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große gelbe Wandbild. Ich zwängte mich zwischen die Bettstatten hinein, um es genauer anzusehen. Es war ein Querschnitt durch einen holländischen Käs, eine ganz dünne Käsescheibe, noch mit dem äußeren roten Rand; diese Käsescheibe auf eine der schwarzen Teerplatten aufgeklebt, so daß die gelbe Kugel auf dem schwarzen Grund sich ausnahm, wie unsere kolorierten Darstellungen der Himmelskörper auf Schultafeln oder in Atlanten. Und nun starre der Leser und werde stumm, wenn ich ihm sage: auf dieser gelben Käsescheibe war, entweder mit einer Nadel fein bröselig aufgeritzt, oder mit etwas dunkler gefärbten Käskrumen aufgestreut, in deutlicher Kontur die Gestalt von Nord-und Süd-Amerika zu sehen, so, wie wir sie auf einer der ersten Blätter unserer Atlanten in Mercator’s Projektion zu sehen gewöhnt sind! – Ich war vollständig baff. – Aber mein nächster Gedanke war: Das kann nur der Mondmann gemacht haben. Jedes andere Wesen in der Mondstube war zu dieser, ich war geneigt zu sagen, genialen Arbeit unfähig. Aber wie? Wie kommt der Mondmann zur Anschauung von Nord-und Süd-Amerika in einer Verjüngung, die gerade auf den größten Durchmesser eines holländischen, runden Käses hinaufgeht? Sollte er in einen Atlas hineingeschaut haben? Aber wie? Wie kommt er dazu? Sollte er an einem warmen Sommerabend durch ein holländisches Dorf flanierend die Fenster der Schulstube offen gefunden, und hineinsteigend diese Mercators-Projektion als Wandtafel gefunden haben? Aber warum gerade diesen Gegenstand nachmachen statt tausend andere, die ihm auf der Erde begegnet sind? – Ich ging an die Bettstatt des Mondmannes und schaute mir dieses grämliche, gelbe, von Furchen der Sorge zerrissene Gesicht an, um Antwort auf meine Fragen zu finden. – Eine große, kantige Nase sprang hart hervor, wie man oft bei Bauern eine rücksichtslos geniale Zeichnung des Gesichts findet; die Lippen ganz dünn, zusammengepreßt und durch die gallige Beimischung schmutzig-grün gefärbt, ein spitzig vorbrechendes Kinn, eine hohe grandiose Stirn, friedlich geschlossene Augendeckel, die keine Ahnung dessen erlaubten, was hinter ihnen in dem grauen, scharfen Augenstern vorging. – Kopfschüttelnd ging ich weg und lief eine halbe Stunde nachdenklich im Mondzimmer umher, ohne aber auch nur im Entferntesten eine Lösung des Rätsels an der Wand zu finden. Ein unruhiges Hin-und Herwälzen der Mondfrau mahnte mich an meine eigentliche Beschäftigung. Ich wollte mir ja unter einer Kinderbettstatt eine neue Wohn-und Schlafstelle suchen. Dieses Hinunterkriechen auf dem Boden kam mir wie etwas Schmutziges und Niedriges vor, gegenüber dem, womit mein Kopf sich gerade beschäftigte, doch überwand ich die Abneigung und ging an die Suche. Da war nun jede Kinderbettstatt anders. Schließlich begann ich mich unter eine, die mir passend schien, hinunterzuarbeiten. Sie stand so ziemlich gegenüber den ehelichen Betten der Mond-Leute, also soweit wie möglich von ihnen entfernt, was ich ja eben bezweckte. Meinen Käs hatte ich unter dem Arm. Ich war nun aber kaum mit dem halben Körper hinuntergekrochen, als ein unvorhergesehenes Tiefergehen der Matratze mich am Weitergehen hinderte. Im Versuch zurückzukriechen, zwängte ich mich mit dem Podex am Fußende der tief herabgehenden Bettstatt ein. So eingezwängt machte ich, wahrscheinlich in der Furcht vor Atemnot, eine brüske Bewegung, warf den Potschamber um, und im selben Moment krachte – wahrscheinlich erst durch eine kräftige Schulterbewegung von mir emporgehoben, – die ganze Kinderbettstatt über mir zusammen. Das Kind, welches vielleicht ein zehnjähriges dickköpfiges Mädchen war, fiel heraus und begann ein schreckliches Geschrei. – »Verdammte Solinger Bandeisen!« begann hinten der Mondmann zu fluchen, und erhob sich ächzend aus seinem Bett. »Solinger Bandeisen« – dies Wort klang wie eine Himmelsbotschaft für mich, denn es wälzte jede Schuld ebenso von mir ab, wie ich jetzt Betttrümmer, Plumeau und Holzladen von mir abwälzte, um mich schleunigst unter den großen Tisch in der Mitte des Zimmers zu verstecken, von hier aus die Gelegenheit wahrnehmend, bis die Mondleute herbeigekommen, und ich meinen Platz unter dem Bett der Mondfrau wieder einnehmen könne. – »Das ist jetzt in einem halben Jahr das dritte Bandeisen, das bricht, » brummte der Alte, und schlurfte herbei, um sein flachshaariges Töchterchen aufzuheben, und in seinen Armen das noch immer schluchzende Kind zu liebkosen. »Britsch’ ihr den Popo durch!