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an Dina erhöhte sich blitzartig, als ich erfuhr, sie habe eine extrem religiöse Schwester. Danach hörte ich noch, diese Schwester sei früher Nachtclubsängerin gewesen. Sie habe ihren Beruf 2001 an den Nagel gehängt. Jetzt sei sie Salafistin. Das war eine längere Reportage wert, beschloss ich. Aus dieser Idee entstand schließlich auch dieses Buch.

      In meinem Kopf begann sich die Vorstellung zu formen, nicht über eine Frau, sondern über zwei zu rechercherieren. Das schien mir keine allzu schwierige Aufgabe. Dina war bereit, mir den Kontakt zu ihrer salafistischen Schwester Rita herzustellen. Ich stellte mir vor, dass diese mir erklären würde, wie sie dazu kam, einer der radikalsten Versionen des Islams anzuhängen. Das könnte relativ zügig geschehen, einige Zusammenkünfte würden, im Gegensatz zu ihrer tanzenden Schwester, reichen. Mein Übersetzer fand heraus, dass die Salafistin ihre Tage ohnehin untätig daheim verbringt. Sie hat keinen Job. Sich mit einer arbeitslosen Religiösen zusammenzusetzen, musste um vieles leichter sein, als die berühmteste Bauchtänzerin Ägyptens zur Mitarbeit zu bewegen. Dina hatte zwar nicht zugesagt, mich wieder zu treffen. Meine Idee abgewiesen hatte sie aber ebenso wenig. Sie schlug den orientalischen Weg ein.

      Es dauerte jedoch mehrere Wochen, bevor die salafistische Schwester Zeit für mich fand. Nach meinem Eindruck war unser erstes Gespräch gut verlaufen. Die Salafistin teilte diesen Optimismus offenbar nicht. Wieder dauerte es Wochen, bis sie sich überzeugen ließ, mir ein paar Stunden zu schenken. So ging es weiter. Einige Treffen wurden in letzter Minute verschoben, andere unerwartet wieder angesetzt.

      Rita erklärte mir jedes Mal eine weitere Facette des für uns so schwer verständlichen Salafismus. Der Gedanke, dass sie eine Radikale ist, wäre ihr selbst nie gekommen. Das hat sie mit anderen Extremisten gemeinsam, die glauben, der andere sei radikal, aber nicht sie. Unzählige Male endeten unsere Gespräche mit betroffenem Schweigen. Wir wussten beide nicht mehr weiter. Für die Salafistin Rita ist das letzte Prinzip der Glaube. Ich als Frau aus dem Westen hatte oft Schwierigkeiten, ihrer Argumentation zu folgen.

      Trotzdem erweckte diese Schwester mehr mein Interesse als die Bauchtänzerin. Die Gründe liegen auf der Hand. Bauchtänzerinnen wie Dina sind öffentliche Personen. Jeder kann sie treffen.

      Der Salafismus ist eine sektenartige Gruppierung. Misstrauen gegen Außenstehende ist weit verbreitet, und Gewalt gegen Andersgläubige bei manchen. Obwohl Rita kein weiblicher Osama bin Laden ist.

      Ja, sie war argwöhnisch mir gegenüber. Das forderte meine journalistische Neugierde regelrecht heraus. Je mehr sie eine menschliche Festung darstellte, umso mehr bohrte ich an ihren Mauern. Das entging ihr nicht. Es amüsierte sie.

      Vor ihrem zweiten Lebensweg war sie viel gereist. Sie kannte fast jedes europäische Land.

      Warum interessieren Sie sich für Ägypten?, fragte sie mich.

      Weil Ägypten eine Art Nachbar ist am anderen Ende des Mittelmeeres, erwiderte ich.

      Ja, erwiderte Rita. Aber ein lauter Nachbar!

      Daraufhin brach sie in Lachen aus.

      Rita entpuppte sich als humorvoll. Sie scherzte über ihr angeblich zu hohes Gewicht. Für mich war es schwer einzuschätzen. Ihre überflüssigen Kilos waren unter dem Ganzkörperumhang versteckt.

      Ihre anderen verborgenen Seiten machten es mir bisweilen schwer, ihr gerecht zu werden. Eindeutig war sie im Nachteil gegenüber der reichen, erfolgreichen, eloquenten Bauchtänzerin. Die Salafistin ist zurückhaltender.

      Bei Dina bekommt man, was man vordergründig sieht. Tanz, Designermode, Make-up. Alles in perfekter Ausführung. Sie ist ein Hochglanz-Werbeplakat auf zwei Beinen.

      Die Bauchtänzerin teilt die Ägypter in Klassen ein. Die oberen Zehntausend bezeichnet sie als die A-Klasse. Die Leute unten sind für sie die C-Klasse. Ihr Planet ist der der A-Klasse. Der Rest interessiert sie nur am Rande.

