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man sie selten sehen. Ein verbittertes Lachen folgt.

      Am Vorabend hat sie mit ihrem Vater gestritten. Bei dem Schreiduell brüllt er sie an, ihre Ausflüge seien zu Ende, sie werde das elterliche Haus vorerst nicht mehr verlassen, jetzt, wo nichts als Kommunisten und Islamisten unterwegs seien. Keine anständige Frau habe da draußen etwas zu suchen. Ein Wort folgt dem anderen, und am Ende gewinnt der Vater. Er sperrt seine erwachsene Tochter in ihrem Zimmer ein. Davor nimmt er ihr das Handy und alles Geld, ohnehin sein Geld, ab. Sollte sie es wagen, das Haus zu verlassen, werde er dafür sorgen, sagt er, dass es ihr leid tue. Cholerischer Typ, mein Vater, sagt sie.

      Dass sie seit einigen Tagen als Übersetzerin mit mir arbeitet, hat die junge Frau daheim verschwiegen. Arbeiten ist nicht Frauensache in dieser Familie. Die Mutter ist, zum Ärger der Tochter, nur Hausfrau. Wenn die Mutter aus dem Haus geht, dann nur, um einzukaufen oder Freundinnen zu treffen. Der Chauffeur bringt sie zu den jeweiligen Verabredungen und wartet, bis sie fertig ist.

      Als Mutter und Vater noch schlafen, entwischt die Rebellin. Sie steigt durch das Fenster und über die Mauer um das Grundstück. Die Wachen in der Straße kennen sie. Die kilometerlange Strecke ins Zentrum läuft sie zu Fuß, weil sie keinen einzigen Geldschein bei sich hat.

      Wir treffen uns nur zufällig am Rande von um sich greifenden Unruhen. Die Proteste sind überall in Kairo im Gange.

      Vom Restaurant aus können wir gerade noch eine Rauchwolke über einem Regierungsgebäude beobachten, bevor die Hotelbediensteten die Fenster sicherheitshalber mit Bretterwänden abdecken.

      Das Haus ihrer Familie liegt in dem Regierungsviertel Heliopolis, in der Nähe des Präsidentenpalastes, was das Wachpersonal erklärt. Präsidentenpalast und eine der Residenzen des ägyptischen Staatsoberhauptes sind umgeben von Kasernen der Armee und von Regimetreuen. Wer hier wohnt, gehört zum engsten Kreis der Macht.

      Die Leute aus dem direkten Umfeld des Präsidenten, egal in welcher Funktion, genießen in Ägypten, neben dem privilegierten Wohnsitz, das eine oder andere politische Amt in Ministerien oder in Betrieben. Einige sind glückliche Nutznießer einer Privatisierungswelle, weil staatliche Betriebe gelegentlich unter dem Marktpreis verkauft werden. Zu Ägyptens inneren Kreisen gehören selbstverständlich Militärs, ihrerseits stolze Besitzer so unterschiedlicher Unternehmen wie Munitionsfirmen oder, weniger naheliegend, Nudelfabriken. Die Armee kontrolliert massiv die Wirtschaft. Die Ägypter scherzen, andere Armeen seien Kriegsmaschinen, die ägyptische hingegen ein Geldautomat. Das trifft den Kern der Sache.

      Als wäre das nicht genug, spielt die Armee die Rolle des allgemeinen Sittenwärters, wenn sie weibliche Demonstranten auf dem Tahrir-Platz wie jetzt pauschal der Prostitution bezichtigt. In die Hände der Armee zu geraten, ist nicht minder erniedrigend als in die der Polizei. Beide Apparate arbeiten insofern zusammen, als sie gemeinsam junge Männer aus der Menge der Demonstranten heraus ohne Rücksicht verhaften. Mit einer Frau geht man nicht zimperlicher um. Eine wird, als sie sich wehrt, wie ein Mehlsack von Soldaten über den Platz gezogen, bis sie nur noch in der Unterwäsche daliegt. Niemand hätte davon erfahren, wären nicht Handy-Aufnahmen von einem Opfer im Internet als Beweis aufgetaucht. Die Armee weist jede Schuld zurück.

      Eine andere wird von den Sicherheitskräften lächerlich gemacht, weil sie über den ihr aufgezwungenen Jungfrauentest spricht. Sicher hätte es einen guten Grund dafür gegeben, wird ihr höhnisch entgegnet.

      Meine Übersetzerin deutet an, sie wisse, dass die Typen von der Polizei genauso brutal wie bestechlich seien, außerdem habe ihr Vater Beziehungen. Welche Tätigkeit der ausübt, ob er Militär, Berater des Präsidenten oder hoher Beamter eines Ministeriums ist, kann ich nicht eindeutig aus ihr herauskriegen. Erstaunlich ist jedoch, über wie viel sie Bescheid weiß. Das macht den Satz, ihre Familie verkehre in den höchsten Kreisen, glaubwürdig. Ich lausche gespannt. Sie erzählt von den erwirtschafteten Milliarden des Mubarak-Clans. Suzanne Mubarak, meint sie, sei nichts als eine ehrgeizige, intrigante Frau. Ständig versuche sie, ihre eigenen Verwandten in die höchsten Posten zu hieven, selbst bei verbriefter Unfähigkeit. Ihr wichtigstes Anliegen sei es, den eigenen Sohn zum nächsten Präsidenten zu küren. Die Armee sei dagegen, weil sie einen aus ihren Reihen im Präsidentenpalast wolle, wie schon in den Jahrzehnten davor. Davon spricht man offen in den Villen in Heliopolis. Deswegen gibt es bei den Mubaraks Spannungen.

