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dem Munde starrten; – kam ich nach Hause, so wurde ich von einer Flut von Schimpfworten übergossen; durch eine mir nie bekannt gewordene Methode war sie stets aufs Genauste unterrichtet, wie ich meine Zeit außer ihrem Hause verbracht hatte: zufrieden war sie nur, wenn ich über meinen Büchern saß und studierte; da dies leider selten der Fall war, so lebten wir in ewigem Zank und Streit; schon nach wenigen Monaten kam ich infolge von Geldverlegenheiten ganz in die Gewalt dieser Frau; ich muß zu ihrer Ehre konstatieren, daß sie meine Notlage nur dazu benutzte, um mich zum Studieren zu nötigen: hätte ich ausgehalten, ich hätte zweifellos ein glänzendes Examen gemacht: daß dies nicht geschah, daran trugen mannigfaltige Umstände die Schuld: nicht zum letzten die Furcht, mich nach einem begangenen Exzeß wieder zu Hause zu stellen.

      Der stärkste dieser Exzesse schloß sich an ein seltsames Erlebnis in der Anatomie an, nach welchem ich mich acht Tage lang mit einigen meiner schlimmsten Kameraden von Wirtshaus zu Wirtshaus trieb. Als ich am letzten dieser Tage – es war an einem Samstag – einigermaßen zu Vernunft gekommen, fehlte mir der Mut, nach Hause zu gehen: wie ein Hund, der weiß, er kriegt Schläge, lief ich hinaus auf’s Feld, um zu überlegen, was zu tun sei. – Wir waren um November. Es war schon dämmrig geworden, und naß und schwer, wie eine feuchte Melone, stieg der Mond am Horizont empor. Es war Vollmond. Ich setzte mich an einem Anger und überließ mich, während ich in’s Weite schaute, meinem Nachdenken. – Wie sonderbar, sagte ich zu mir, daß die Studenten von Hause weit fortgehen, in eine neblige, große Stadt, und dort von einem alten, dürren Weib mit langen Zähnen mehr erzogen werden und ganz neue Grundsätze annehmen, als zu Hause von ihrer Mutter! – Während ich so dachte, schien mir, als ob sich am Mond etwas bewegt hätte; ich blickte genau hin, konnte aber nichts entdecken. – Wie sonderbar, fuhr ich fort zu denken, ist ein solcher Student; bevor er seine deutsche Heimat verläßt, küßt er ein blondes Mädchen und sagt zu ihr: »Kind, wenn ich Doktor geworden bin, dann komme ich und heirate Dich!« – Dann zieht er fort in die große, nördliche Universitätsstadt und geht dort auf die Anatomie und zerschneidet tote Körper; eines Tages bekommt er eine weibliche Leiche mit blonden Haaren, und als er im Begriff ist, das Messer anzusetzen, bemerkt er, wie dieselbe seiner blonden Braut im deutschen Städtchen zum Erschrecken ähnlich sieht. Er verläßt sofort seinen Platz und stürzt zum Saal hinaus: dann packt er sein Anatomie-Besteck zusammen, und geht fort, und säuft sich acht Tage lang toll und voll, nur um diesen schrecklichen Gedanken zu vergessen!… Während ich so dachte, schien sich mir wiederum etwas auf dem Mond bewegt zu haben; diesmal viel deutlicher; ich schaute genau hin, konnte mich aber nicht überzeugen; ich beschloß, den Mond jetzt genau im Aug’ zu behalten. – Ein solcher Student, fuhr ich in meinem Denken weiter, ist von diesem Moment an ein armer, bejammernswerter Mensch; sein Hauptaugenmerk ist, einen bestimmten Gedanken, eine bestimmte Erinnerung, von seinem Hirn fern zu halten; inzwischen hält man ihn für einen Trunkenbold, Spieler, Schürzengaffer, und ein dürres Weib mit langen Zähnen und triefiger Nase hackt immer auf ihn ein, schilt ihn einen verkommenen Kerl, und droht ihn zum Haus hinauszuwerfen. »Herr Gott!« rief ich jetzt laut weinend aus, »ist es zu verwundern, wenn ein solcher Student mit dem Teufel anbinden möchte, oder einem der altheidnischen Götter sich verschreibt, oder in eine geheime, gotteslästerliche Verbindung mit Sonne oder Mond tritt?!« – In diesem Augenblick geschah bestimmt eine Bewegung auf dem Mond; diesmal war es keine Täuschung, denn die Bewegung hielt an; ich fiel wie vom Blitz getroffen nach vorwärts auf die Hände und starrte mit verrenktem Kopf den Mond an; alle meine früheren Bekümmernisse waren in diesem Moment vergessen.

