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kaum zu erlebende Zeit. Es konnten wohl acht Tage vergehen, bis sich etwas ereignete, das nicht im Rahmen des täglichen Einerlei dieser höchst beschränkten Mondwirtschaft gelegen wäre. Für mich bildete sich allmählich eine Art Tagesordnung, ein Stundenplan aus, der mir teils durch die Vorsicht, teils durch die Notwendigkeit, mich zu verköstigen, und durch sonstige kleine Bedürfnisse, wohl auch ein klein wenig durch die Neugier, vorgeschrieben war. Tagsüber, das heißt, was durch das Verhalten der Mondleute, Aufstehen, Essen, Spinnen u.s.w. sich als Tag charakterisierte, lag ich regungslos wie eine Eule unter meinem Bett; mit dem Herannahen der Schlafenszeit rüstete ich mich zu meinem nächtlichen Streifzug; und nachts schlich ich lautlos wie eine Katze umher, teils um nur Bewegung zu machen, teils um mich zu verproviantieren. Jeden dritten Tag brauchte ich einen Käs, den ich mir im Keller holte. Meine Stiefel zog ich gar nicht mehr an; im Liegen brauchte ich sie nicht, und beim Gehen konnten sie mich höchstens verraten; ich steckte sie definitiv zwischen Matratze und Bettlade der Mondfrau, denn an ein Umkehren des Bettzeuges dachte man auf dem Mond nicht. Oft schlief ich nachts, wenn ich meinen Raubzug beendigt hatte, oft machte ich kein Auge zu; und dann quälte mich in dieser Einsamkeit ein Haufe von absonderlichen Gedanken; und dabei kam es mir oft vor, als sei meine geistige Perceptionskraft in der lautlosen Stille schärfer als sonst; manchmal war es, als wäre ich inspiriert; eine ganze Konstellation wohlausgeführter Bilder zog vor meinem geistigen Auge wie ein Bilderbogen vorüber. Und dann fuhr ich auf und glotzte unter der Bettlade hervor, als wollte ich die Bilder schärfer sehen und sie präzisieren. Und schließlich rumpelte ich hervor, und ging wie fiebernd zwischen der schnarchenden Gesellschaft im Zimmer auf und ab, um mir zuletzt in einem halb geflüsterten, halb unterdrückten Monolog Luft zu machen: »Welche Existenz!« – begann ich, – »diese armen Leute; – hier verlassen, und wie im Bagno! – Und dreißig Kinder aufbringen! – Und alles von drunten auf der Erde zusammenlesen müssen! – Denn, wo wäre denn sonst eine Verbindung? – Futter, Kleider, Mobiliar; – wo kriegt der Mann seine Käse her? – Er stiehlt sie aus einem Leydener Export-Haus! – Ja, das ist auch schneller gesagt als getan. – Wenn nun der Mond nicht über Leyden hält, sondern über Amsterdam oder über dem Meer? – Läuft er dann seine hundert Stunden – oder schwimmt er sie?

      – Und inzwischen bewegt sich doch die Erde unter dem Mond weg! – Findet er dann wieder seine Strickleiter? – Wo holt sich der Mann seinen Teer für die Strickleiter? – Wo man Käse kriegt, findet man doch nicht auch gleich Teer! – Wenn ein Eisenband an einem Laden losgeht, woher kriegt er ein neues? – Und dann, wenn der ausgemergelte, totmüde Mann heraufkommt, wird er geschimpft, kriegt eventuell Prügel! – Welche Existenz! – Kann man das Armut nennen oder Misère? – Ist dies Verhältnis nicht vielmehr mirakulöse Tollheit? – Von wem hängen die Leute ab? – Verdienen sie etwas? – Tun sie etwa Spitzen klöppeln für eine schlesische Fabrik? und der Mann nimmt das Geld und geht damit nach Holland und kauft Käse? – Habe nie einen Spitzen-Rahmen gesehen! – Besorgen sie etwas im meteorologischen Haushalt der Natur? – Tun sie beleuchten, wie der einsame Bewohner auf einem Leuchtturm, und werden dafür von der Erde aus bezahlt? Unmöglich! – Der Mond ist ja immer ganz schwarz! – Woher kommen die Leute denn? Kommen sie von der Sonne, oder, wie die Leute sich ausdrücken, von der Butterkugel? – Oder kommen sie von der Erde? – Vom ›großen Käs‹? Oder sind sie ein Geschlecht sui generis? – Warum sprechen sie denn den Misch-Masch, den man zwischen Köln und Maastricht spricht? – Wie lange leben diese Leute und was wird aus ihren Kindern? Und wenn Jemand stirbt, was machen sie mit der Leiche? Werfen sie die aus der Keller-Luke heraus? – Ha, infernale Mystifikation!« – schrie ich ganz laut und vollständig meiner Umgebung vergessend und schlug mit der Faust auf den Bettrand, an den ich, auf-und abgehend, gerade angekommen war. Ich traf auf einen großen Fuß, der dort aus der Bettdecke herausstand; es war das Bett der Mondfrau; und wie von einer Tarantel gestochen fuhr die Alte im schwefelgelben Nachtkittel im Bett auf: »Himmel, Arsch und Käs!« keuchte sie mit schleimiger Stimme, »was ist das?« Ich drückte mich schleunigst unter den Bettrand und gleich darauf, hörte ich, fiel sie schwer wie ein Mehlsack wieder auf die Kissen zurück. – Ich kroch leise zu meiner Schlafstelle, und für diese Nacht wurde die Ruhe dann nicht mehr gestört.