      Die junge Frau hat keinerlei Scheu, darüber zu reden. Andere Ägypter hätten das nicht gewagt. Furcht ist ein gutes Mittel, die Leute unten zu halten. Darüber kann die junge Frau nur lachen. Wovor sich fürchten? Vor einer wie Suzanne?

      Zeitungen und staatliches Fernsehen berichten in höchsten Tönen über die Präsidentengattin. Sie gilt als Förderin der Ägypterinnen. Ihr ist zu verdanken, dass ein ägyptischer Ehemann zuerst die Zustimmung seiner ersten Frau braucht, wenn er sich eine Zweitfrau nehmen will. Vorher konnte er seine erste Frau einfach verstoßen. Dank der Präsidentengattin muss er sie nun zumindest über seine Entscheidung informieren oder er beauftragt einen Anwalt, das zu tun. Ungeändert bleibt das Gesetz, dass sich jeder Mann bis zu vier Ehefrauen gleichzeitig nehmen kann. So ist das in den meisten islamischen Ländern.

      Frau Mubaraks zweites Anliegen ist es, die Beschneidungen von Mädchen einzuschränken. In Ägypten soll über die Hälfte der Frauen beschnitten sein. Ganze Generationen von Frauen halten daran fest, obwohl Islamgelehrte der angesehenen Al-Azhar-Moschee, der höchsten religiösen Instanz im Lande, sich dagegen aussprechen. Beschneidung, sagen sogar sie, habe ohnehin nichts mit Religion zu tun. Es sei eine Unsitte, aus Afrika kommend, zu dem Ägypten geografisch gehört. Das erklärt, warum die Beschneidung unter Kopten genauso verbreitet ist wie unter Muslimen. Koptische Mütter ersparen ihrem weiblichen Nachwuchs die Prozedur der Beschneidung ebenso wenig. Kopten sind Ägyptens vorislamische, christliche Minderheit. Sie machen ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung aus.

      Suzanne Mubaraks Kampf wird im Westen recht positiv angemerkt und oft mit entsprechenden Ehrungen bedacht. Es gibt kaum eine internationale Veranstaltung für Frauenrechte, bei der sie nicht in der ersten Reihe sitzt. Vorkämpferin der Frauen in der islamischen Welt zu sein, ist eine schwierige Rolle. Jeder weiß das. So eine muss gewürdigt werden in den Augen der Welt.

      Daheim in Ägypten sind die Spielregeln verschwommener. Suzanne Mubaraks Ehemann, Präsident Hosni Mubarak, lässt Kairo seit zwanzig Jahren mit Plakaten mit Aufrufen vollpflastern, mehr Ägypterinnen sollten als gute Musliminnen ein Kopftuch tragen. Wie alle Präsidenten vor ihm benützt er den Islam ebenso, wie er ihn bekämpft. Die ägyptische Verfassung wurde bereits von seinem Vorgänger, Präsident Anwar as-Sadat, islamisiert, ohne dass sich jemand darüber im Westen aufgeregt hätte.

      Daheim in Ägypten sind die Spielregeln brutaler als in den Festsälen, in denen die Ehrungen stattfinden. Daheim werden Mädchen und Frauen auch mitten in Kairos Zentrum von Jugendbanden vergewaltigt. So geschehen in der Mubarak-Zeit, in einer trüben Novembernacht, ausgerechnet während eines der hohen Festtage.

      Tage, an denen Familien spazierengehen. Tage, an denen Eltern und Kinder gemeinsam eines der zentral gelegenen Kinos besuchen, um dort die neuen Filme zu sehen. Danach geschieht es. Frauen kreischen, während Mubaraks Ordnungshüter zusehen. Nur einer versucht den Frauen zu helfen, erzählen schockierte Zeugen. Kein Polizist wird diszipliniert. Keiner verliert seinen Posten. In den staatlichen Medien wird der Zwischenfall totgeschwiegen. Aus dem Munde der Präsidentengattin kommt kein Wort der Kritik. Das Gerücht geht um, eine Bauchtänzerin hätte den Aufruhr ausgelöst.

      In dem immer turbulenten Zentrum, in dem Straßengewirr um den Tahrir-Platz, Sammelplatz für Demonstranten, Straßenhändler, Diebe und gewalttätige Typen jeder Art, will meine Übersetzerin nicht bleiben. Wir können von unserem Tisch im Hotelrestaurant aus den Platz beinahe sehen. Rennende Polizisten. Tränengas. Das hier sei sie nicht gewöhnt, sagt sie, so ein unübersichtliches Chaos, außerdem sei sie todmüde, der Fußmarsch habe ihr den Rest gegeben. Sie

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