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aufweisen, der auf seinen vielfachen Hin-und Herzügen oft bestohlen worden ist, selbst aber fleißig stiehlt, dessen blaue Holzwägen oft angezündet wurden, der aber selbst schon fleißig Bauernscheunen angesteckt, um das davonfliehende Federvieh sich anzueignen, der also durch diese Beschäftigung und Unbilden die meiste Erfahrung besitzt, wie man sich gegen Brand und Diebstahl am besten schützt, – sollte der, auf diese Weise mit großer Überlegung und Erfindungsgabe ausgerüstet, nicht auf die Idee kommen, sich ein einfaches, leicht konstruiertes, aber wohnliches und gegen Wind und Regen schützbares, vor Diebstahl und Brandlegung sicher gestelltes Wohnhaus in gemessener Entfernung vom Erdboden zu bauen, das er verlassen kann, wann er will, in das aber kein Fremder hineinsteigen kann, wenn er, der Mondmann, – ich wollte sagen, der Zigeuner, – nicht will? Dasselbe müßte mindestens soweit entfernt sein, daß, sagen wir, ein Büchsenschuß es nicht erreichen kann; damit fällt natürlich die Stange, die es tragen könnte, die Unterlage, von selbst weg; wenn möglich, sollte es aber auch mit dem bloßen Aug’ nicht gesehen werden können; damit die betreffende Gegend nicht aufmerksam würde und all ihr Hab und Gut versteckt. Auf der anderen Seite aber dürfte es auch nicht zu entfernt vom Erdboden sein, um die Steige-Arbeit und die Verproviantierung nicht zu mühevoll zu machen. – Was aber die Verproviantierung anlangt, was wäre wohl diejenige Nahrung, die der Zigeuner sich aussuchen würde, und die die eine Bedingung erfüllen müßte, daß sie konsistent und eine Ergänzung des Vorrats so selten wie möglich nötig machte? – Gestohlene Hühner? – Gewiß nicht! Denn abgesehen davon, daß sie tot, also geschlachtet, sich nur wenige Tage hielten, – lebend aber leicht wegfliegen könnten, – dürfte doch so hoch oben nicht gebraten werden und zwar wegen der Feuersgefahr; die ganze Bude könnte ihm ja eines Tages wegbrennen, und der arme Kerl, der seine Steige-Vorrichtung nicht schnell genug losbringt, stürzte zerschmettert auf die Erde. – Kondensierte Kindermilch? – Noch weniger! – Denn zu deren Zubereitung gehörte ja Wasser, und Wasser dahinauf zu schleppen würde der überlegende Zigeuner wohl bleiben lassen. – Aber was meint der verehrte Leser zu: Käse? – Käse wäre wohl ein intensives, zusammengedrängtes, eine Neu-Verproviantierung selten nötig machendes Nahrungsmittel, welches dem Mais der Italiener und dem Reis der Chinesen keck die Waage halten könnte. – Selbstredend: Gestohlene Käse. – Ich will den Leser nicht durch weitere überflüssige Fragen ermüden, oder ihm Gelegenheit zu unüberlegten Antworten geben, – aber, wenn die Bedachung dieser in Holz ausgeführten Wohnung in Frage käme, mit der Forderung, daß es ein möglichst leichtes Material sein müsste, – nicht wahr, Teerpappe wäre der geeignete Stoff? Und die Bedachung müßte ganz herum gehen, weil bei der außergewöhnlichen Höhe Wolken und Niederschläge und Entladungen auch unterhalb der hölzernen Wohnung vor sich gehen könnten? Und nicht wahr, bei lang andauerndem Auffallen der Sonnenstrahlen könnte die Bedachung in Brand geraten, und müßte dann schleunigst durch eine neue ersetzt werden? – Welche Gestalt aber würde das Haus annehmen? – Gothisch oder Byzantinisch? – Zunächst doch wohl rund, um dem Wind so wenig wie möglich Gelegenheit zu geben, sich zu fangen, und das Haus herumzudrehen. – So eingerichtet aber und im Innern mit einigen Bequemlichkeiten versehen, wäre es dann nicht eine vollkommen sichere Zufluchtsstätte für einen geschickten Dieb, – unerreichbar für alle Nachstellungen, Polizisten, Bauern, Grenz-Plackereien, Rekruten-Aushebungen, Steuer-Einnehmer, Feuer-Beschau, Kriegs-Tumult, Überschwemmung? – Der Zigeuner, wenn er Hunger hätte, stiege über irgend ein friedliches holländisches oder deutsches Dorf hinunter, macht seine Saltibank-Kunststücke, die er in seiner Jugend erlernt, nähme mit, was zu erhaschen wäre und kehrte mittelst seiner sorgfältig hinter einem Busch versteckten Leiter in seine Wohnung zurück. – Später vielleicht käme er auf die Entdeckung, daß man Nachts stehlen könne ohne Saltibank-Kunststücke zu machen; er stiege nur noch Nachts herunter und würde sich nicht mehr produzieren. – Noch später käme er auf die Idee, das in ihm repräsentierte höchst erfindungsreiche Diebs-Geschlecht fortzupflanzen. Und er ginge eines Tags auf einen Jahrmarkt, wo seine früheren Kunst-Kollegen sich produzieren, und würbe um die Gunst einer leichten, sein luftiges Wohnhaus nicht zu schwer belastenden Zirkus-Reiterin, die er auf seinen Schultern hinauftrüge. – Und er zeugte Kinder mit ihr und ernährte seine Familie durch Fleiß, Ausdauer und Geschicklichkeit im Stehlen; und schaffte Mobiliar und Bettzeug hinauf. Aber zuletzt würde er alt und gebrechlich, und sie dick und zornig, und die Kinder, die nie eine Schule besucht, und nie Menschen, und die Erde nur aus höchster Entfernung, gesehen, wären verdummt und Idioten geworden. – Und da kein Knabe da, der das Gewerbe des Vaters übernähme, so zögen die Sorgen ein in dies ursprünglich so genial erdachte Haus!

