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gelben Kopf arbeitet, merk’ Dir, ist nie Unsinn!« – Die Mondfrau fühlte wohl, daß sie diesmal an den Nerv dieses unglücklichen Mannes gerührt, und schwieg. Aber auch von seiner Seite wurde dieser Theorie, wenigstens die fünf Wochen, die ich noch oben war, nicht mehr gedacht.

      Der Leser wird vielleicht von der folgenden Bemerkung ebenso erstaunt sein, wie die Mondfrau über die soeben ausgesprochene Idee des Mondmanns; allein es ist meine Pflicht, alles das dem Leser mitzuteilen, was ich hier heroben Bemerkenswertes oder Auffallendes entdecke. Und es gibt Entdeckungen minutiöser und feiner Art, die man nicht alle einzeln aufzählen kann, die sich aber summieren, und schließlich im Kopfe des Beschauers zu einer Ansicht ganz bestimmter Art verdichten. Und diese Ansicht gewinnt zwingende, überzeugende Kraft. Mit einem Wort: Ich glaube, daß die Mondfrau kein dem ursprünglichen Mondgeschlecht entstammendes Frauenzimmer war, sondern daß sie zu irgend einem Zeitpunkt von drunten von der Erde, heraufkam. Wann? und wie? das weiß ich nicht. Aber diese Meinung drängte sich mir mit Entschiedenheit auf. Die Art, wie sie die Betten machte, war ganz die Art, wie es am Niederrhein geschieht. Dieses Einschlagen der Plümeaus, wodurch es schmäler und höher wird, die Placierung des zweiten Kopfkissens in die Mitte des Bettes, damit, wenn die Convert-Decke darauf kommt, es eine schöne, gleichmäßige Fläche bildet, die Art des Drauf-Patschens, die Behandlung des Leintuchs, kurz, eine Menge solcher Kleinigkeiten wiesen auf eine ganz bestimmte Zone von Volksbräuchen zwischen Maas und Niederrhein hin. Es ist klar, daß der Charakter der Bettstücke hier gar keine Beweiskraft hatte für die Herkunft der Mondfrau. Denn der Alte schleppte eben an Bettzeug zusammen, was und wo er es kriegen konnte. Aber die Art, wie sie, die Mondfrau, dieses Kunterbunt von gestohlenem Bettzeug behandelte, glättete, bauschte, streckte und patschte, war eine ihr eigentümliche, anerzogene und zuletzt in Fleisch und Blut übergegangene Manier. Und woher sollte sie sie denn haben? Ohne auf das dumme Religions-Gewäsch einzugehen, welches die Mondfrau vor vierzehn Tagen ihren Kindern vortrug, – es war eben ein eigens zu dem Zweck der Kinderbelehrung, wie mir schien, vom Mondmann zusammengestoppeltes System, welches die Mondfrau falsch verstanden oder falsch vorgetragen hatte, – darf man doch, rein nach der Beobachtung, fragen, wo die Leute herkamen! – »Nun, wo kam denn der Mondmann her?« – Das weiß ich nicht! – »Nun, wo kam die Mondfrau her?« – Aus der Gegend zwischen Krefeld und Xanten! – Dieses Jucken mit der Haarnadel, wenn es sie am Kopfe kratzte, diese Art den Scheitel zu machen, wie sie das Halstuch legte, wie sie sich mit den Fingern schneuzte, und, – das Wichtigste zuletzt, – das eigentümliche Platt, welches sie in ihren Dialekt mischte, wiesen geographisch und ethnologisch auf einen bestimmten Bezirk in der Nähe der holländisch-deutschen Grenze hin; und da die Mondfrau seit absehbarer Zeit durch ihre Korpulenz nicht in der Lage war, weder den Mond zu verlassen, noch zu ihm heraufzusteigen, so blieb keine andere Annahme übrig, als daß sie als junges Mädchen, vermutlich auf Veranlassung des Mondmannes, die Erde verließ und heraufkam. Wie? – ob durch Gewalt, mit Überredung, aus Neugier, – das läßt sich nicht sagen. – Möge der Leser nicht mir es in die Schuhe schieben, wenn es nicht gelingt, alle die Schwierigkeiten, die sich bei Beurteilung dieser absonderlichen Verhältnisse ergeben, zu beseitigen. Soll ich wissen, woher der Mondmann kommt?! – Soll ich die Genealogie des ursprünglichen Mond-Geschlechts angeben, von dem ich nur so viel sagte, daß ich die Mondfrau davon ausgeschlossen wissen möchte. – Soll ich die ganze Mond-Komödie da droben lösen? Und auf alle die Fragen Antwort geben, die ein Astronom, Physiker, Aeronaut, Anthropologe oder sonst wer an mich richten könnte?! Während ich knapp so viel Medizin auf meinen bisher durchwanderten Hochschulen aufgeschnappt habe, um eine hörbare Meinung darüber abzugeben, wieso die Leute da droben ohne Wasser auskamen! – Was sich übrigens über den Mondmann sagen läßt, ist Folgendes: Auch er sprach Dialekt; aber, man hörte, mehr wie etwas Fremdartiges, und aus Notwendigkeit, um sich mit seiner Frau zu verständigen, wiewohl durch lange Übung sehr geschult; das Rein-Holländische gelang ihm noch etwas besser. In seinen Äußerungen, in seinem Benehmen, in seinen Handlungen verriet er keinen Typus, keine Nation, keine Arbeiter-Klasse. Was er tat, seine Verrichtungen für das Mondhaus, seine Leistungen für die Familie, tat und verrichtete er gezwungen, mißmutig, und schien dieselben nur als Nebenbeschäftigung in seinem Leben zu betrachten. Was die Hauptsache war, wußte man nicht. Sein Mißmut schien übrigens nicht, oder nicht vorwiegend, aus der Schwere seiner irdischen Arbeit zu entspringen. Vielmehr sprach Alles dafür, daß es innere und tiefere Konflikte waren, die ihn niederdrückten. Er war nicht schweigsam, weil er müde war, sondern er war verschlossen, weil er seine Gedanken niemandem mitteilen wollte. Sein Geisteszustand war überhaupt höchst verdächtig. –

