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zog mich hastig zurück und schlug eine andere Richtung ein, kam schließlich in der Dunkelheit zwar an die Käse, aber an eine ganz andere Stelle als vorhin, griff überall herum, fand aber keinen angebissenen Käse: der Haufen war doch größer als ich dachte, es mögen meinetwegen an die neunzig, oder hundert Stück gewesen sein; ich kroch über den ganzen Haufen und suchte, und suchte, der angebissene Käse erschien mir nun von der größten Wichtigkeit; zum Glück hatte ich keine Stiefel an, und konnte also die übrigen Käse nicht verletzen, höchstens rote Hosenkniee bekommen.

      Während ich mitten im Herumwühlen war, machte es oben im Wohnzimmer plötzlich einen Satz wie aus dem Bett, und dann fiel ein menschlicher Körper mit fürchterlicher Vehemenz auf den Fußboden; ich glaubte, der Mondmann sei epileptisch geworden, hörte aber gleich darauf seine Stimme jammernd und wehklagend; nach einem anfänglichen Fluch, den ich vergessen, der sich aber nicht auf irdische Dinge bezog, rief er halb stöhnend, halb verwünschend immer nur die Worte: »Die Leiter! – Mutter, steh’ auf! – schnell! – Unser Mondband, – unsern Erdenstrick, – Mutter! – Die Strickleiter! – steh’ auf!« – Im gleichen Moment stürzte er kopfüber zu mir in den Käskeller herab. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, die Falltür sei zu, und im Begriff, die Mondfrau zu wecken, war er arglos darüber hinweggeschritten und so hineingestürzt. Aber zu meinem Entsetzen tappte der Mondmann, der sich mit einem Fluch wieder erhoben hatte, auf mich zu. Ich glaubte schon, er habe mich gewittert, durch den Geruch entdeckt, und suche nach mir, wie der Riese, der im Märchen ins Zimmer tritt mit den Worten: Ich wittere Menschenfleisch! Doch blieb er in der Mitte des dunklen Raumes stehen und machte sich an der seltsamen Aufwind-Maschine zu schaffen, die er unter großem Stöhnen seinerseits und unter großem Knerzen von Seite der wie mir schien ganz aus Holz gefertigten Vorrichtung in Gang brachte. Jetzt kam auch die Mondfrau heruntergeschlappt: »Du vergeßliches Mannsbild, Du Träumer, Sterngucker, Faulenzer, Essiggesicht, wenn einer von den Käsleuten heraufsteigt und brennt uns die Bude unterm Arsch an, dann haben wir’s!« – »Mutter,« sagt der Mondmann kleinlaut, »sag’ nicht Bude, – zieh!« – »Bude, sag ich, warum läßt Du alles verkommen? Galgenstrick!« – »Mutter, sag’ nicht Galgenstrick! zieh!« – »Galgenstrick, sag’ ich, Hungerleider!« – »Mutter, sag’ nicht Hungerleider, zieh!« – So ging es wohl eine halbe Stunde zu, das gegenseitige Schimpfen und Widerpart halten. Und dabei fortwährendes Keuchen und Stöhnen, Knerzen und Quiexen. Die Mondfrau hatte sich in der Tat allmählich auf die andere Seite begeben, wo vermutlich ein zweiter Handgriff zum Treiben angebracht war. – Die Strickleiter! dachte ich in mir, ja, ich hatte sie auch vergessen. Hunger, Müdigkeit, Kälte, Angespanntsein aller Sinne, – wer hätte da an die Leiter gedacht, nachdem man einemal heroben war. Aber was hätte geschehen können, kalkulierte ich weiter, wenn jemand von der Erde, vom »großen Käs«, wie die Leute sich ausdrücken, heraufgestiegen wäre; freilich, in der Nacht auf dem einsamen Feld zwischen D’decke Bosh und Leyden hätte sie kaum jemand entdeckt. Aber es mußte ja jetzt Tag sein drunten auf der Erde, und die hanfene Leiter schleifte vielleicht durch irgend eine westfälische oder deutsche Stadt. – Ich weiß nicht mehr genau, wie lange das Heraufziehen der Leiter währte, außer, daß es dieselbe Zeit in Anspruch nahm, wie das Schimpfen und Poltern. Aber nach eineinhalb Stunden etwa verließen Mond-Mann und -Frau keuchend und dampfend vor Arbeit den unterirdischen Raum. Letztere schmiß wieder mit einem fürchterlichen Schlag die Kellertür zu. Ich blieb drunten. Und weiter wurde die Nachtruhe dann nicht mehr gestört. –