      Welcher Art die Bewegung auf dem Mond war, fällt mir schwer zu beschreiben. Es schien, als hätte die Mondscheibe ihren Platz verlassen, und an ihrer Stelle bliebe ein düsterer, schwarzer Fleck am Himmel; indessen die glänzende Kugel mehr und mehr herabzusinken schien; und indem ich nun von dem näher und näher rückenden Mondball auf die Erde herabmaß, um beiläufig jene Stelle zu finden, auf der, sollte das Unglaubliche geschehen, unser Erden-Trabant landen mußte, entdeckte ich zwei glitzernde Linien, dünn wie Telegraphendrähte, aber funkelnd wie Morgentau, die, vom Mond ausgehend, zur Erde herabreichten, deren irdisches Ende aber zunächst meinem Augenmerk sich entzog. Während ich so mit verhaltenem Atem diese Reihe von Erscheinungen verfolgte, bemerkte ich, daß die zwei hellen Linien, die ich lieber für Schnüre gehalten hätte und die, nach meinem irdischen Maßstab gemessen, etwa anderthalb Fuß auseinanderstanden, durch Querleisten verbunden waren, und wie zu meinem größten Schrecken an diesen Querleisten ein zappelndes gelbes Geschöpf, wie an einer Strickleiter, mit großer Emsigkeit sich herabbewegte, und mit so dünnen Beinen, daß ich, auf die unendliche Entfernung, den Eindruck erhielt, eine gelbe Heuschrecke bewege sich mit großer Leichtigkeit und in scharniermäßigem Einerlei zur Erde herab, den Mond wie einen leichten, lustigen Ballon nach sich ziehend. – Es ist mir ganz unmöglich, anzugeben, wie lange diese Steig-Arbeit dauerte; ich bemerkte nur, daß es vollständig Nacht war und das summende Geräusch aus der nahen, bis tief in die Nacht hinein belebten Stadt vollständig erloschen war, als keine dreihundert Schritt von mir ein langer gelber Mann zur Erde stieg, der hinter sich an einer Schnur den Mond nach sich zog. Obwohl ich die ersten Bewegungen an unserem Himmelskörper mit der größten Spannung, ja mit Schrecken wahrgenommen, ließ mich das endliche fabelhafte Resultat relativ unberührt; ich schließe daraus, daß das Niedersteigen Stunden gewährt haben muß, um einen derartigen unerhörten Akt durch die fortwährende Beobachtung schließlich in seinem Einfluß auf mein Gemüt wirkungslos zu machen. – Der lange gelbe Mann, der, nebenbei gesagt, schrecklich mager war, schien mit etwas nicht zufrieden zu sein; er war auf einem Stoppelfeld, und suchte auf dem Boden herum, dabei fortwährend den Mond hinter sich drein ziehend, und begab sich endlich auf ein frisches Winter-Saatfeld, das, – Gott sei Dank! – nicht in meiner Richtung lag. Dort band er den Mond, der wohl eine Neigung nach oben zu steigen besaß, an einen Pflock fest, holte aus seinem kittgelben Anzug, mir unbegreiflich wie, eine Schaufel hervor, und begann zu graben. – Der Leser wird wohl mit mir der Ansicht sein, daß weit wichtiger, als dieser nächtliche Totengräber, der Mond nun selbst für uns sein müsse, der hier vermutlich begraben werden sollte, und daß mit ihm die nächsten Mitteilungen notwendigerweise sich beschäftigen müssen; der lange gelbe Mann konnte ein Bauer sein, der sich gelb trug, und von der nächsten Anhöhe, vom vollen Mondeslicht begossen, herabsteigend, den Eindruck erwecken, er komme vom Himmel herunter; aber der Mond auf einem frischen Saatfeld, wie ein Kalb an einem Pflock angebunden, verlangt doch eine Erklärung oder mindestens eine genauere Beschreibung. Aber gerade hier beginnt für mich die Schwierigkeit, und der Leser wird in der Lage sein, diese Schwierigkeit voll zu bemessen, wenn ich ihm sage, daß es mir manchmal vorkam, der Vollmond sei noch oben am Himmel an seinem Platz, und erst, wenn ich den Strick betrachte, der vor mir deutlich am Pflocke einschnitt, zog ich an ihm sozusagen den Himmelskörper zur Erde nieder. Über seine Größe kann ich soviel angeben: er war wohl sechsmal so groß, als man den Vollmond bei klarem Himmel über sich im Zenith sieht: aber freilich, bei dunstigem, feuchten Wetter, und gegen den Horizont geneigt, sieht der Mond immer größer aus; die gelbe Kugel, die über dem Saatfeld schwebte, war gewiß so groß, wie der größte Kürbis, der mir vorgekommen: aber vielleicht reduziere ich meine Angabe, wenn ich sage, daß derjenige, welcher die bekannten runden holländischen Käse gesehen hat, groß wie ein Zwanzig-Pfünder, die außen prächtig rosa angestrichen sind, sich am besten eine Vorstellung von dem Umfang des hier so plötzlich vom Himmel genommenen Vollmondes machen wird.

      Um mich von der Leuchtkraft dieses merkwürdigen Körpers zu überzeugen, kam mir die Idee, mich umzudrehen und die Landschaft zu betrachten, wie weit sie erhellt sei: aber ich konnte nicht: mir fehlte die Courage ebenso wie die physische Kraft; wie fasziniert glotzte ich in den glühenden Ball, so daß ich zuletzt über den Helligkeitsgrad nicht mehr urteilen konnte, aber soviel glaubte ich zu erkennen, daß durch Zusammensickern der ganze Körper an Ausdehnung allmählich abnahm, ebenso wie er schwerer wurde und dem Erdboden sich zu nähern schien. – Inzwischen hatte der Mondmann, – so will ich von jetzt an der Kürze halber den merkwürdigen Menschen nennen, – hatte der Mondmann, wie ich aus der Menge der herausgeworfenen Erde schließen konnte, ein ziemlich tiefes Loch gegraben; er war von Zeit zu Zeit hineingesprungen, und maß am eigenen Körper die Tiefe des Loches ab; später blieb er dann in der Grube und schaufelte drinnen weiter, und zuletzt verschwand er für meinen Standpunkt vollständig in derselben, während keuchend eine Schaufel Erde nach der andern herausfuhr, und dabei jedesmal eine silberglänzende Zipfelmütze auf einen

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