      Nun drängten aber die Ereignisse der letzten Woche unaufhaltsam vorwärts, und auf ein leicht vorauszusehendes Ende hin. Die Außenseite des Mondhauses hatte inzwischen einen geradezu bedrohlichen Charakter angenommen. Mitten in der Nacht entdeckte ich einmal eine plötzlich auftretende Helle durch das Fenster, sehr verschieden von dem ruhigen, strahlenden Lichte des »großen Käses«, der noch einige Male in der Nacht hoch über unseren Häuptern hinwegzog. Ich öffnete einmal das Fenster und sah nach, und fand, daß auch die ganze nördliche Dachseite in ihrem Teer-Überzug von der Glut ergriffen war, während von der Südseite her eine hell-leuchtende, glostende Fläche mit ihrem Funken-Meer herüberzitterte. Wir mochten jetzt am Ende der vierten Woche sein; – das Zählen der Tage mittelst Strohhalmen hatte ich in der Dunkelheit aufgeben müssen. Eine ziemlich hohe Temperatur bildete sich im Zimmer. Das Fenster blieb bald Tag und Nacht offen. Gesprochen wurde jetzt fast gar nichts mehr. Mondmann und Mondfrau gingen schweigend aneinander vorüber, aber offenbar mit Vorbereitungen beschäftigt, deren Einzelheiten ich von unter dem Bett aus nicht verfolgen konnte; die Kinder blieben ganz im Bett. Zu essen hatte es während der letzten drei Tage nichts mehr gegeben. – Es war am vorletzten Tag gegen Mittag, als einige Funken durchs Fenster hereingeweht wurden, und das Bettzeug des zunächst liegenden Kindes etwas in Brand setzte. Das Mädchen stürzte sofort aus dem Bett, und zu ihrem Papa hin, und rief: »Papa, der Mond brennt!« – Und im gleichen Augenblick stürzten sich alle übrigen neunundzwanzig Kinder im Hemd aus dem Bett, liefen an den Tisch zu ihrem Papa, und riefen: »Papa, der Mond brennt!« – Es war aber garnicht so gefährlich. Die Mondfrau hatte mit einem einzigen Klaps den kleinen Brand gelöscht. Es war das einzigemal, daß ich in diesem Augenblick den Mondmann ein heiteres Gesicht machen sah; das passierte also augenscheinlich am Schluß jedes Monats. Denn wer wollte noch zweifeln, daß, nachdem die Käs-Vorräte aufgezehrt waren, und der Mond schon halb in Flammen stand, wir zeitlich in die Nähe jener Epoche gekommen waren, deren Anfang ich damals auf dem Felde bei D’decke Bosh, als ich plötzlich auf dem Mond sich etwas bewegen sah, beobachten konnte. Es ist mir nicht mehr alles erinnerlich, was sich jetzt in dem knappen Zeitraum von vielleicht sechs Stunden zusammendrängte. Ich weiß nur, daß die Mondfrau unten im Keller augenscheinlich an der Maschine beschäftigt war, daß die Kinder wie besessen herumliefen und fürchterlich schrien, sodaß sie sogar das laute Prasseln des jetzt lichterloh brennenden Monddaches übertäubten, was mir nur ein neuer Beweis ihrer niederen geistigen Anlage war, nachdem sie doch diese Szene schon öfters erlebt haben mußten, – und daß der Mondmann plötzlich mit einer langen eisernen Schürstange bewaffnet, und in einem ganz eng anliegenden, gelben, lederartigen Kostüm, aus der Kellertür hervorkam. Dieses gelbe, mir wohlbekannte Kostüm brachte mir wieder die ganze Szene auf dem Feld zwischen Leyden und D’decke Bosh an jenem Samstag in Erinnerung. Ich wußte jetzt gewiß, daß hinabgestiegen wird. Ich wußte, daß ein Teil dieses brennenden Stoffs mithinunter geht. Und für mich gab es jetzt nur den einen Befehl: Um jeden Preis mit hinuntersteigen! – Dies schien mir durchaus nicht schwer. In dem allgemeinen Wirrwarr, der jetzt entstand, – herinnen komplette Dunkelheit, draußen glühende Feuer-Garben, dazwischen Reflex-Lichter, Schlag-Schatten und Blendungen, Jedes mit sich selbst beschäftigt, – die Mondfrau vermutlich unten im Keller vollständig unabkömmlich, – die Kinder unzurechnungsfähig, – der Mondmann ganz Auge und Aufmerksamkeit für eine glückliche Abreise mit seinem Feuer-Ballast, – unter solchen Umständen war es doch ein Leichtes unter einem Bett, welches dicht neben dem Ausgang stand, hervorzukriechen und eine Leiter zu besteigen, deren Einzelheiten mir nur zu gut im Gedächtnis waren. Ich machte mich also parat, das heißt, ich that das Einzige, was ich in diesem Fall tun konnte: ich zog meine Stiefel an, und beobachtete mit gespannter Aufmerksamkeit alles, was sich jetzt in Szene setzte. Der Mondmann war mit seinem Schürhaken zum Fenster hinausgestiegen und löste dort durch scheuernde und schabende Bewegungen die Teer-Papp-Rinden von

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