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Mädchen dich wohl anzeigen wird! – Gott bewahre! Wie kann sie das? Ebenso könnte ein Lamm von einem Wolf eine Anzeige machen, den es zum ersten Mal gesehn!…«

      Dies waren ungefähr meine Gedanken, und der Leser möge mir zu Gute halten, daß ich sie hier so ohne Umschweife ausgekramt. – Die Mondfrau war jetzt nach oben gekommen und schmiß jetzt nach ihrer Manier die Klapptüre zu; im Schürz hatte sie einige Käse und in der Rechten mehrere von den geteerten Dachpappen. Es war offenbar Essenszeit. Und offenbar hatte eines der Mädchen zu früh Hunger bekommen, und darauf bezogen sich die Worte der Mondfrau, mit denen sie in den Keller hinunterstieg: »Muß denn den ganzen Tag gefressen werden?!« – Das Mondfenster war offen, zum erstenmal seit meiner Anwesenheit; es war nicht kalt; sogar ganz erträglich; aber keine Spur von Tageslicht, keine Spur von Sonne. – Die Mondfrau hatte die Käse – ich weiß nicht mit was für einem Instrument – auseinandergebrochen und an die Kinder, die ihr höchst primitives Spinngerät bei Seite gelegt hatten, verteilt; sie selbst, mit einem Stückchen Käsrinde im Munde, nahm einige der Pappscheiben, ging ans Fenster und rief: »Papa, komm dann zum Essen!« Der Mondmann, der die ganze Zeit auf dem Dach und an den Seitenflächen herumgehämmert hatte, kletterte heran, streckte von oben die Hand herein und nahm die geteerten Tafeln ohne ein Wort der Erwiderung in Empfang. »Komm dann zum Essen!« sagte die Hausfrau noch einmal halblaut. Der Mondmann stieg aber weder herein, noch kletterte er wieder hinauf, sondern begab sich zu meiner größten Verwunderung auf die untere Mondfläche, wo er mehrere der Platten mit wuchtigen Hammerschlägen befestigte. Der so um das Holzgerüste des Mondes gelegte Teer-Überzug war ja gewiß direkt verständlich, da er ein vortreffliches Schutzmittel gegen Wind, Regen, Sonne, wenn sie kam, elektrische Entladungen, alle Art Niederschläge u.s.w. abgab. Weniger begreiflich war mir, daß sich der fleißige Mann da unten halten konnte. Sollte die Anziehungskraft dieses doch nur mäßig großen Mondkörpers genügen, einen allerdings spindeldürren Menschen an ihrer Oberfläche festzuhalten? Oder war der in Jahren doch schon vorgerückte Mondmann gelenkig genug, um sich an den sandüberstreuten Teerflächen festzuhalten? – Das Schmatzen der Kinder machte mich hungrig. Ich holte meinen Käs, der zwischen den Schlappen der Hausfrau und ihrem Nachttopf gelegen, hervor und biß herunter, so gut es eben ging. Das Schlagen und Hämmern unter mir ging immer fort. Es schien, er mußte den ganzen Mond neu überziehen. Von den Kindern liefen einige zu den Nachttöpfen, andere hatten ihre Spinnarbeit wieder aufgenommen, von der ich eigentlich nicht sagen kann, wie es zu Wege ging; von Spinnrad war natürlich keine Rede; ich glaube, das eine Kind hielt ein Ende mit der Hand fest, während das andere die Flecht-Arbeit machte. – Es mußte wohl schon Nachmittag sein, und die Mondmutter war am Tisch eingeschlafen, als endlich der Mondmann durch das Fenster hereinstieg, glühend und mit perlender Stirn. Beim Sprung auf den Boden erwachte die Alte. »Was,« sagte sie, »brennt heute so die Butterkugel?« – »Oh, scheußlich!« antwortete der magere, keuchende Mann, und hallte die Faust gegen die fensterlose Rückseite der Stube. »Papa, hebe nicht die Hand auf gegen sie!« mahnte die Hausfrau in ernstem Tone. – »Ach!« replizierte der Mondmann mit einer wegwerfenden Geste und ließ sich auf die Bank kraftlos niederfallen. Die Mondfrau schob ihm einen angebrochenen Käsballen hin. – »Was? Butterkugel?« dachte ich. Der Mann kommt verschwitzt und ermattet herein, als hätte er in der glühendsten Hitze gearbeitet, und schimpft und droht die geballte Faust gegen die Butterkugel? Was mein er damit? Meint er die Sonne? Und steht wirklich die Sonne drüben auf der Mond-Rückseite? Warum kommt sie denn nicht herüber, d.h. weshalb kommt der Mond in seiner von Astronomen hartnäckig behaupteten Drehung nicht zu ihr hinüber? Ich muß dem Leser offen gestehen, ich konnte über die physikalischen, meteorologischen und astronomischen Bedingungen, unter denen unser Erdentrabant steht, hieroben nicht klar werden, und mein Respekt vor den gelehrten Vertretern dieser Disziplinen auf der Erde drunten wuchs auf dem Monde nicht.