      Der Leser, der hier einen Absatz findet, wird vielleicht sagen: ich solle schließen und meine erlogenen Geschichten und schwindelhaften Einbildungen wo anders anbringen. Der Leser wird diese Ansicht mit sich auszumachen haben. – Meine Pflicht ist: mitzuteilen, was ich als Augenzeuge erlebt habe; erlebt, ganz gegen meinen Willen; und für welches Erlebnis ich heute einen kranken Körper mit grauen Haaren, trübem Blick, derontiertem Geist und einer unüberwindlichen Abscheu gegen Käse herumzuschleppen habe. Niemand wird von mir eine Klage hören über ein Geschick, welches ich ganz allein mir und einem unbegreiflichen Leichtsinn zuzuschreiben habe. Aber niemand wird mich auch vermögen, mit Rücksicht auf einen ermüdeten oder ungläubigen Leser, oder einigen Astronomen, deren Lehrbücher und Berechnungen im schroffsten Widerspruch mit dem von mir Gesehenen stehen, Mitteilungen zu unterlassen, deren Inhalt von der größten Wichtigkeit ist für die Menschheit, für die Erde, für den Mond, für die Verbindung zwischen Erde und Mond, für Verproviantierung dieses letzteren, für die Abhängigkeit der Gesichtsbildung von der Art der Nahrung, für den Einfluß von meteorologischem Magnetismus auf Taschenmesser u.s.w. – Hab’ ich vielleicht durch irgendwelche vorschnellen Schlüsse oder Annahmen dem Leser Veranlassung zum Mißtrauen gegeben? Bin ich nicht mit der größten Vorsicht, Ruhe und Objektivität vorgegangen? Hab’ ich nicht den Mondmann, zuerst als er auf dem Ackerfelde zwischen D’decke Bosh und Leyden niederstieg, sogleich als Hopfenhändler und Getreidebauer, und insolange in Anspruch genommen, bis unbegreifliche Ereignisse diese Annahme fernerhin zur Unmöglichkeit machten? – Alle diese Fragen muß der Leser zu meinen Gunsten beantworten. Dann hat er aber kein Recht, mich hier zu unterbrechen!

      Aber alles nimmt zuletzt ein Ende! Auch die holperige Nacht auf den Käsen im Mondkeller nahm ein Ende. – Wenn jedoch der Leser glaubt, daß sich damit meine Situation gebessert, oder daß ich in das Wohnzimmer hätte zurückkehren können, so irrt er sich. – Wie wäre dies auch möglich gewesen? Nach der aufgeregten Szene zwischen den beiden Mond-Gatten an der Aufzieh-Maschine wäre es doch Wahnsinn gewesen, die Kellerklappe, deren eines Scharnier gebrochen war, aufmachen zu wollen; nachdem es so gut wie sicher war, daß die beiden Leute für diese Nacht vor Aufregung kein Aug’ mehr schließen würden; unerörtert, ob ich die schwere Tür von unten überhaupt aufgebracht hätte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als drunten zu bleiben und meinen angebissenen Käs zu suchen. – Aber, wie gesagt, die Nacht ging zu Ende. Daß sie zu Ende war, merkte ich übrigens nur aus dem über meinem Kopfe entstehenden Leben und Treiben; nicht etwa aus einer beginnenden Helle; denn so viel wird der Leser behalten haben, daß im Mondkeller kein Fenster war; aber es war auch fraglich, ob es oben im Mondzimmer hell war; denn wenn die Sonne hätte kommen können, so mußte sie doch in den ersten zwölf Stunden nach meinem Heraufstieg kommen. – Dies Leben und Treiben über meinem Kopfe war übrigens merkwürdig genug: ein Geklopfe, ein Gerutsche, ein Getrapp, ein Hin und Her, daß man hätte eine Fabrik vermuten können. Soviel war sicher, daß Einer außerhalb der Stube auf dem Dach war und dort klopfte und hantierte. Was, das wußte ich nicht. – Übrigens war mein Plan für den nächsten Tag gemacht; mit meinem angebissenen Käs in der Hand beschloß ich, mich unter die Treppe der Kellertür zu legen, und sobald jemand herabstiege, zu sondieren, wie die Beleuchtung oben sei, und war es das Zwielicht, in dem ich die ersten sechs Stunden in der Mondstube verbrachte, dann die Gelegenheit zu benutzen, und mich hinauf unter mein Bett zu stehlen. Herunter kommen mußte jemand, denn sie mußten doch zum Mittagessen Käse holen. – Inzwischen versuchte ich mich in dem Mond-Unter-Raum etwas zu orientieren: Da war also einmal die schon erwähnte Auf-Wind-Maschine; es wird sich niemand wundern, wenn ich sage, ich ging ihr so viel wie möglich aus dem Wege; denn abgesehen von meinem nächtlichen Rencontre mit ihr, war mir das Quiexen dieses ungeschmierten Holzkastens ein Greuel, auch war mir ihre Konstruktion herzlich gleichgültig: schon um deshalb, weil eine unvorsichtige Berührung von meiner Seite den Einstell-Mechanismus, den ich ja garnicht kannte, hätte auslösen können, wobei die Maschine durch das irgendwie angespannte Strickleiterende in eine rückläufige Bewegung gesetzt, und damit die Leiter selbst in Folge ihrer Schwere in einem Nu gegen die Erde zum Abraspeln gebracht werden konnte. Hier ging ich also außen herum wie bei einem Gespenst. Wenn nur nicht so wenig Platz dagewesen wäre! Hinter mir im Rückteil des Kellers lagen die Käse. Von ihnen aufbrechend traf ich zuerst auf den weich ausgelegten Boden, von dem ich oben schon sprach, und der die ganze Kellermulde rings um der in der Mitte plazierten Maschine bedeckte: ich kroch auf allen Vieren, um nirgends anzustoßen, und konnte so diesen weichen Stoff besser untersuchen; es schien eine Art Garn oder fremdartige Wolle, sie war in Strähnen oder Bündel geordnet, geflochten, und, damit die Flechtung nicht aufgeht, noch geknüpft: darin lag nichts absonderliches: ähnlich machen wir es drunten auf der Erde auch; aber, was mir auffiel, war, daß immer nur einzelne Stücke so gleichartig äußerlich behandelt waren: dann kam eine Reihe, darin war die Knüpfung eine andere, oder die Stücke waren dicker, also schwerer: dann kamen wieder welche, da war der Faden oder die Wolle, ich bin da nicht Kenner genug,

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