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hauen auf den Tisch und machen sich Fäuste, als wollten sie boxen; – einen englischen Christus habe ich gesehen, der Ihnen wunderschönes Blut schwitzte; – und die Truppe, von der wir den Jakobus in dem schottischen Kleid haben, brachte eine Nummer vor der Kreuzigung, in der sich Judas in einem Obstgarten an einem verdorrten Baum erhängt, – aber da, sage ich Ihnen, da fliegen die Sovereigns, und der Strick wird in zehn bis fünfzehn Teile geteilt! Für eine Christuslocke werden fünf Pfund geboten!« – »In Deutschland ist dies alles wohl verboten?« – »Ach, die Behörden haben ja gar kein Verständnis für diese Dinge; bei uns steckt noch alles in den Kinderschuhen! Nur unsere Köpfe sind besser.« – Diese Unterredung wurde halblaut zwischen uns geführt. Ich wollte mich nur noch betreffs des »hannoveranischen Judas« erkundigen, als hinter der Bühne ein Zeichen gegeben wurde, worauf sich der Sachse entfernte. Alsogleich ging der Vorhang auf.

       Golgatha

      Die Bühne füllte eine große Menge von Personen, von denen es zunächst auffiel, daß ein Teil lebte, die anderen aus Wachs waren. Links vorn auf einer Seitenestrade saß der kurzgeschorene Pilatus mit etwas mürrischem Gesicht und wusch seine Hände in einem zinnernen Becken. Korrespondierend rechts stand der Hohepriester Kaiphas, im reichen Ornat, den mit der Mitra geschmückten Kopf so den Bühnenvorgängen zugewendet, daß man vom Gesicht nur Nase und den glänzendschwarzen Vollbart sah. Er zuckte in rhythmischer Weise fortwährend mit der Achsel, wobei sein mit Steinen geziertes Priestergewand jedesmal in rasselnde Bewegung kam, als wollte er sagen: »Ja, ich kann nicht helfen, – wenn es das Volk so will!« – Beide Figuren, der Jude und der Römer, schienen selbsttätige Mechanismen zu sein, die zu ihrer Ingangsetzung keine weitere Bedienung nötig hatten. Die Waschbewegung war ganz vortrefflich in Idee wie Ausführung. Der fortwährend stumme Protest, wie: »Mich geht eure Sache nichts an!«, der in diesem allegorischen Händewaschen lag, war eine vorzügliche Charakteristik für den formellen römischen Beamten und bildete einen wirksamen Gegensatz zu der blutigen Handlung, die sich unter ihm abspielte. Mechanisch betrachtet war aber die kreisförmige, stets sich ineinander verwickelnde Bewegung der Wachshände eine Kunstleistung ersten Ranges; übrigens, wie ich später erfuhr, französische Arbeit. Weniger erträglich auf die Dauer war das Achselzucken des Kaiphas; aber was war zu wollen? Die Figur war aufgezogen; besser, sie zuckte, als daß sie gar nichts machte; so bekam man wenigstens eine Vorstellung von der Meinungsrichtung dieser einflußreichsten Persönlichkeit im »Hohen Rat«.

      Im Hintergrunde der Bühne standen drei Kreuze; das mittlere leer; an den zwei äußeren die zwei Schächer. Diese beiden, alte, schlechte Holzfiguren, mit ein paar farbigen Fetzen ausgestattet, waren mit Absicht, wie mir schien, außerhalb der Beleuchtung gerückt, um das Publikum ihre Zerstörtheit nicht zu sehr merken zu lassen, und waren überhaupt sehr vernachlässigt. – Am mittleren Kreuz, welches bereits die Inschrift trug, wurde soeben Christus aufgezogen. Er hatte bereits die Dornenkrone auf und war nackt bis auf die Lendenbinde. Der Oberkörper war anatomisch so schön in Wachs modelliert, daß er jedem Museum zur Zierde gereicht hätte. Die Hauptschwierigkeit lag aber in der Behandlung des Kopfes; zwar bewegte er sich anstandslos auf und ab, nach rechts und links, konnte auch die Lider halb senken und das Auge nach oben schlagen, aber was nicht zu erreichen war: die beiden Hauptempfindungen, die des Schmerzes, zu Anfang der Kreuzigung, und die der seligen Ruhe bei eingetretenem Tod, welche sich, physiognomisch betrachtet, kontradiktorisch gegenüberstehen, konnten nicht auf ein und demselben festmodellierten Kopfe zur Darstellung gebracht werden. Und zwei Köpfe konnte man doch nicht verwenden. Übrigens kam dies jetzt, wo noch alles mit Aufmerksamkeit bei dem Akt des Aufzuges engagiert war, noch nicht so zum Ausdruck, wie später, nachdem einmal die Leiche hing. – Was nun dieses Aufziehen am Kreuz selbst anlangt, so war es klar, daß eine so komplizierte Arbeit nicht von Wachsfiguren, und wären es englische gewesen, verrichtet werden konnte. Man hatte deshalb als Kriegsknechte, welche dies zu besorgen hatten, zwei Statisten der Truppe verwendet. Leider war aber der eine ein lümmelhafter, himmellanger Mensch, der fast bis zum Querholz des Kreuzes reichte, mit einem häßlichen, schrecklich bärtigen Gesicht; der andere schielte, war kurz und breitschultrig und steckte immer den Kopf hinein, da er, wie ich zu sehen glaubte, noch immer eine verblaßte blaue Krawatte von seinem Werktaganzug anhatte. Schon dies mußte auf das Publikum revoltierend wirken. Die beiden Burschen standen hinter dem Kreuz und zogen an Stricken, die über das Querholz liefen, den Christuskörper, der noch eben vor dem Kreuz ausgestreckt am Boden gelegen hatte, in die Höhe. Vor dem Kreuz stand mit dem Rücken gegen das Publikum ein großer Mensch mit Samtmantel und turbanähnlicher Kopfbedeckung, der, wenn ich nicht irre, Nikodemus vorstellen sollte, und der den eben jetzt oben am Kreuzesstamm erscheinenden Christus an den Füßen hielt. Abgesehen nun davon, daß Nikodemus hier bei der Kreuzigung noch gar nichts zu tun hatte, kam es mir sonderbar vor, daß die beiden Kerls hinter dem Kreuz mit solch übertriebener Vorsicht und einstudierter Langsamkeit, ganz gegen ihr eigenes Naturell und den Charakter ihrer Rolle, den Aufzug bewerkstelligten. Ich habe Grund zu glauben, daß der Direktor, der für seine Wachsfigur fürchtete, dazu Auftrag gab, und daß eben den Nikodemus der Direktor machte, um diesen Aufzug besser überwachen zu können. Doch war das Publikum voll Teilnahme und Spannung und ganz auf der Höhe der tragischen Situation. Lautlos hing alles an der schwebenden Christusfigur. Links wusch fleißig Pilatus seine Hände; und rechts zuckte Kaiphas, dessen Blick jetzt gerade auf die Kreuzeshöhe gerichtet war, mit den Schultern, als sagte er: »Es war wirklich nicht zu ändern. Ich bin im Rat überstimmt worden.«

