt noch vor Torschluß, mit dem Mondmann in Konflikt geraten, war gar nicht nach meinem Geschmack. – Ich stieg also zunächst bis zur letzten Sprosse herab, um Umschau zu halten. Und da nur wenige Meter bis zum Erdboden fehlten, so nahm ich zum letztenmal die Courage zusammen, und ließ mich fallen. Ich kam zwar nicht sehr sanft auf dem gefrorenen Boden an, aber doch ohne mich zu verletzen; trotzdem konnte ich nicht gehen, geschweige fortlaufen, wie ich beabsichtigt hatte, denn ich wollte vom Mondmann und seinen Geschäften nichts mehr sehen noch hören. Ich merkte, daß es die Ungewohnheit war, mich auf dem Erdboden fortzubewegen, denn ich machte lauter falsche Bewegungen und stieß überall an. Mit Mühe schleppte ich mich wenigstens von dem Platze weg, wo der Mondmann herunter kommen mußte, und bald war Mondmann, Strickleiter und Mondkugel für mich im Nebel verschwunden. Eine furchtbare Last, fühlte ich, löste sich jetzt von meinem Herzen. Und diese war so groß, daß ich über die Angst, ich könnte in einem fremden Lande sein, laut hinauslachte. Bald konnte ich meine Füße wieder richtiger gebrauchen. Ich ging in der eingeschlagenen Richtung weiter. Und nach wenigen Minuten erkannte ich halb im Nebel und von der etwas durchbrechenden Sonne fantastisch beleuchtet den Kirchturm von D’decke Bosh. Wir waren also, wenn auch nicht ganz genau an derselben Stelle, doch in nächster Nähe davon gelandet, wie vor zwei Monaten. Trotzdem konnte ich mich nicht allsogleich in der winterlichen Gegend orientieren. Und als ein Bauer aus der Richtung von D’decke Bosh herkam, frug ich ihn nach dem Weg nach Leyden. Dieser Bauer muß mir angemerkt haben, daß

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