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persönlichen Gefahr wegfiel, ein Strich-Reflex auf dem Rucksack der Mondfrau, schon durch die Farbe, die Silhouette, die ganze Konstellation, tausendmal mehr Interesse erweckte, als etwa die Frage, ob besagter Reflex vielleicht, da wir auf dem Mond waren, von der vollbeleuchteten Venus in ihrer Mondnähe herrühren könne. – Ich mache diese Bemerkung, weil wir jetzt vor dem astronomisch jedenfalls wichtigsten Ereignis meines Mond-Aufenthaltes stehen. Und ich mache sie, um jede Frage mathematischer, physikalischer oder sonst welcher Natur, die nur dazu führen kann, meine Unwissenheit zu konstatieren, abzuschneiden. – Nachdem nämlich die Dämmerung in ziemlich gleichmäßiger Weise vierzehn Tage gedauert hatte, während welcher Zeit die Sonne mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf der fensterlosen Rückseite des Mondes stand, wurde es – Nacht! – Ja, Nacht wurde es, nicht Tag, wie ich und vielleicht mancher Leser erwartet hatte. Warum? – Ja, das weiß ich nicht. Es wurde aber Nacht. Und ich bitte den Leser, alle folgenden Ereignisse in diesem Licht zu betrachten; oder so, als gingen sie im Mondkeller vor sich. Und damit weiß der Leser auch, daß wir in der zeitgerechten Abwicklung der Begebenheiten um weitere acht Tage fortgeschritten sind. Irgendwie Hervorragendes war nämlich seit dem letzten Dienstag, der oben erwähnt ist, nicht vorgekommen. – Ein Nachttopf zerbrach. Die Klagen über das Nicht-Ausreichen der Käse wurden mit dem Dünnerwerden der Käseproportionen immer größer. Ich selbst schränkte jetzt meine Magen-Bedürfnisse etwas ein, um mich als Mitesser nicht allzu fühlbar zu machen. – Aber ein interessantes, wenn auch kurzes Zwiegespräch zwischen den beiden Gatten, ebenfalls über die Käse, muß ich doch ganz hierhersetzen: Die Mondfrau verlangte nämlich, er solle in der Zwischenzeit, sie meinte wohl, unter dem Monat, hinuntersteigen und Käse holen. Er verneinte kopfschüttelnd. Die Alte war taktlos genug, darauf hinzuweisen; das Hinausstürzen der Käse aus der Kellerluke vor acht Tagen, oder wann es war, sei seine Schuld gewesen; folglich müsse er für Ersatz sorgen. – »Ich darf nicht!« erwiderte der Mondmann. – »Wir verhungern!« entgegnete die Alte. – »Ich darf nicht,« – wiederholte der Mondmann, indem er sich aufrichtete und mit drohender Miene den rechten Arm erhob – »ich darf nicht ohne Mond hinuntersteigen!« – – Ich darf nicht ohne Mond hinuntersteigen! – Von diesen Worten ging etwas wie ein helles Licht auf alle die sonderbaren Gepflogenheiten dieses merkwürdigen Menschen aus. Er durfte nicht ohne Mond hinuntersteigen. War denn der Mondmann durch irgend welche Gesetze gebunden? Faßte er sein Verhältnis zur Erde als ein ethisches auf? – Oder lieferte er den Vollmond jedesmal am Schluß des Monats an einen holländischen Spekulanten ab? – Hatte der Mondmann Religion? – Was war der tiefere Grund dieser merkwürdigen Phrase? – Ich weiß es nicht. –