      Während ich so unter meinen Bett überlegte und simulierte, entstand plötzlich eine heftige Schwankung am Mondhaus, der mehrere größere Oszillationen folgten; da ein eigentlicher Stoß nicht hörbar, so war das Karambolieren mit einem Himmelskörper, woran ich zuerst gedacht hatte, unwahrscheinlich. Aber wie aus einem Mund sagten gleich darauf die dreißig Kinder, die inzwischen unter der Aufsicht der Mondfrau wieder ihre Spinn-Arbeit vorgenommen hatten: »Jetzt ist er drunten am großen Käs!« – Und die Mondfrau setzte nach einiger Zeit mit einem Seufzer hinzu: »Ja, jetzt ist er drunten!« im Tone, wie etwa eine Mutter zu den sich nach dem Papa erkundigenden Kindern trübselig sagt: Ja, der Vater ist im Krieg! – oder: Der Vater, der liegt vor Belgrad! – In Wahrheit aber setzte die Mondfrau ganz trocken hinzu: »Der hat wieder schön lang gebraucht!« – so daß ich mich über die sentimentale Stimmung der Alten doch getäuscht hatte. – »Nicht wahr auf Amerika-Land?« – frug dann noch ergänzend eines der älteren Kinder. Diese Frage frappierte mich über die Maßen.

      Ich will den Leser nicht mit all den Kombinationen belästigen, die ein scharfsinnigerer Erzähler als der Verfasser, – sagen wir: Edgar Poe, – aus dem einzigen Wort »Amerika-Land« in dem Mund des einen Kindes zu ziehen sich berechtigt hielte, und damit wieder um zehn unnütze Seiten das Ende der Erzählung hinausschieben; – aber der Leser wird zugestehen, daß das Wort zu denken gibt; weniger in der Richtung der Annahme, daß ein kleiner Ansatz zur Schulbildung bei den Mondkindern doch vorliege; das Wort »Amerika-Land« konnte ja rein mechanisch nachgeschwatzt sein; sondern der Schwerpunkt liegt darin, daß das ominöse Wort von einem der beiden Eltern auf dem Mond faktisch ausgesprochen worden sein muß; denn daß die Kinder die Mondstube nie verlassen hatten, darüber konnte kein Zweifel sein; daß aber ein so distinkter Laut-Begriff und Begriffs-Wert wie »Amerika-Land« zu gleicher Zeit und unabhängig voneinander auf zwei Weltkörpern, die ohne Verbindung sind, entstehen könne, das macht mir niemand weis. – Also muß das im Mond-Haus von einem der beiden Eltern ausgesprochene Wort von der Erde stammen; also muß eines der beiden Eltern auf der Erde, und dort in der Schule gewesen sein; und da ich schon ungefähr fünfzehn Seiten vorher die Mondfrau ausdrücklich, und unter Anführung unwiderleglicher Beweisgründe, als eine Xantnerin (oder Krefelderin) angesprochen habe, so bleibt bezüglich des Mondmannes nur die eine Frage: Ist er auch ein Erdenkind, ein Holländer und dergleichen, oder gehört er einem spezifischen Mondgeschlecht, einer erhabenen Götterverbindung, einer transcendentalen Himmels-Familie, mit einem Wort, einer Wesens-Reihe sui generis, d.h. einem jeden Vergleich mit uns armen Erdenwürmern ausschließenden Geschlecht an? – Ich sah den vertrackten, gelb-sittenen, gallig verkränkelten Mondmann jetzt wieder deutlich vor meinem Auge, wie er über das frische Saatfeld bei D’decke Bosh hinschlich, mißtrauisch und vorsichtig seine Schaufel hervorziehen, und keuchend und schwitzend, und manchmal fluchend, seine Arbeit verrichten, wie ein alter Bauer, der verspekuliert hat, und auf seine alten Tage noch einmal arbeiten muß. – Wenn das ein Gott ist, – sagte ich mir, – dann ist es ein kranker Gott. –

      Der Leser und ich wurden durch den heftigen Stoß am Mondgehäuse in der Weiter-Entwickelung einer Theorie unterbrochen, welche die Erklärung meiner bisherigen Ergebnisse auf natürlichem, wissenschaftlichen Boden beabsichtigte. Ich hatte den Versuch unternommen, einen schlauen und vorsichtigen Zigeuner sich ein rundes Haus in kecklicher Entfernung vom Erdboden konstruieren zu lassen, mittelst einer Leiter dasselbe zugänglich zu machen, dort oben die Frucht seiner Ersparnisse und Diebstähle zu bergen, schließlich sich ein Weib hinaufzuholen und für zahlreiche Nachkommenschaft zu sorgen. Der Leser wird mir vielleicht zum Vorwurf machen, einen Hauptpunkt in dieser ganzen Erörterung unbeachtet gelassen zu haben, nämlich: wieso denn dieses Zigeunerhaus da drohen schwebend erhalten werden soll; und er meint, daß ich die Beantwortung dieser Frage an die Spitze der ganzen Theorie hätte stellen sollen. – Gut, ich gebe zu, daß ohne das

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