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die Mondfrau, »unsere Käse stürzen in die Ewigkeit!« – Im Nu hatte sich die schwere Frau erhoben, tappte mit wenigen Schritten gegen die Falltür, schlug sie zurück und verschwand; – man hörte noch ein kurzes Poltern, dann ward die Luktür drunten geschlossen und verriegelt. – Schnaufend und kreidebleich erschien nach zehn Minuten, während derer der Hausherr starr vor sich hingeglotzt hatte, die Mondfrau: »Fünf Käse«, schluchzte sie, »sind hinausgestürzt. – Eins von den Kindern muß für diesen Monat hungern oder – sterben!« – Der Mondmann blieb starr und regungslos wie von Glas. – Die Kinder hörte man hinter den Bettstatten leise glucksen. Während der folgenden vierundzwanzig Stunden wurde kein Wort gewechselt; und das Schmatzen der Mäuler bei den nun kärglich ausfallenden Käsportionen, das Knerzen der Bettladen und das Auf-und Abschleppen des schweigend in sich versunkenen Hausherrn, waren die einzigen Geräusche in dieser schrecklichen Einsamkeit.

      Der Leser möge mir verzeihen, wenn ich über den Eintritt dieser vierundzwanzigstündigen Pause nicht ganz ungehalten bin; weniger der Pause selbst wegen, als, weil ich wieder einen Tag habe, an dem ich Nichts zu berichten brauche, und ich somit dem Ende meiner Erzählung um die gleiche Zeitdauer näher gerückt bin. Denn es ist keine Annehmlichkeit, lediglich mit Rücksicht auf den Leser, damit er keine Lücke entdecke, und damit er sich ein getreues Bild von dem ärmlichen Haushalt da droben mache, jedes, auch noch so kleine Ereignis zu erwähnen, und alles, bis zum Bedenklichen, registrieren zu müssen. – Wer frei erfindet, – der Dichter, – tut sich leichter. Er wählt willkürlich aus seiner Inspiration das aus, was er dem Leser mitzuteilen für gut befindet. – Wer, wie ich, von einer Reise zurückkehrend, dieselbe beschreiben soll, ist ein Sklave und literarischer Handlanger, denn er ist von dem Geschehen, von dem Erlebten abhängig; und wehe ihm! wenn er etwas verschweigt. Das Einzige, worin er sich auszeichnen kann, ist der Stil; aber auch da weiß ihm der Leser wenig Dank; denn gerade bei absonderlichen Ereignissen verlangt derselbe eine einfache, ungeschmückte Form. – Übrigens waren die vierundzwanzig Stunden, während derer Mondmann und Mondfrau nichts miteinander sprachen, insofern für mich nicht ganz ereignislos, als ich auch hier meine Zweifel und Gedanken nicht verließen, die ich aber, – Gott sein Dank! – dem Leser nicht mitzuteilen brauche. – Diese Mond-Entstehungs-Geschichte kam mir nämlich nicht aus dem Kopf; und wenn ich auch von der eigentlichen Genesis, die die Mondfrau vortrug, nichts verstand, so war es doch ein Punkt, der mich lebhaft interessierte: die fortwährend rückwärtige Stellung der Sonne, der »Butterkugel« in der Sprache der Mondleute, auf der fensterlosen Mondseite. Es war doch klar, daß das angebliche Lachen des Mondmannes – und wär’ es vor tausend Jahren geschehen – nicht den geringsten Einfluß auf die Stellung der Sonne ausüben konnte. Sondern hierfür mußten astronomische Gründe angegeben werden. Wie die naiven Leute da oben sich die Sache schließlich zurecht legen würden, welche Historie sie darüber ausheckten, und ob sie sich derohalber an der Gurgel packten, war dann einerlei. Tatsache war, daß wir seit acht Tagen Dämmerung hatten ohne eigentliche Verdüsterung zur Nachtbildung, und ohne Aufhellung zur Tagesbildung; und nur die außerordentlich regelmäßige Lebensweise der Mondleute gestattete mir, noch weiter die Tage zu zählen, und der Feststellung der Dauer meines Aufenthaltes meine Strohhalme zu stecken. Wie ich gleich hinzufügen will, dauerte dieser merkwürdige Beleuchtungszustand noch weitere acht Tage, also im ganzen vierzehn Tage, und was dann eintrat, wird der Leser auf der vierten oder fünften Seite von hier aus mit Staunen erfahren. Für mich handelt es sich zunächst darum, zu konstatieren, ob wirklich die »Butterkugel«, – von der die Mondfrau die fantastische Legende vortrug, selbe hätte früher ernährende Strahlen ausgesandt, – auf der Rückseite, also auf der fensterlosen Seite des Mondes stund, wo allerdings eine auffallende Wärme im Zimmer, wie ich früher andeutete, diese Annahme wahrscheinlich machte. Zur Erreichung dieses Zweckes gab es drei Wege: Ich konnte auf das Dach steigen, wo der Mondmann während der ersten Tage seine Teerpappen-Reparaturen vorgenommen hatte, und von wo aus zweifellos ein tadelloser Rundblick möglich war. Zweitens: ich konnte mit einem Wellenbohrer die rückwärtige Mondwand anbohren und mit dem einen Auge durchblicken. Drittens: ich benutzte die etwas seitliche Lage des Lukfensters im Keller, um durch weites Hinauslehnen und Beobachtung des Horizontes, wenn nicht die Sonne selbst, doch einen Teil ihres reflektierten Lichts auf dem