« schrie die Mondfrau von ihrem Bett aus herüber, offenbar zu bequem, um aufzustehen, und höchst entrüstet über die Störung ihres Schlafes. Im Moment war alles still. Das Kind hörte zu schluchzen auf. Der Mondmann zog die nächsten Pantoffeln unter einer Kindbettstatt hervor, zog sie der Kleinen an, und setzte sie an den Tisch. Dann richtete er das ganze Bett zusammen, so gut es für den Moment ging, lehnte die einzelnen Laden am Boden hin, das Bettzeug daneben, wischte sogar den Floß, den der zerbrochene Nachttopf verursacht hatte, mit einem Lumpen, den er hinter einer Bettstatt hervorzog, auf, und hob zuletzt die Kleine, die starr zugesehen hatte, mitsamt den Pantoffeln auf, und nahm sie mit sich in sein Bett. Ich hatte unter meinem Tisch ebenso starr alles mit angesehen und schwor, niemals mehr unter eine Kinderbettstatt zu kriechen. Erst nach einer Stunde beiläufig, nachdem die Mondinsassen, die fast alle durch den lärmenden Vorfall aufgewacht waren und sich noch lange in ihren Betten hin-und herdrehten, wieder beruhigt waren und, wie ich annahm, fest schliefen, suchte ich mein altes Lager auf, nicht ohne mich vorher meines halben Käses zu versichern, der bei der Katastrophe knapp unter den Rand der nächsten Kinderbettstatt gerollt war und so, zum zweiten Male, beinahe zu meinem Verräter geworden wäre. – Ich darf aber diese zweite Nacht nicht zu Ende gehen lassen, ohne mit dem Leser einen Punkt zu besprechen, den ich wegen seiner delikaten, oder vielmehr undelikaten Eigenschaft am liebsten unerörtert gelassen. Ich hätte dann am besten an die Spitze dieser Erzählung eine Erklärung, etwa des Inhalt, gesetzt: »Gewisse tägliche Verrichtungen im menschlichen Leben wird der freundliche Leser ersucht, an passender Stelle einzuschalten und in seiner Fantasie zu ergänzen.« – Das ist es auch, was die meisten Roman-Schriftsteller stillschweigend voraussetzen. Und ich finde das bei Erzählung irdischer Vorgänge in der Ordnung. Aber, lieber Leser, wir sind auf dem Mond! Das heißt, immer unter Berücksichtigung einer allzu skeptischen Leserschaft, es besteht die höchste Wahrscheinlichkeit, daß wir auf dem Monde sind. Und auf dem Monde kann die einfachste Verrichtung von der Erde zu einer halsbrecherischen Arbeit werden. Aus diesem Grunde und, weil das Fehlen der den gewöhnlichsten menschlichen Bedürfnissen dienenden Einrichtungen zu charakteristisch war für die ganze liederliche Mondbaracke daheroben, hin ich gezwungen, etwas zu erörtern, was gegen meinen Geschmack und meinen Reinlichkeitssinn verstößt. Besäße ich die Grazie und das vollendete Geschick der Franzosen, derartige Dinge vorzutragen, so nähme ich mir die nächsten vier bis fünf Seiten und würde meinen Gegenstand ausführlich behandeln. So werde ich meine Sachen mit einigen kurzen Bemerkungen abtun. Also, der Leser wird begreifen, daß, wer Käs ißt, gewisse im Käs vorkommende und im Körper nicht weiter zu verwertende Bestandteile wird ausscheiden müssen. Die Ausscheidungen aus dem Körper sind von dreierlei Art: gasförmig, flüssig und fest. Zu den gasförmigen Ausscheidungen gehören die Gase der Atmung. Der Gehalt an Gasen im Käse ist beträchtlich, und es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn wir bei käseessenden Menschen die gasförmigen Bestandteile des Käses in der Atmung ausgeschieden sehen. Zu den flüssigen Ausscheidungen des Körpers… Doch ich sehe, ich komme hier zu tief hinein. – »Mond-Abtritt«, – um die Sache einmal von dieser Seite anzupacken, – welches Wort außer hier in der ganzen Erzählung nicht mehr vorkommt, kam auf dem Mond überhaupt nicht vor; und der naserümpfende Leser wird einsehen, daß ich irgendwie um Ersatz für diese Einrichtung besorgt sein mußte. Im Mondzimmer selbst denselben zu suchen, ging aus naheliegenden Gründen nicht; wenn aus gar keinem andern, so, um mich nicht zu verraten. Mein Instinkt trieb mich in den Mondkeller, dessen Klappe ich jetzt schon mit größerer Leichtigkeit handhabte. Unten machte ich den Rundgang um die Maschine, den der Leser schon kennt, fortwährend mich an der Wand haltend, um nach irgend einer verborgenen Ecke zu suchen; als ich über die Käse stieg, polterte einer gegen die Wand, und ich hörte deutlich an der betreffenden Stelle einen eisernen Ring wie auf Holz umklappen. Ich langte in der Finsternis hin und entdeckte etwas oberhalb der Käse einen eisernen Riegel, der verschiebbar war; nicht weit von ihm war der Ring, den ich fallen gehört, durch ein Scharnier im Holz befestigt. Und indem ich nun, neugierig gemacht, mit beiden Händen an der Wand weiter tastete, fand ich die deutlichen Umrisse einer Art Luktür. Um mich zu überzeugen, nach welcher Richtung sie aufging, nahm ich den eisernen Ring in der Mitte fest in die Rechte, und zog mit der Linken den Riegel zurück. Die Tür fiel schwer und gegen meinen Willen mir aus der Hand und kreischend nach außen; und vor mir lag eine graue, unermeßliche Tiefe, aus der nur ein leichter Luftzug mein vor Angst schwitzendes Gesicht traf. Obwohl ich vor dem nächsten Gedanken, der jetzt durch mein Hirn fuhr, schaudern zurückbebte, so bot er doch die einzige Möglichkeit mich in meiner Bedrängnis zu erlösen. Und so schickte

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