      Wir waren also jetzt in vollständige Nacht gehüllt. Und war der Aufenthalt auf dem Mond bis dahin erträglich, so wurde er jetzt ein elendes und trauriges Dasein. Ich kam mir vor wie im Zuchthaus; wie ein Maulwurf, der zum Winterschlaf verdammt ist. Die Hoffnung, daß ich mich jetzt etwas freier werde bewegen können, erwies sich als eine trügerische. Denn die Mondleute waren an die Dunkelheit gewöhnt; ihre Augen, die nur zwischen Dämmerung und Nacht unterschieden, und, wie ich vermutete, nie ein grelles Licht zu ertragen gehabt, waren andere als unsere irdischen Augen. Und beinahe wäre ich ein Opfer dieses von mir nicht vorhergesehenen Umstandes geworden, indem die Mondfrau, als ich, durch die Dunkelheit sicher gemacht, einmal im Begriffe war, in den Keller hinunterzusteigen, während sie selbst mit den Kindern zu Tische saß, mich sah; wie wütend sprang sie auf, und da ich schon einige Stufen hinunter gemacht hatte, warf sie mir die Klapptür mit den Worten: »Jetzt wird kein Käs mehr geholt!« mit solcher Vehemenz auf den Kopf, daß ich halb betäubt hinunter in den Hanf fiel. Aus den hinterher geschrienen Worten: »Jetzt will er auf einmal essen!« schien hervorzugehen, daß sie mich für den Mondmann gehalten, obwohl ich viel, viel kleiner bin. Der lag aber angezogen auf dem Bett und schlief. – Worauf einzig und allein die Dunkelheit im gewöhnlichen Gebaren der Mondleute einen Einfluß hatte, das war die Unterhaltung, die oft halbe, oft ganze Tage stockte. Und wie ein chinesisches Schattenspiel bewegte sich diese merkwürdige Gesellschaft nun an mir vorüber. Im übrigen aber folgten die Verrichtungen des Tages wie früher in sicherer Regelmäßigkeit aufeinander: Die Kinder spannen; die Mondfrau räumte den lieben langen Tag auf, oder hantierte im Keller, und der Mondmann, der noch während der ersten zwei Wochen einigemal auf’s Dach geklettert war, um Dachpappen aufzulegen, oder Kloben anzutreiben, lag jetzt meist auf dem Bett, oder ging mißmutig auf und ab. – Eine einzige Erscheinung, die vollständig neu war, trat am zweiten oder dritten Tag der Nacht-Gleiche auf. Auf der Südseite des Monds, – ich sage Südseite, weil ich mich immer nicht von dem Gedanken los machen konnte, daß dort drüben hinter der Mond-Wand die »Butterkugel« stand; ich meine aber die fensterlose Rückseite, – von dort hörte ich bis unter mein Bett hinunter ein eigentümliches Knistern und Pratzeln; ich glaubte erst, es seien die nach vorgängiger Erwärmung nun erkältenden Teerflächen; gleich in der folgenden Nacht aber kroch ich hervor, zwängte mich durch zwei der Mädchen-Bettstatten und legte mein Ohr an diese Südwand. Das Geräusch, welches immer auffallender und lauter wurde, dauerte mir für eine Kontraktion durch Erkaltung nun zu lange; gleichzeitig stieg ein verdächtiger, brenzlicher Geruch auf; es war für mich fast kein Zweifel mehr, daß die Dach-Pappen draußen brennen, oder in einem Erhitzungs-Stadium sich befinden, der dem Ausbrechen der Flammen knapp vorhergeht. Ich kam in große Beunruhigung. Ich dachte mir: Soll ich den Mondmann wecken? – Ich den Mondmann wecken! – Kann denn ein Mensch, – entgegnete ich mir selbst, – der aus Zufall heraufgekommen ist, den Mondmann wecken wollen? – Die Leute würden ja wahnsinnig werden vor Schrecken, wenn sie mich an ihrem Bett stehen sähen! Abgesehen davon, daß ich den eigentümlichen Dialekt, den sie sprachen, in diesem Moment nicht hätte nachmachen können. – Ich kann den Leser versichern, daß ich in diesem Augenblicke nicht an meine Person dachte, sondern daß mir der Mond zumeist am Herzen lag. Ich befand mich in der Lage eines Menschen, der Nachts auf einem Eisenbahn-Zuge fährt, und beim Herausschauen aus dem Fenster entdeckt, daß eine Achse heißgelaufen ist, und nicht weiß, wie er sich kundgeben soll. Er ist wohl in Gefahr, aber in weit größerer Gefahr ist doch der Zug. – Doch was wollte ich machen? – Ich schaute noch einmal zum Fenster hinaus, und als ich keine Helle bemerkte, kroch ich unter mein Bett. – Aber erst am folgenden Morgen, als das Geräusch niemandem auffiel, wurde ich ruhiger.

      So kam das Ende der dritten Woche herbei. – Das Leben wurde immer trostloser. Es war eine Qual zuzusehen, wie die Leute in der finsteren Nacht sich aus ihren Betten erhoben und zum kärglichen Mahl zusammensetzten; man hätte an eine Arbeiterfamilie glauben mögen, die vor Tagesgrauen aufgestanden, und schweigend und geschäftig den Morgen-Imbiß zu sich nimmt, um sich dann ebenso flink auf die Arbeit zu begeben. Es war ein grauenhaftes Einerlei. Der Mondmann und die Mondfrau sprachen oft tagelang kein Wort; sie waren überhaupt seit jener Rauf-Scene in kein erträgliches Verhältnis mehr zueinander gekommen; und es schien mir, als überlege manchmal die Mondfrau, die überhaupt klüger und was man sagt welterfahrener oder monderfahrener war, welche Rolle sie spielen solle, die der versöhnlichen, nachgiebigen, oder der brüsken, auf ihrem Recht stehen bleibenden Gattin. Leider richtete sie nur mit beiden Manieren so schrecklich wenig aus, weil mit dem Mann gar nichts anzufangen war. Dieser ewig unzufriedene, in sich verbissene, aber zum Klagen viel zu stolze Mann bemerkte gar nicht die kleinen Komödien seiner Frau, sondern war immer mit anderen Dingen beschäftigt. Mir schien, dieser spekulative Kopf steckte weit im Himmelsgebäude drin, im dem Triangel zwischen Venus, Erde und Sonne, und er wartete auf irgend eine Weltkonstellation, um seine traurige Lage zu verbessern. Die Kinder sprachen fast gar nichts, und aus der unbeholfenen Manier, in der sie gewisse Bedürfnisse der Mutter anzeigten, schien mir hervorzugehen, daß sie des Sprach-Dialekts ihrer Mutter überhaupt nicht vollständig mächtig waren, mit einem Wort, daß es Idioten, zum Teil vielleicht Taubstumme waren.

      Es war in einer Nacht um die Wende der dritten und vierten Woche. Ich lag unter meinem Bett. Die auffallendste Erscheinung aus der zweiten Phase meines Mondaufenthalts, das Knistern und Pratzeln außerhalb des Mondgebäudes, beschäftigte fortwährend meine Gedanken. Irgendwelches künstliche Licht, – sagte ich mir, – besteht auf dem ganzen Monde nicht. Es wird nicht gekocht, nicht gewärmt, nicht geheizt; nirgends ein Schwefelholz; niemand raucht; nirgends eine Friktion oder Reibung. Es kann also aus dem Innern der Mondwohnung nichts nach außen gekommen sein, welches die Überhitzung der Teer-Platten bewirkt haben soll. Sonach muß diese Überhitzung oder In-Brand-Setzung einem meteorologischen Ereignis zugeschrieben werden. Und dann bleibt als Ursache nichts

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