      So betrachtet, sind beide Schwestern extrem: Die eine ist bis zum Äußersten materialistisch, abgesehen von ihrer Großzügigkeit. Die andere ist am religiösen Rand angesiedelt. Das Interesse an den zwei Frauen führte zwangsläufig zu anderen Fragen: Wie hoch ist der Preis, den westlich orientierte Frauen wie die Bauchtänzerin in Ägypten zahlen müssen? Unterliegen andere Frauen der ständigen Versuchung des Islams wie Rita? Und mit welchen Folgen für ihr Leben und ihre Kinder? Aus meinen parallel geführten Gesprächen in Kairo mit solchen Frauen und aus selbst erlebten Ereignissen entstanden ergänzende Kurzporträts unter dem Titel: Zwei von uns.

      Meine Gespräche mit den beiden Schwestern waren über ein Jahr verteilt. Sie wurden einige Male verschoben durch Dinas Termine, dann verschloss sich wiederum Rita. Weitere Unterbrechungen gab es durch meine Rückkehr nach Paris, meinen Hauptwohnsitz.

      Im Sommer 2013 musste ich überstürzt wieder nach Kairo. Die Militärs hatten den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi vertrieben. Erneut floss Blut.

      Dina hasste Mursi. Rita hatte ihm ihre Stimme gegeben.

      Das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern wurde durch die Ereignisse bis aufs Äußerte belastet. Wochenlang sprachen sie nicht miteinander. Für mich war das eine weitere erzwungene Arbeitspause.

      Zu dem Zeitpunkt, an dem ich dieses Buch schreibe, ist Ägypten weder friedlich noch geeint. Terror erschüttert das Land. Laut Militärs stecken islamische Radikale hinter den Anschlägen. Der mächtige Sicherheitsapparat beschränkt aber skrupellos alle Freiheiten im Land, die im »arabischen Frühling« von der Jugend gerade erst erkämpft wurden.

      Hätte ich eine durchschnittliche ägyptische Familie porträtiert, hätte ich eine gemäßigt religiöse mit zahlreichen Kindern aussuchen müssen. Das ist Ägypten.

      Die Bauchtänzerin Dina und die Salafistin Rita sind jedoch typischer, als man bei uns glaubt. Konflikte, am Mittagstisch ausgetragen, sind insofern etwas Universelles.

      Ständig habe ich junge Ägypter und Ägypterinnen getroffen, die der Religion wegen im Streit mit ihren Vätern und Müttern lagen. Der Islam entzweit Ägypten. Die Bevölkerung ist gespalten. Ein gespaltenes Land ist ein gefährliches Land.

      Paris, im Februar 2014

      Antonia Rados

      ZWEI VON UNS / 1

      Es ist bald Mitternacht. Die vergewaltigte junge Frau ist blass, und die Polizei ist informiert, um zu kommen und sie zu verhaften.

      Das Hotel, wohin sie sich in Panik mit ihrer Mutter geflüchtet hat, wird ihr nur so lange Schutz gewähren, bis die Sicherheitskräfte eintreffen. Danach werden die zwei Polizisten von dem unterwürfigen diensthabenden Manager sofort in Richtung Opfer dirigiert werden. So gehört sich das in Ägypten. Ein Teil des Personals arbeitet für den Staatssicherheits-Untersuchungsdienst. Die beiden Frauen dürfen auf keinen Fall durch einen Hintereingang verschwinden. Einige Angestellte, die richtigen, passen auf.

      Die Befragung wird auf der Polizeistation stattfinden, wann sie enden wird, ist unklar. Vergewaltigte Frauen werden mindestens eine Nacht in Polizeigewahrsam festgehalten. Die Polizei nimmt sich Zeit. Sie überprüft die Identität der Personen. Ein männliches Familienmitglied zu kontaktieren, ist die Regel. Wer keine Familie hat, ist von vornherein suspekt.

      Ich sehe der Frau an, dass sie sich vor dem Polizei-Besuch beinahe genauso fürchtet wie vor der Horde von Männern, die ihr nur zweihundert Meter entfernt vom Hotel die Jeans herunterrissen, bevor einer nach dem anderen den Akt der Penetration durchführte, in Sichtweite einer Auffahrt der belebten 6. Oktober-Stadtautobahn, auf einer schlecht beleuchteten Verkehrsinsel, zwischen Müll, erzählt sie mir. Sie sagt, sie konnte sich befreien. Eine Behinderte werde dort unter der Autobahn weiter misshandelt. Mutter und Tochter kannten die Behinderte nicht, sondern befanden sich nur zufällig zum selben Zeitpunkt an derselben Stelle, um die Straße zu überqueren, als es plötzlich geschah. Ich frage, welche Behinderung die andere habe. Als Antwort erhalte ich eine diffuse Beschreibung von einem gehbehinderten, blutjungen Mädchen.

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