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Die Bauchtänzerin und die Salafistin. Antonia Rados
Читать онлайн.Название Die Bauchtänzerin und die Salafistin
Год выпуска 0
isbn 9783902862952
Автор произведения Antonia Rados
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
In Dinas und Ritas Kindheit fegt ein Sturm des Fortschrittsglaubens über Ägypten hinweg. Noch merken wenige die bedrohlichen Anzeichen der Katastrophe, die folgen wird. Blut in den Straßen, Spaltung des Landes – ein Spiegelbild des Zwistes, der später die beiden Schwester erfassen wird.
Noch gelten Islam und Traditionen als überholt in Ägypten. Das Ausland, vor allem der Nachbarkontinent, am anderen Ende des Mittelmeeres, Europa, zeigt den Weg, wohin es gehen soll. Modernisierung ist ein Synonym für Verwestlichung.
Gelockerte Kleidervorschriften sind deren sichtbarste Boten. Nichts ändert sich radikaler als die für die Frauen. Es ist die Zeit, in der die Mutter von Rita und Dina Miniröcke trägt. Sie geht jede Woche zum Friseur, in der Hand die jüngsten Bilder aus Zeitschriften mit den aktuellen Kurzhaarschnitten aus Paris oder Rom.
Es ist die Zeit, in der Kairos Schneiderinnen aufgefordert werden, die Miniröcke noch kürzer zu machen. In den Magazinen erregen Fotos von Arbeiterinnen in Textilfabriken, die Haare entblößt, Aufsehen. Polizistinnen in knielangen, adretten Uniformröcken regeln auf den Kreuzungen den Verkehr. Schauspielerinnen richten sich nach Hollywoodgrößen und imitieren sie, was das Zeug hält. Jahrzehnte später werden Filmstars und junge Ägypterinnen, Vorreiter der importierten Trends, flott gekleidet, in hochhackigen Schuhen, als die typischen Vertreterinnen des Landes dargestellt. Sie sind es nicht. Kairos schicke Kaffeehäuser sind zwar voll mit diesen Schönheiten. Das traditionelle Kopftuch, Hedschab genannt, tief ins Gesicht gezogen, wird weiter von Millionen Bäuerinnen getragen, Ägyptens schweigender, rechtloser Mehrheit.
Fast alles im neuen Ägypten dreht sich um die Stadtfrau. Eine progressive Frauencharta gibt es bereits, erlassen von der Regierung. Feministinnen kämpfen für noch mehr Rechte und selbst islamische Frauenrechtlerinnen stellen das Bisherige auf den Kopf. Sie fragen, warum frommen Frauen eine Erziehung verweigert wird. Sie müssten genauso, wenn auch entsprechend gekleidet, arbeiten können.
Der frische Wind, mächtig und scheinbar unaufhaltsam, wird von oben, vom damaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, regelrecht verordnet. Der General mit dem Ehrgeiz, in die Geschichte einzugehen, befiehlt den Ägypterinnen, sie dürften in nichts den Männern nachstehen.
Zum Teil gehen seine Reformen spurlos am Volk vorbei. Denn ohne dass Frauenmagazine darüber berichten, arbeiten Bäuerinnen bereits seit Langem in den Baumwollfabriken des Nildeltas. Sie helfen mit, ihre vielköpfigen Familien zu ernähren. Ausländer predigen den Ägyptern bereits seit Jahrzehnten, ihre Frauen müssten sich modernisieren. Ein Kopftuch zu tragen sei nicht zeitgemäß. Die verführerischen Ideale aus dem Westen schaffen genauso viele Probleme, wie sie lösen wollen, denn Kairos junge Frauen wissen nicht mehr, ob etwa die freie Liebe nun erlaubt ist oder nicht. Ihre Eltern bläuen ihnen ein, sie sei nicht erlaubt. Im staatlichen Radio wird dagegen Tag und Nacht über die Liebe gesungen. In den importierten Büchern steht, die Frauen seien frei. Nimmt sich eine die Freiheit, wie die Mutter von Rita und Dina, schnappt die Falle zu.
Gerade als Dina fünf ist und ihre Schwester knapp anderthalb Jahre älter, kurz vor dem Umzug aus Rom nach Kairo, ändert sich das Leben der beiden Schwestern dramatisch. Die beiden erfahren, dass ihre Mutter tot ist. Sie sei ganz plötzlich gestorben. Dina erinnert sich nicht mehr, wie sie von diesem einschneidenden Ereignis erfahren hat, ob ihr der Vater die traurige Nachricht überbrachte oder jemand anderer. Doch von einem Tag auf den anderen verschwindet die gutaussehende Frau aus ihrem und Ritas Leben. Wann immer die beiden Mädchen Fragen nach der Mutter stellen, erhalten sie dieselbe Antwort: Die Mutter ist gestorben.