      Ich mochte vielleicht acht Tage auf dem Mond sein, als mir eines Morgens auffiel, daß die Vorbereitungen für den kommenden Tag ganz andere als bisher waren: Die gewöhnlichen Reinigungs-Vorgänge waren alle weggefallen; die Mondfrau putzte keine Kleider aus und machte sich nicht stundenlang mit den Pipitöpfen zu schaffen; die Kinder saßen in besseren Kleidern, ohne zu spinnen, schweigend und erwartungsvoll dort; die Käsportionen waren größer ausgefallen; feierlich und ernst schleppte der hagere, ledergelbe Hausvater durch die Stube. Es mochte etwa die Zeit sein, die wir drunten auf Erden zehn Uhr vormittags nennen, als Tisch und Bänke in eigentümlicher Ordnung zusammengestellt wurden; alle Kinder nahmen Platz; am oberer Ende die Hausmutter; in einen guten Shawl einwickelt, der vorne von einer schönen Brosche mit leuchtendem, gelben Topas zusammengehalten wurde, schlug sie ein Buch auf, einen abgegriffenen Folianten mit Goldschnitt, in den sie jedoch nur selten und flüchtig hineinsah, und begann folgendermaßen: »Am Anfang war der große Käs, der tief drunten im Nebel hockt, und schnarcht, und in Dampf eingewickelt ist. –«

      »Aber noch ehe der große Käs war, war das Mondhaus, das unter dem Gewölke herrscht.«

      »Und das Mondhaus ward erleuchtet, und ernährt, von der großen Butterkugel, die am Himmel schwebt.«

      »Und ihre fetten Strahlen befruchteten das Mondhaus, und es ward dick davon.«

      »Und eines Tages, als der Mond überdick war, sprang er auf und gebar den großen Käs, der herunterfiel in die Tiefe, wo er in der Finsternis schnarcht.«

      »Und auf dem Mond wuchsen der Mondmann und die Mondfrau; und sie gebaren dreißig Mondkinder, und wurden gespeist von der großen Butterkugel, die am Himmel schwebt.«

      »Aber siehe, eines Tages, als der Mondmann an seinem Fenster stund, verlachte er die Butterkugel, die vorüber zog; und es blieben aus die fetten, ernährenden Strahlen, und kamen nur noch kalte, leuchtende Strahlen; ob der Sünde willen.«

      »Und der Mondmann, von Fluch beladen, mußte sich eine Leiter bauen, hinunter zum großen Käs, wo kleine, schwarze Menschlein pusten und schwitzen und runde Käse bauen, und mußte sich Nahrung holen für sich, für die…« – Während so die Mondfrau explizierte, wurde es immer stiller in dem kleinen Raum; lautlos und mit glänzenden Augen blickten die Kinder auf den Mund der Erzählerin; besonders die jüngeren; während von den älteren einige mit ihren Schürzbendeln spielten; woraus ich schloß, daß dieses merkwürdige Exposé nicht zum erstenmal vorgetragen war. – Aber die Mondfrau hatte die obige Phrase nicht zu Ende führen können, denn plötzlich wandte sich der Mondmann, dem schon während des ganzen Vortrags einige unverständliche Flüche entfahren waren, um und mit den Worten: »Verdammter Schwindel! Verfluchte Lüge!« riß er den heiligen Folianten der Mondfrau aus der Hand und schmetterte ihn gegen die hölzerne Wand, daß das ganze Mondgehäuse erzitterte. Die Kinder sprangen kreischend von ihren Plätzen und verkrochen sich zwischen den Bettläden. Die Hausmutter aber, wie mir schien, an solche Szenen gewöhnt, erhob sich mit großer Würde und sagte: » Papa, warum störst Du den Religionsunterricht?« – Der Mondmann: »Weil das alles Schwindel ist, was Du den Kindern lehrst!« – Die Mondfrau: »Wer sagt Dir, daß das Schwindel ist? Hast Du mir nicht die ganze Entstehung unserer Armseligkeit selbst so erklärt?« – Er: »Meiner Lebtage nicht! Der Gedanke, mittelst einer Leiter auf den großen Käs hinunterzusteigen, war meine originäre Idee!« – Sie: »Wer bestreitet Dir, daß Du ein gescheiter Kerl bist, und daß wir ohne Dich verhungern müßten?« – Ersterer: »Die Kinder werden mich für einen Lumpen und Spitzbuben halten!« – Letztere: »Hast Du damals nicht zum Himmel hinauf gelacht? Und steht die Butterkugel jetzt nicht immer auf der Rückseite von unserem Haus?« – Wiederum Er: »Die Butterkugel am Himmel ist ein gedankenloser Brocken!« – Wieder Sie: »Sie war die Ernährerin von uns Allen, die Erfreuerin unseres Herzens, unsere Göttin!« – Der Mondmann: »Ich bin das höchste Wesen unter dem Himmel, weil ich denke!« – Die Alte: »Du bist ein armseliger, bedauernswerter Tropf!« – Er: »Mondfrau!« – Sie. »Ich fürchte mich nicht vor Dir!« – Zu diesem Moment ging der ockergelb gewordene Hausherr auf seine Mitbewohnerin zu, packte sie bei der Gurgel und warf sie mit solcher Vehemenz zu Boden,

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