      Ich war jetzt vierundzwanzig Stunden auf diesem luftigen Holz-Ballon droben, und wenn ich auch einen Teil derselben im Keller zubringen mußte, so konnte ich doch die wesentlichen Vorgänge, die sich im Mondzimmer abspielten, beobachten; freilich nicht alle; so hätte es mich z.B. sehr interessiert, wo die Mondfrau die zweiunddreißig Nachttöpfe hinleert. – Aber ich möchte nicht den ersten Mondtag vorübergehen lassen, ohne an den Leser eine dringliche Erklärung zu richten: Er soll nämlich nicht glauben, daß ich Lust habe, in dieser langweiligen Manier meine Geschichte weiter zu erzählen, jedes Faktum, jeden Schnaufer, jedes blöde Lächeln, jeden Geruch, jedes ungezogene Wort der Mondfrau, jeden Spreißel an einer Bettlade und nun vollends – jeden meiner Gedanken unter der Bettlade getreu zu berichten. Ich selbst hielte diese Schule der Kleinigkeitskrämerei nicht länger als einen Tag aus. Aber es geht auch aus anderen Gründen nicht. Wir würden nie fertig! Der Leser soll nämlich wissen, daß ich zwei Monate auf dem Monde bleiben werde. Ausnahmsweise will ich, abweichend von der Schule, der ich literarisch angehöre, hier ein Faktum mitteilen, was an den Schluß gehörte; zwei Monate blieb ich, aus Versehen, auf dem Mond! Durch Umstände, welche ich nicht anders als mit Versehen bezeichnen kann, wurde ich zwei Monate auf dem Mond zurückgehalten. Zu meinem größten Schaden. Ich verlor zwei unwiederbringliche Monate. Wären sie in die Universitätsferien hineingefallen, wäre es besser gegangen. Der Leser wird vielleicht fragen: ob ich denn bei einem Mondwechsel mit dem Mondmann wieder auf die Erde gestiegen bin. – Das wird sich finden! Oder: ob jeder Vollmond auf diese Weise als Dünger in die Erde vergraben wird. – Das wird sich zeigen! Oder: ob die heruntergeschleppte glühende Kugel nur der auf irgend eine Weise brennend gewordene Teer-Pappen-Überzug des Mondes ist, da ja die Frau und die Kinder droben bleiben. Das kann ich jetzt noch nicht sagen! – Also von einem detaillierten Beschreiben während zweier Monate kann keine Rede sein. Ich werde mich deshalb von jetzt an auf Erwähnung jener Tage oder Nächte beschränken, in denen ich etwas Neues entdeckt, oder an denen außergewöhnliche Vorgänge in der Mondfamilie sich abspielten. Und in der Zwischenzeit lasse mich der Leser ruhig unter meinem Bett meinen Käs essen. – Zwei hervorragende Ereignisse müssen aber gleich aus der nun folgenden Nacht berichtet werden: das Eine betrifft das sonderbare gelbe Bild auf der Rückwand des Mondzimmers, welches den Querschnitt einer großen Kugel darstellte; das andere, eine undelikate Angelegenheit, von der später die Rede sein wird. Die Kinder waren alle, wie den Abend zuvor, zu Bett gegangen, ebenso der Mondmann und die Mondfrau; ersterer, der sich durch seine Arbeit auf dem Dach wohl stark ermüdet hatte, schlief einen außerordentlich festen Schlaf, während die fette Mondfrau sich wiederholentlich hin und her wälzte. Mir kam unter meinem Bett der Gedanke, eine Zeitrechnung einzuführen. Eine Ahnung sagte mir, daß um den nächsten Vollmond etwas außergewöhnliches passieren werde. Denn es war klar, daß der Mondmann nicht zum erstenmal vor zwei Tagen seinen glühenden Ball heruntergeschleppt hatte. Die ganze Verproviantierung des Mondes wies auf kurze Intervalle hin. Vielleicht brauchte der Mann in der Zwischenzeit Teer. Und er stieg mit seinem Blechfaß hinab. Und kann es mir der Leser verübeln, wenn ich am liebsten wieder drunten gewesen wäre? Jedes eigenmächtige Fernbleiben von der Universität wurde mit Relegation bestraft! So beschloß ich denn, mit der ersten Gelegenheit mit dem Mondmann hinunterzusteigen, und, sollte es während der Reise zu einem Confront kommen, ihn derb mit Holländisch anzureden, – denn das sprachen eigentlich die Mondleute, – und sollte er nicht parieren, ihn bei der Gurgel zu packen und ihn zwingen den Weg bis zur Erde fortzusetzen. Zu all’ dem mußte ich aber wissen, wie ich mit der Zeit daran war, und die Tage bis zum Vollmond zählen. Meine Uhr war außer Rand und Band und zu jeder Ablesung unbrauchbar; mein Taschenmesser, mit dem ich Schnitte in die Bettlade zu machen gedachte, war in sich festgekeilt. So griff ich denn in den durchlöcherten Strohsack der Mondfrau und zog einige Halme heraus, die ich in gleich große Stücke riß, um sie in bestimmter Ordnung, wie Merkzeichen, zwischen Strohsack und Bettlade hineinzustecken. – Aber nun kam eine andere Erwägung, die mir meine Tages-Zählung lieber an einem andern Bett vorzunehmen riet: Die Lage unter dem Bett der Mondfrau schien mir nicht ungefährlich; kam etwas vor, wie die Affaire mit der Strickleiter in der vorhergehenden Nacht, so war die Beunruhigung in erster Linie zwischen den zwei Betten der Ehegatten, und wenn auch die Mondfrau im Ganzen ruhig und fest schlief, so war doch in nächster Nähe der nervöse, unzufriedene und selbst im Schlaf aufgeregte Mondmann, vor dem man keinen Moment sicher war, ob er nicht aus dem Bett springen und irgend einen Traum zur Wirklichkeit machen werde. Ich beschloß daher meine Schlafstelle zu wechseln und, mehr entfernt vom Eingang, unter einem der Kinderbetten meine Wohnung aufzuschlagen. Und zwar sogleich. Ich nahm also meine Strohzeichen wieder heraus, schob

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