      Als endlich die Figur fest am Kreuz angekommen war, ließ Nikodemus die Füße los, trat einen Schritt zurück und machte eine verkehrtbrünstige Bewegung, indem er die Hände weit ausstreckte und wieder zusammenklatschte und dabei den Kopf etwas auf die linke Schulter fallen ließ, so den langgestreckten Christus unverwandt anstarrend. Als nun aber die beiden Kriegsknechte, die ihre Seile irgendwo angebunden hatten, hervorkamen, die Leiter ansetzten, hinaufstiegen und mit etwas übertriebener Wucht und gemachter Roheit die Nägel durch Christi Hände schlugen, deren rotgeränderte Wunden mit dem herabfließenden Blut übrigens schon vorgezeichnet waren, entstand im Publikum eine heftige Bewegung. Man hörte einige laute Schreie ausstoßen, die Vordersten wichen von der Barriere zurück, und einige drohende Hände fuhren bei dem Zwielicht der Beleuchtung wie Schatten durch die Luft. Der Sachse, wie mir schien, an solche Dinge gewöhnt, rief mit ruhiger, plärrender Stimme: »Ich ersuche das hochverehrliche Publikum im Namen der Direktion, keine Schmähungen gegen die weniger beliebten Persönlichkeiten der heiligen Handlung auszustoßen! Es ist ja alles nur von Wachs; es ist ja nur ein Vorgang; das alles hat ja vor zweitausend Jahren stattgefunden! Ich bitte das verehrliche Publikum, sich ruhig zu verhalten; der Direktor hat von der hochverehrlichen königlichen Polizeidirektion den Befehl, die Vorstellung sofort zu schließen, wenn Ungehörigkeiten vorkommen. Vor vierzehn Tagen hat jemand aus dem Publikum mit harten Brotrinden nach dem Judas geworfen und den Judas schwer verletzt. Das geht doch nicht; so ein Kopf kostet uns über zweihundert Gulden!« – Diese Rede hatte aber nur teilweise die gewünschte besänftigende Wirkung; denn nachdem jetzt die Kriegsknechte mit den Leitern sich entfernt, und Christus, dessen wunderschöner Kopf in vollste Beleuchtung gerückt war, mit schmelzendem Augenaufschlag und gebrochener Stimme, von der ich nicht wußte, woher sie kam, die »Worte am Kreuz« stammelte, hörte man im Publikum vielfach schluchzen. Nikodemus ließ sich nun auf ein Knie nieder, um dem Publikum die Blickrichtung über ihn hinweg zu ermöglichen, und unter das Kreuz traten jetzt Maria, Magdalena und Johannes. Maria und Johannes symmetrisch rechts und links vom Kreuz; während Magdalena, eine hübsche üppige Person, stark dekolletiert, mit aufgelösten blonden Flechten, in kniender Stellung und mit brünstiger Gebärde den Kreuzesstamm umfaßte. Es war die Kassiererin, der ich draußen beim Eingang der Bude begegnet war, und welche jetzt, da die Vorstellung zu Ende ging, zur Mitwirkung auf der Bühne verwendet werden konnte. Auch Maria und Johannes waren, wie Magdalena, keine Wachspuppen, sondern wirkliche Personen. Maria, schrecklich mager und heruntergekommen, machte trotz einer höchst gewählten Toilette in Dunkelblau keinen günstigen Eindruck hinsichtlich der Ernährungsverhältnisse der Truppe, auf welche Maria Magdalena erst in so vorteilhafter Weise hinzudeuten schien. Und bei Johannes, der auf der rechten Seite stand, einem jungen, etwas hageren Menschen, mit braunen Locken, fiel mir eine rechtsseitige Gesichtsröte nebst tränendem Auge auf derselben Seite auf. Da die Tränen kaum auf die Handlung sich bezogen, weil er sonst künstlich mit beiden Augen geweint hätte, er auch ein etwas verdutztes Gesicht machte, so

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