Dina weint heimlich in ihrem Zimmer. Ihre Mutter fehlt ihr. Ab diesem Alter, dem von fünf Jahren, sagt sie, ist ihre Erinnerung leer. Jahrelang hat sie gelitten. In Rom war sie glücklich. Nun kümmert sich die ältere Rita um sie und wird eine Art Mutterersatz. Das schweißt die Mädchen zusammen. Die offizielle Mutterrolle übernimmt künftig hingegen eine andere Frau, die zweite Ehefrau des Vaters.
Ursprünglich stammen die Familien von Vater und Mutter nicht aus Kairo, sondern aus Oberägypten, einem Gebiet südlich der Hauptstadt, das bis Luxor reicht. Ein Gebiet, in dem bis heute eine Art traditioneller Ehrenkodex das Zusammenleben bestimmt. Familien sind zusammengefasst in Stämmen mit den Stammesältesten an der Spitze.
Blutige Familienfehden gehen über Generationen, sobald die Würde eines der Mitglieder verletzt wird, sei es durch Vergehen wie Diebstahl, Frauenentführungen oder ungewollte Trennungen von Eheleuten. Bei Mord ist es Brauch, eine Art Blutgeld zwischen den Ältesten auszuhandeln. Geschieht das nicht, bekriegen sich die Stämme. Staatsorganen wie der Polizei wird geraten, sich nicht einzumischen.
Dinas Großvater, eine imposante, autoritäre Figur, zieht nach Kairo. Als die Familie, der Vater und die beiden Mädchen, auch hierher zurückkehrt, so beschreibt es Dina, sei die Gesellschaft längst ein Mischmasch gewesen: Eine Frau in einem Minirock stand an der Autobushaltestelle neben einer Verhüllten. Kairo, erinnert sie sich, Ort ihrer an Erinnerungen sonst so leeren Kindheit, sei eine extreme, aber tolerante Stadt gewesen.
In derselben Stadt allerdings forscht niemand nach, wenn eine Frau spurlos verschwindet, ohne Begräbnis, ohne Trauerfeier. Es gibt keine Grabstätte für die Mutter, die ihre beiden Töchter besuchen könnten.
Dina ist neun, als sie nach einem Schulwechsel das erste Mal in ihrem Wohnviertel mit Tanz in Berührung gerät. Tanzklassen werden angeboten und Dina macht mit. Sie verfällt dem Tanz. Jahrelang bedrängt sie ihren Vater, ihr eine Ausbildung zu ermöglichen. Er will es nicht. Selbst als sie nur in einer harmlosen Volkstanzgruppe in Alexandria auftritt, wo die Tänzerinnen bewacht werden wie Edelsteine, damit sich ihnen kein männliches Wesen nähert, holt er seine Tochter zurück und sperrt sie tagelang in ihrem Zimmer ein.
Es dauert Jahre, bis sich Dina als herausragendes Talent einen eigenen Namen schafft. Eine Zeitlang arbeitet sie nur in Golfstaaten wie Dubai. Erst später folgen Auftritte in Kairos Fünf-Sterne-Touristenhotels, wo man ständig frische Unterhaltung braucht. Dazwischen lässt sich Dina vom Superstar der vorherigen Generation, Raqia Hassan, ausbilden. Und belegt nebenher auf der Universität Philosophie, um ihren Vater nicht ganz zu vergrämen.
Raqia Hassan bringt ihr zwischen den Vorlesungen die komplizierten, klassischen Bewegungen des Bauchtanzes bei: Knie beugen, Hüften nach unten fallenlassen. Knie durchstrecken, um die Hüften zu heben. Rechte Hüfte mit einer raschen Bewegung fallenlassen. Rest des Körpers steif halten und nicht bewegen! Regel Nummer eins des Bauchtanzes: Nur ein Körperteil ist in Bewegung. Ist es die Hüfte, bleiben die Schultern ruhig, und umgekehrt.
Dina ändert die Tanzschritte. Kurze, heftige Stöße des Unterleibes werden von ihr regelrecht erfunden. Sie stehen außerhalb jeder Verordnung. Erst sie aber schaffen ihren Ruf als eine, die alles anders, sprich freizügiger macht. Wenn man in Kairo nicht als altmodisch gelten will, muss man Dina tanzen gesehen haben.
Rita hingegen träumt davon, als Schriftstellerin auf Weltreisen zu gehen. Ihre Schulnoten in den meisten Fächern sind alles andere als vielversprechend.
Als junges Mädchen lauscht sie, anstatt zu lernen, jeden Nachmittag der Stimme der damaligen Maria Callas von Ägypten. Ständig läuft bei ihr ein Radiosender, der nichts anderes sendet als Lieder der bewunderten Umm Kulthum. Rita sagte mir, sie wurde deswegen doch nicht Schriftstellerin, weil sie Umm Kulthum so anhimmelte.
3 Die Queen von Kairo
Als ich den Festsaal betrete, erblicke ich den Bärtigen sofort. Er ist ohnehin von niemandem zu übersehen mit seinem faustlangen Bart und dem abrasierten Schnurrbart, typisches Salafisten-Kennzeichen. Laut deren Lehre muss der Bart ungefähr zwanzig Zentimeter lang sein. Barthaare über dem Mund müssen hingegen entfernt werden,