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       Pour bien connaitre les choses divines d’une religion, il faut se les figurer dans une forme tout-à-fait humaine.

      Renan.

       Abendmahl

      Es war im alten Nürnberg. Ich war auf der Reise und hatte etwas Eile. Wir mochten um Anfang Oktober sein. Auf dem Marktplatz war ein großer Jahrmarkt aufgeschlagen, eine »Dult«, wie dort die Leute sagen. Es war schon gegen Abend und bei der vorgerückten Jahreszeit schon etwas dunkel. Trotzdem war der Verkehr zwischen den Buden noch ziemlich rege. Nach Abschluß meiner Geschäfte führte mich mein Weg über den Marktplatz, und ich war eben im Begriff, nach Hause zu gehen, als ich auf einer der Schaubuden, vor der zu meiner Verwunderung kein Ausschreier stand, die Überschrift: »Leiden und Sterben unseres Heilandes Jesu Christi« las. – Ich bin von Haus aus allen religiös-theatralischen Vorstellungen abgeneigt und wollte mich mit Abscheu von der Idee abwenden, einen so heiligen Stoff mitten in diesem Jahrmarktsgetriebe fest, plastisch oder beweglich, mit Drahtpuppen, gemalt, geformt, geschnitzt oder gar tragiert dargestellt zu sehen. Gleich darauf kamen aber in meinem Kopf Schlagwörter wie »Nürnberg«, – »Spielwaren«, – »Puppen«, – »Figuren auf Lebkuchen« zum Vorschein. Ich erinnerte mich des großen Rufes, den die Nürnberger Arbeiten der Art genießen, und mehr aus Interesse für den mechanischen Apparat, mehr aus Neugier für die Marionettenkünste kehrte ich um und schritt auf die Bude zu. – »Leiden und Sterben unseres Heilandes Jesu Christi« las ich noch einmal auf der gemalten Überschrift.

      Nur einzelne Leute standen vor der sehr primitiv gehaltenen Baracke. Und diese gafften, wie das so Brauch ist. Der Preis schien mir etwas höher als bei den anderen künstlerischen Veranstaltungen. Ich trat ein. Ein segeltuchüberspannter, mit Lampen etwas düster beleuchteter Raum, in dem sich ein Dutzend Menschen beiderlei Geschlechts und aus allen Ständen des Volkes befand. »Sie kommen gerade recht«, sprach mich der Budenbesitzer, der ein Sachse war, an, »soeben beginnt die Vorstellung.« Im Hintergrund der Bude, in den alles erwartungsvoll blickte, befand sich ein erhöhtes Gerüst, eine Art Bühne, die aber geschlossen war. Doch sah man an den durchschimmernden Lampen, daß sich dort etwas vorbereitete. Und eben, als der Budenbesitzer die Worte gesprochen hatte, ging der Vorhang auf, und alles drängte nun vor bis zur Rampe.

      Auf einer Estrade, die einige Fuß über dem Erdboden erhaben und ringsum mit Soffitten entsprechend verkleidet war, befand sich eine große Gruppe dunkler, steifer Gestalten, sitzend, bunt gekleidet, zum Teil mit höchst pathetischem Gesichtsausdruck, aber regungslos an einem Tisch vereinigt, die einen schief, die anderen gerade, die dritten buckelig, glotzend, stierend, lächelnd, entrüstet, vor Wehmut zerfließend, wie es gerade der Moment oder der Schauspielpart erheischte. Es war kein Zweifel, das sollte die Abendmahlszene vorstellen. Das Arrangement war das wie auf dem bekannten Bilde des Leonardo da Vinci: eine nach vorn offene, weiß gedeckte Tafel; die Brüche im Tischtuch von der Büglerin stark prononziert, damit das Tafeltuch als unzweifelhaft neu erscheint und so den Begriff des Feierlichen erhöhe. Die ganze hintere Front gegen den Zuschauer zu mit Jüngern und Christus in der Mitte dicht besetzt, aber doch so, daß auf den zwei schmalen Seitenkanten noch zwei bis vier Jünger Platz nehmen, die ja das Publikum noch immer von der Seite sehen konnte. Meistens nimmt man zwei untergeordnete Apostel, den Bartholomäus oder jüngeren Jakobus, für diese Seitenkanten, da ja das Hauptinteresse sich doch der Mitte zuwendet, wo Christus sitzt; und gewöhnlich begnügt man sich, ein paar gutprofilierte Köpfe, die in nicht zu schreienden Kaftanen stecken, hier an die Enden des Tisches zu plazieren, damit das Publikum hier zwar einen wohltuenden Abschluß finde, aber ja nicht mit der Aufmerksamkeit abgelenkt werde.

      Es ist klar, daß die späteren Apostel Paulus und Matthäus hier bei der Einsetzung des Abendmahls noch keine Verwendung finden können. Denn Paulus ist eigentlich Extraordinarius, hat mit der Zwölfzahl gar nichts zu tun und hat sozusagen auf eigene Verantwortung die Apostelgeschäfte ausgeübt, und Matthäus wurde an Stelle des später ausgeschiedenen Judas Ischariot gewählt. Dieser letztere ist aber hier noch von der größten Wichtigkeit und wird, wie der Leser bald sehen wird, eine imposante, alles elektrisierende Rolle spielen. Die ganze Gesellschaft war durch sechs am Boden durch ein Brett gegen das Publikum hin gedeckte Lampen aufs grellste beleuchtet. In der Mitte Christus mit einer fein gearbeiteten, blonden Perücke; er hat die größte Ähnlichkeit mit einem englischen Lord, wie man sie bei uns auf dem Theater in komischen Stücken darstellt. Nur war er ganz bartlos: aber die gleiche blasierte Langweile lag auf dem regungslosen Gesicht: man erwartete jeden Moment, daß er den Mund zum Gähnen öffne. Der Blick, regungslos blau den Beschauer anstarrend, hatte etwas Lammfrommes, Trauriges, kindlich Unbewußtes; der bleiche, glatte Unterkiefer ragte etwas zu weit vor und forderte zu Vergleichen mit Repräsentanten aus dem Tierreich auf. Der Wachsguß war etwas zu fettig ausgefallen, man meinte, Christus schwitze Fett, was nicht zur Heiligkeit beitrug. Vor ihm auf einem zinnernen Teller lag ein Karpfen aus dem Bach Kidron; auf dem Tisch verteilt standen in Glasschalen Brote und einige Äpfel mit auffallend roten Backen. Christus streckte mit brünstiger Gebärde die beiden langgefalteten Hände über den Fisch aus; doch war es offenbar, er konnte zu keiner Verteilung der Speisen noch zu einem Brechen der Brote schreiten, denn beide Hände waren vorn an den Fingerspitzen zusammengepappt. – Das Publikum und ich waren beschäftigt, die einzelnen Gruppen und Persönlichkeiten in der Weise durchzumustern; es herrschte eine lautlose Stille, als der Budenbesitzer plötzlich mit weinerlich-sächsischem Pathos laut die Worte ins Publikum rief. »Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch wird mich verraten!« – Nun ist es klar, daß diese Worte als aus dem Mund Christi hervorgehend gedacht waren. Sei es nun, daß der Sprachmechanismus dieser Hauptfigur nicht in Ordnung oder

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