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Die beiden Seilenden kamen dicht an mich heran: ich streckte die Hände vor, wie um es zu bewillkommnen: es weicht wieder zurück; wie eine Katze springe ich vor, meine Augen starr auf die Strickenden gerichtet; sie kommen in ihrer Pendelbewegung wieder heran, fahren mir in’s Gesicht; meine Hände krallen sich fest; die Leiter durch das hastige Aussteigen des Mannes über mir in immer heftigere Schwankungen gebracht, reißt mich mit sich zurück, mich am Boden hinschleifend: dann wieder vor: meine Kniee und Füße stoßen sich wund: und wiederum zurück: bis sich endlich der linke Fuß auf der untersten Sprosse einstellt. Damit war mein Schicksal besiegelt. Der rechte Fuß folgt mechanisch nach; auf der dritten Sprosse erkenne ich meine Lage und sehe, daß meine Glieder gegen meinen Willen gehandelt haben. Es war zu spät. Ein Abspringen hätte mich zerschmettert; so heftig waren die Pendelbewegungen geworden. Der Mann über mir war viele hundert Meter voraus. Die Leiter war geteert, krästig, leicht zum Anhalten, und sehr bequem zum Emporsteigen gearbeitet. Ich eilte, sobald ich sah, daß an ein Zurückgehen nicht mehr zu denken, rasch empor, um den lästigen Schwankungen meines Partners nicht mehr ausgesetzt zu sein. Ich kam aber nur langsam vorwärts. Ich war wohl eine halbe Stunde gestiegen, als ich sah, daß der schwarze Mann über mir zwei Sprossen auf einmal nahm. Ich nahm nun drei. Ich konnte dies, da ich keinen Ballast zu tragen hatte, während jener seinen Sack mitheben mußte, dessen Dimensionen, wie ich erst jetzt erkannte, ganz ungeheuerliche waren. Aber jener schien an seine Arbeit gewohnt. Ich hatte wahrhaftig weder Zeit noch Lust, mich über das zu orientieren, was unter mir vorging; auch hätte dies der am Boden festklebende Nebel verhindert; ich sah also nichts von Leyden und seinen Lichtern. Wie hoch wir schon waren, merkte ich daraus, daß das Atmen immer schwieriger wurde, sowie, daß unsre Körper immer schwerer wurden. Dies wuchs von Viertelstunde zu Viertelstunde. Zweifellos wurde die Luft immer dünner, und die Gegenstände, des Widerstandes der Luft beraubt, fielen härter und schwerer aufeinander. Das Aufsteigen, welches anfangs fast geräuschlos vor sich ging, wurde immer hörbarer, als wenn die Strickleiter, statt aus beteertem Hanf, aus Eisen gewesen wäre: hart wie Stein fiel die Schuhsohle auf die Leiter. Man war längst auf eine Sprosse pro Schritt zurückgekehrt, und selbst hier zog man oft den rechten Fuß nach, bevor man den andern weiter ausgreifen ließ. Ich war meinem Vorsteiger jetzt so weit nahe gekommen, daß ich sein Schuhwerk genau erkennen konnte; wer hier vielleicht göttliches Sandalenwerk erwartet, der wird sich ebenso gründlich täuschen wie ich, und nie kam mir das mythologische Beiwerk, mit dem die Griechen ihre Himmelsboten ausgestattet haben, lächerlicher vor, als in diesem Augenblick. In einem miserablen, niedergetretenen Schlappen steckte der eine Fuß, welch’ letzterer selbst wieder statt mit einem Socken mit sogenannten Fußlappen bekleidet war, wie man es wohl bei Soldaten und Handwerksburschen findet; der andere Fuß war wohl in einer sogenannten Stieflette; diese war aber viel zu groß, der Gummi ausgeweitet, auf der einen Seite klaffend und das Leder so steinhart und brüchig, daß dieses Fußbekleidungsstück höchstens auf einem Felde aufgelesen sein konnte. Auch der Havelock, den der Mondmann trug, war ein höchst defektes, in einem Pfandhaus wohl kaum mehr Annahme findendes Stück, von dem ich am liebsten angenommen hätte, daß er es aus irgend einem Hundsstall herausgezogen, wo es einem langhaarigen Bernhardiner zur Unterlage gedient, so verlegen, zerrissen, befleckt und mit fremden Haaren bedeckt war dieses, wie mir schien, noch immer beste Stück des Mondmanns. Und wenn der Wind ging – und Wind ging, trotzdem die Luft hier schon sehr dünn war, – wenn der Wind ging, dann konnte ich hinauf sehen bis zu seinen Hosenträgern. Der eine Knopf war ausgerissen, und beide Träger am linksseitigen Knopf befestigt: der eine von Gummi, der andere ein gelbliches Band; in dem letzteren war ein künstliches Loch eingeschnitten, und ein etwa acht Zentimeter langes Stück baumelte hinten am Podex herunter.