Mondhaus in Form einer Sichel wahrzunehmen. Zum ersten Projekt fehlte mir die Courage, zum zweiten der Bohrer, und das dritte beschloß ich gleich in der folgenden Nacht durchzuführen. – Wir standen vor der neunten Nacht: Samstag Nacht oder Sonntag in aller Früh, war ich heraufgekommen; also die Nacht Montag auf Dienstag in der zweiten Woche, wenn ich recht gezählt hatte. – Es mochte einige Stunden vor Mitternacht sein. Ich hatte keinen Grund anzunehmen, daß nicht alles bereits in seinen Betten war und schlief; wiewohl ich während des ganzen Abends vollständig apathisch unter meinem Bett gelegen war und auf nichts aufgepaßt hatte, was um mich her vorging. Die Kellertür war offen; dies war nichts Auffallendes in der letzten Zeit. Die Mondfrau hatte selbe wiederholt aufgelassen; so wenig auffallend wie das Gemisch von Käs-und Teer-Geruch, welches draus hervordrang und welches meine Nase kaum mehr empfand. Ich war schon sehr vertraut mit den unteren Räumlichkeiten; wenn durch nicht Anderes, durch das viele Käsholen. So ging ich denn rasch die paar Staffeln hinunter, über den weichen Hanf, um die Aufwind-Maschine herum, in der Richtung auf die Käse zu, als ich plötzlich erschrocken wie vor einem Gespenst inne hielt: In der Fensterluke saß ein dickes Weib mit aufgeschlagenen Röcken und hatte über dem Haarscheitel einen langen, strichförmigen, glänzenden Licht-Reflex, wie von einem Vollmond, der, nach der ganzen Art der Richtung und des Auffallens von draußen, aus der Scharnierlücke des halbaufgeschlagenen Ladens kam. Das Weib keuchte und preßte und hielt den Atem an, als gälte es eine Riesenarbeit zu vollenden. Und ehe ich schlüssig werden konnte, was in diesem Fall zu tun, hatte sie mich bemerkt und sprach mich an: »Kommst Du auch Papa? Es ist für Dich höchste Zeit; freilich Du ißt ja schrecklich wenig.« – Ich erkannte jetzt die Stimme, es war die Mondfrau. – Doch diese Entdeckung erschien mir nicht so sehr wichtig; ich wäre wohl auch so draufgekommen: denn welche weibliche, dicke Person sollte denn auf einmal durch die Kellerluke zum Mond hereinsteigen?! – Die Mondfrau war mit dem Stuhlgang beschäftigt; vermutlich dem ersten seit meiner Heraufkunft; diese Tatsache war für mich von nicht geringer Satisfaktion, weil ich den Platz für diesen Zweck zuerst entdeckt hatte; aber auch dieser Gedanke beschäftigte mich nur flüchtig. – Die Mondfrau hielt mich in der Dunkelheit für den Hausherrn. Dies war ein Glück, aber hervorragende Bedeutung konnte ich diesem Umstand ebensowenig beimessen; obwohl, wenn es gegenteilig gewesen wäre, wenn die Mondfrau mich als Fremden erkannt hätte, ich keinen Anstand genommen hätte, sie mitsamt ihrem Stuhlgang hinunter auf den »großen Käs« zu stürzen; lieber, als mich gegebenen Falls von ihrem Mann totschlagen oder aushungern zu lassen. – Nein! was mir von fundamentaler Wichtigkeit schien, war der strichförmige, glänzende Reflex auf dem Haarscheitel der Mondfrau! Das war keine Sonne oder »Butterkugel«-Stoff. Das war genau wie Mondlicht, was da durch die Ladenspalte hereinfiel. – – Mondlicht? – Aber, auf dem Mond waren wir ja selbst! – Ha, infernale Täuschung! – sagte ich zu mir, – wenn wir doch nicht auf dem Mond wären! – Doch ich ließ den Gedanken gleich wieder fahren. Es war ja reine Torheit, über diesen Punkt weiter nachzugrübeln. Und da die Mondfrau, wie mir schien, Anstalten zur Beendigung ihrer Sitzung machte, ich auch durch weiteres Anglotzen des strichförmigen Reflexes, der jetzt auf ihrem Buckel ruhte, nichts profitiert hätte, so machte ich mich aus dem Keller, und ahmte, um ein Übriges zu tun, auf der Treppe den schlappigen Schritt des Mondmanns nach. Oben eilte ich dann unter mein Bett. Es dauerte wohl noch eine Stunde, bis die Alte heraufkam. Sie packte ihren Mann, als sie an seiner Bettstatt vorbeiging, kräftig beim Arm, schüttelte ihn und rief: »So, jetzt kannst Du hinunter!« – Dann ging sie zu Bett. – Aber der Mondmann blieb liegen, und die Mondfrau blieb liegen, und ich blieb liegen. Und die Ruhe wurde für diese Nacht dann nicht mehr gestört.

      Wenn ich, lieber Leser, abgesehen von den Gefahren, die ich bestanden, und von den Konsequenzen, die sich für meine Person ergaben, einen Wunsch hatte, als ich glücklich vom Mond herunter und die Erde wieder erreichte hatte, so war es der, ein Astronom möchte statt meiner auf dem Felde zwischen Leyden und D’decke Bosh den Mondmann angetroffen haben. Seine Beobachtungen würden von ungeheurem Wert nicht nur für seine Wissenschaft, sondern für unser ganzes Verhältnis zum Mond, zum Himmel, zum Sonnensystem gewesen sein. Nach seiner Rückkehr wäre er ganz gewiß, wie ich relegiert, zum Ehrendoktor erhoben worden, und einige Kometen oder Fixsterne hätten die

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