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verlegen für das, was kommen sollte; in seinem Gesicht, welches ich genau beobachtete, wenn er, bis zum Hals in der Grube stehend, wie ein glühender Plumpudding über das Land hinschaute, lag etwas Grämliches, wie von einem alten Weib; er sah aus wie ein Arbeiter, ein Tagelöhner, der viel verdient, aber über die Art seiner Arbeit ungehalten ist, daneben schrecklich spart und knauserig ist; das Gesicht war kittegelb, wie man es bei alten, leberkranken Bauern wohl findet, rasiert, mager, und in dem vorstehenden Kinn und den dünnen Lippen lag noch ein abgefeimter Zug wie bei einem Unterhändler, der Hopfen oder Hafer verkauft; das Haar vollständig ergraut. – Er sprang jetzt, nachdem die Schaufel vorausgeflogen war, aus der Grube heraus, indem er sich mit beiden Händen aufstemmte und dann ächzend den ausgemergelten Körper zwischen den Armen nachzog; trotz aller Gewandtheit für den alten Mann eine brave Leistung. Und nun ergriff er den inzwischen noch weiter zusammengesinterten Mond-Kloß und schleuderte ihn mit einer einzigen heftigen Bewegung, daß es zischte, in die Grabe; ich glaubte dabei gehört zu haben, wie seinem Mund die Worte entfuhren: »Hund, elendiger!« Dann ergriff er rasch die Schaufel und scharrte alles zu. Aber schon während dieser Arbeit kam es mir vor, als wenn der Mondmann an Lichtschimmer immer mehr abnahm; seine Figur, die sich zuerst wie eine glänzende Silhouette vom Boden abgehoben hatte, wurde immer düsterer und matter, sah allmählich nur noch wie ein Gipsmann aus, dann wie ein schmutziger Müllerbursche, und zuletzt, als das Grab zugeschaufelt war, erkannte ich knapp einen Menschen, der, wie mir schien, einen dunklen Mantel umgehängt, und eine rabenschwarze Zipfelmütze auf dem Kopf, den Weg in der Richtung nach der Stadt einschlug, und zuletzt vollständig meinen Blicken entschwand. –

      Erst nach geraumer Zeit wagte ich mich aus meinem Versteck hervor; ich ging vorsichtig in der jetzt stockfinstern Nacht auf die Stelle zu, wo der seltsame Mann so lange gearbeitet hatte, und entdeckte ein frisch zugeschüttetes Grab, aus dessen Tiefe ein merkwürdiges Geräusch zu kommen schien. Ich legte mich, aus Vorsicht, ein fremdes geheimnisvolles Werk zu stören, so der ganzen Länge nach neben das Grab, daß ich den frischen Hügel wie ein Kopfkissen benützte, und hörte, indem ich das eine Ohr auf die feuchte Erdmasse aufdrückte, ein Brausen, Zischen, Zerplatzen und Auseinander-Puffen wie von einem heftig sich entladenden Feuerwerkskörper. – Ich kam wieder auf meinen vorigen Gedankengang zurück, der sich bestrebte, alles auf natürliche Weise zu erklären: Nehmen wir an, sagte ich zu mir, der Mann ist wirklich ein Bauer, ein verspäteter Hopfenhändler vom nahen D’decke Bosh, der morgen auf den Markttag nach Leyden geht: geben wir zu, daß ein fast ganz in safrangelbes Leder gekleideter Hopfenhändler und mit einem Gesicht, das nach überstandenem Gallenfieber eine schmutziggelbe Färbung angenommen hat, in voller Mondbeleuchtung einen bläulich-fantastischen Anblick gewährt, und einen mit der Mischung von SafranGelb und feuchtem Mondlicht-Grün Unerfahrenen zu täuschen geeignet ist, so bleibt doch immer noch die Frage: was kann ein holländischer Hopfen-Bauer mitten in der Nacht auf einem Feld zwischen Leyden und D’decke Bosh vor einem Markttag vergraben wollen? – Den Mond? – Ja, Du lieber Himmel, kann man denn den Mond vergraben?! – Aber, es schien doch so! – Freilich schien es so, aber es ist doch ein Unding! Wie käm’ denn ein Bauer zu einen Mond? – Dann war also alles Täuschung! – Nein, das war es nicht; aber man muß nach etwas suchen, was der Bauer möglichenfalls oder vernünftigerweise vergraben haben konnte; einen Haushaltungsgegenstand oder dergleichen – Vergräbt man denn Haushaltungsgegenstände?! – Nein, aber es konnte irgend ein Aberglaube sein, der sich auf ein rundes, glänzendes Objekt bezog. – Was konnte denn das für ein Aberglaube sein, der sich auf ein rundes, glänzendes Objekt bezog? – entgegnete ich immer mir selber. – Nun, der Bauer konnte ein krankes Weib haben, mit einer entzündeten Brust, oder einem aufgeriebenen Popo; – nun, und? – und eine alte Wahrsagerin im Dorf gebot ihm einen runden Gegenstand genau nach dem kranken Körperteil zu formen, und denselben unter bestimmten Verhaltungsmaßregeln mitten in der Nacht da und dort zu vergraben: wenn der Gegenstand verfault oder vertrocknet, werde das Glied wieder hergestellt sein; – zugegeben! Weiter! – und der Bauer nahm irgend einen runden Gegenstand, der ihm zunächst lag. – Zum Beispiel? – Einen Kürbis oder Potschamber, – und der Bauer, um sicher zu sein, daß das Objekt rascher zerstört werde, füllt die Höhlung mit irgend etwas, Phosphorbrocken, Kalk oder glühenden Kohlen, und geht mitten in der Nacht mit einer Schaufel aufs Feld… »Gott! welche Verirrung!« rief ich halblaut gegen mich selbst aus, und stand vom Boden auf, um durch Bewegung auf andere Gedanken zu kommen: unwillkürlich blickte ich gen Himmel: der Mond war fort! – Eine sternenhelle Nacht, – die Nebel hatten sich gesenkt, – keine Wolke am ganzen Himmel, – und der Vollmond war fort! – Ich kehrte zum Grab zurück.