      Ich schreibe dies jetzt alles ruhig nieder; und es sind Beobachtungen, die ich so zu sagen gegen meinen Willen machte; aber der Zustand meiner damaligen Empfindungen war ein schrecklicher; die Frage: Wohin steigen wir? beschäftigte mich nicht mehr; sie war auch nutzlos, da jede Beantwortung fehlte; ein physisches Übel lag mir viel näher: die immer spärlicher werdende Luft; damit die Unmöglichkeit zu atmen; und damit die zu steigen; ich kam mir wie ein Koloß vor, so schwer bewegten sich meine Glieder. Wir waren jetzt wohl an die zwei oder drei Stunden gestiegen. Eine irgendwie genaue Schätzung ist mir in der Erinnerung unmöglich. Eine Art von Beruhigung war es mir, daß der Mondmann noch viel heftiger keuchte, als ich selbst; ich dachte mir: er ist noch weit mehr am Ende seiner Kräfte, und wir sind vielleicht dem Ziel nahe; es war auch ein Glück so; denn wäre mein Schnaufen lauter gewesen, als das seine, so wäre ich entdeckt worden. Er hätte mich unter sich bemerken müssen; er hätte vielleicht ausgeholt und mir einen Fußtritt versetzt, und ich wäre Äonen hinabgestürzt. – Wir stiegen immer zu; fortwährend baumelte mir oberhalb des Kopfes der riesige Sack des Mondmannes, den derselbe über der rechten Schulter befestigt hatte, und durch Hinausrecken des Gesäßes sozusagen auf dem Rücken trug; wenn ich die Oberfläche dieses Sackes betrachtete, so macht es den Eindruck, als wenn runde, kugelartige Körper in demselben enthalten wären; und wenn ich die furchtbare Kraftanstrengung in Erwägung zog, mit der der magere Mondmann arbeitete, so konnte man glauben, die Kugeln wären von Eisen gewesen. Sollte dieser Mensch – sagte ich mir – das Arsenal von Leyden bestohlen haben? Und was tut er mit diesen Kugeln? Wirft er sie später wieder auf die Erde herunter?

      Wir stiegen immer zu. – Noch war keine Abnahme der Dunkelheit zu bemerken; es mußte doch bald Tag werden! Stiegen wir auch wohin nur immer, – sagte ich mir, – wir müssen doch unter der Sonne bleiben; wir können doch nicht in ein anderes soläres System eintreten! Wir sind doch nicht in einem Märchen, oder auf dem Theater, wo alle Willkür erlaubt! Um neun Uhr etwa hatte ich Leyden verlassen; ich saß vielleicht zwei Stunden draußen am Anger vor der Stadt; macht elf; Herabsteigen des Mondbauern, von dem Moment an, da ich ihn entdeckte, Grabschaufel-Arbeit, dann Füllen des Sackes in der Stadt bis zur Rückkehr, zusammen sage ein oder anderthalb Stunden, macht zwölf Uhr Nachts, oder halb ein Uhr früh; dann dreistündige gemeinschaftliche Steigerarbeit, – so waren wir gegen halb vier Uhr Morgens. Er mußte also, – Anfang November, – wenn auch nicht Tag werden, doch die Morgendämmerung sich bald geltend machen. – In diesen Moment fiel mein Blick unwillkürlich nach unten, wo wir die Erde zurückgelassen hatten, und ich machte eine Entdeckung, die, so schrecklich sie an und für sich war, mir doch eine gewisse Beruhigung über meine Lage gewährte; tief unter nur, wo die hanfene Leiter sich in weiter Ferne verlor, sah ich eine große, helle, bleiglänzende Fläche; die Nebel waren verschwunden; die weißgraue Fläche konnte kein Nebel sein, dies sah ich aus angrenzenden ganz dunklen Partien, die die hellere und entschieden Licht reflektierende Fläche saumartig einfaßten, und wenn ich mir auch nicht denken konnte, woher hier Licht reflektiert werden sollte, so war der matte grauliche Schimmer doch ein Faktum; kein Zweifel, wir waren über dem Meer; und wenn ich sage, daß ich bei dieser Entdeckung mit Entsetzen an einen Sturz nach abwärts dachte, so wird der Leser dies begreiflich finden; er wird aber auch begreifen, wie diese lokale Orientierung geeignet war, meinen seelischen Halt, der bei dieser luftausgehenden Arbeit zusammenzubrechen drohte, neu zu kräftigen; ich wußte jetzt wenigstens, wo ich war, ich wußte, daß ich mich zwischen Himmel und Erde befand, ich wußte, daß der magere Mensch mit dem dicken Sack zu meinen Häupten kein Gedreidebauer aus D’decke Bosh war, sondern der Mondmann, oder ein Individuum, welches offenbar zu den Mondbewohnern gehörte; ich meine, irgend eine Persönlichkeit, die zum Mond in einem bestimmten Zusammenhang stand, kurz, ein Wesen, welches allem Anschein nach den Mond besteigt, oder doch zu erklimmen im Begriffe steht, oder wenigstens versucht; – soll ich denn wissen, wer der Mensch war?! – Wir stiegen immer zu. Es wurde jetzt sehr empfindlich kalt, obwohl ich mich bei der stundenlangen Anstrengung ziemlich warm gearbeitet hatte. Wir machten jetzt in der Minute höchstens drei Sprossen, und zwischen jeder Sprosse vielleicht zehn Atemzüge; ich hütete mich wohl, meine Distanz von meinem Vormann zu verringern, um in keinem Fall Anlaß zu einer Entdeckung zu geben; ich wollte aber auch um keinen Preis weiter zurückbleiben, da ein Instinkt mir sagte, wenn jemand in dieser Region und auf diesem Weg sich auskennt, so ist es mein Vorsteiger, und ich bin entschlossen, was auch kommen möge, sein Los zu teilen. – Die Luft wurde nun so dünn, daß ihr Widerstand nicht mehr genügte, um das Blut in den oberflächlichen Hautgefäßen zurückzuhalten, und meine Nase fing, anfangs leicht, später heftig zu bluten an. Da ich mit Rücksicht auf meine Steige-Arbeit eine ziemlich aufrechte Haltung beibehalten mußte, so tropfte ich Hemd, Weste und Beinkleider ganz voll, von da fiel ein Teil des Blutes quer durch die Sprossen, ein

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