      »Sollte,« sagte ich zu mir selbst, »hier ein unerhörtes, weltgewaltiges und tragisches Werk vorliegen, welches mir allein vergönnt war zu beobachten, und das ich armer, kleiner Erdenwicht mit meinen Gedanken nicht zu umspannen vermag? Ich wollte mich aufs neue hinlegen, um das in der Tiefe schwächer und schwächer werdende Brodeln und Zischen weiterhin zu erlauschen, als ich in nächster Nähe die schwarze Silhouette des Totengräbers auf mich zutreten sah. Ich warf mich etwa zehn Schritte von dem Erdhügel rasch zu Boden; jeder Gedanke an den holländischen Bauer von D’decke Bosh war jetzt verschwunden; ich fühlte, ich stehe hier einer unheimlichen, übermächtigen Persönlichkeit gegenüber; ich war zum Glück nicht bemerkt worden; der geheimnisvolle Mensch kam langsamen Schrittes und hörbar keuchend heran, ging mehrere Male um das Grab herum, schüttelte wie unzufrieden den Kopf, schien nicht alles in Ordnung zu finden, schnüffelte dann in die Luft hinaus, wie um sich zu orientieren, ging einige Schritte auf und ab, sah sich überall in der Dunkelheit um, und kehrte endlich zum Grab zurück, um sich tief hinabzubücken und seine ziemlich lange und scharfe Nase, so weit es ging, wie ein Spürhund in das frische Erdreich zu vergraben. In dieser Positur sah ich, daß er unter seinem schwarzen, havelockartigen Mantel einen großen, dunklen Sack, der mit irgend etwas vollgefüllt war, trug, – ein Gepäck, von dem ich sicher wußte, daß er es vorher nicht hatte, und wenn ich mich an das vorherige Keuchen erinnerte, so war es klar, daß er diese Last von irgendwo her herbeigeschleppt haben mußte. Aber woher? Säcke von dieser Güte findet man doch nicht auf dem bloßen Feld! Er muß ihn also in der Stadt geholt haben. – Welchen Verkehr kann dieser seltsame Mann mit der Universitätstadt Leyden haben? – frug ich mich. – Mit wem? – Wird diese lange Hopfenstange unter den hellen Laternen der Lammer Straat ihren gleichen phosphoreszierenden Aspekt annehmen wie unter dem Vollmond? Und dann denke man sich diesen bläulich-glühenden Menschen in einen Laden treten und um zwei Kreuzer Kautabak verlangen! – Dabei zeigten aber seine Bewegungen eine Sicherheit und Regelmäßigkeit, die den Gedanken nahe legten, er habe diesen Weg und all’ diese Verrichtungen nicht das erstemal gemacht. – Hat man denn, – frug ich mich, – jemals in Leyden von dem Erscheinen eines solchen seltsamen Gesellen gehört? – Freilich, – beruhigte ich mich, – der Mondmann, wenn er es war, brauchte ja nicht immer auf dem Feld zwischen D’decke Bosh und Leyden abzusteigen. Er brauchte überhaupt nicht in Holland niederzusteigen. – Der schwarze Mensch erhob sich jetzt wieder, und er schien mit dem Resultat seiner Prüfung zufrieden zu sein. Denn er verließ das Grab, machte einige Schritte in das Feld hinaus, griff in die Luft und erfaßte eine mir bis dahin unsichtbar gebliebene Strickleiter von rußigem Ansehen, an der er hinaufzusteigen begann.

      In diesem Augenblick packte mich eine furchtbare Angst. Nicht wegen des Mannes, nicht wegen der ganzen Episode, die mir ein Rätsel bleiben sollte, wenn der Mann wieder ging, woher er gekommen; sondern wegen eines Gedankens, der mich in dem Moment erfaßt hatte, als der rätselhafte Mensch den einen Fuß vom Erdboden erhoben und in die Strickleiter gesetzt hatte; der Gedanke: Steig ihm nach! Ich wußte, die Entscheidung, wie sie auch ausfallen möge, werde, unabhängig von meinem sogenannten Ich, aus einem tieferen Grund heraufkommen, und ich, meine Person, werde der willenlose Zuschauer sein. Die Unsicherheit, wenn auch nur für wenige Sekunden, was geschehen werde, und wie die Entscheidung ausfallen werde, erdrückte mich fast vor Angst. Doch schneller, als ich dies niederzuschreiben vermag, und schneller, als der Leser folgt, gingen die Ereignisse vor sich. Der schwarze Grabschaufler mit seinem Sack stand bereits auf der fünfzehnten oder zwanzigsten Sprosse, hoch über meinem Kopf. Straff spannte sich die Leiter vor ihm in die Höhe, um sich in der Richtung, wo der Vollmond gestanden war, in’s Unendliche zu verlieren. Unter ihm schwankte die Leiter lose hin und her, da und dort am Erdboden aufstreifend; ich sehe noch heute deutlich das Ende vor mir; es war etwas ausgefranst und schien von gutem, hanfenem Stoff; jetzt schwankte es dorthinüber;

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