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an einem der eigens für Männer reservierten Tische. Rechts von der Bühne, auf der die Bauchtänzerin auftreten wird. Links werden die Frauen Platz nehmen. Ich kenne inzwischen die Tischordnungen ägyptischer Hochzeiten, Einzelheiten wie die Blumenbouquets und die strikt getrennten Sitzordnungen. Gemischt sitzen die Familien nur in den seltensten Fällen.

      Hochzeit auf Ägyptisch: traditionell, aber mit Dina und allem, was dazugehört, einschließlich ihrem Orchester: immer dasselbe Orchester, dieselben Instrumente, dieselben Männer in schon leicht abgetragenen, schwarzen Anzügen. Sie sind Zeugen nicht nur von Dinas Karriere, sondern auch der von Rita. Sie haben die beiden Schwestern jahrelang bei ihren gemeinsamen Auftritten begleitet. Damals, als Rita noch lustig war, erinnert sich ein Musiker. Ausgesprochen heiter war sie als Kollegin.

      Ich frage ihn, wie er sich die Kehrtwende erklärt, aber wie die Familie hat auch er keine Antwort darauf.

      Auf der mit hellen Tischtüchern bedeckten Tafel stehen bereits vollgefüllte Gläser. Wie üblich, Mineralwasser, Sprite oder Cola. Kellner füllen in einem Vorraum bereits Nachschub aus Plastikflaschen nach. Der Salafist starrt auf sein Glas, als wäre trotzdem Alkohol drin.

      Trockene Hochzeiten, ohne jeden Tropfen Wein, Bier oder Whiskey, sind gut für uns. Trockene Hochzeiten lassen sich leichter filmen. Wird tatsächlich bei einer Hochzeitsgesellschaft in Kairo Alkohol ausgeschenkt, lässt man uns nicht hinein. Sowas soll heutzutage nicht gezeigt werden im Ausland, obwohl in Ägypten kein Alkoholverbot herrscht. Hotels und Restaurants müssen nur staatliche Lizenzen vorweisen. Eine solche ist nicht immer leicht zu erhalten, weil neue Genehmigungen seit einigen Jahren, ebenfalls Folge der neuen Religiosität, nicht mehr erteilt werden. Will einer Alkohol verkaufen, muss er jemanden finden, der noch eine alte Lizenz besitzt. Die kann er umschreiben lassen und übernehmen. Manche Restaurant- und Barbesitzer mit Alkoholgenehmigungen sind inzwischen frommer geworden und haben die Lizenz an die jeweilige Behörde zurückgegeben. Dadurch ist die Zahl der Lizenzen immer kleiner geworden. Unverändert seit fast einem Jahrhundert werden aber in Ägypten zwei Biersorten gebraut, Stella und Sakara. Die Fabriken gehören Kopten. Die lokale Weinproduktion an Ägyptens Mittelmeerküste läuft schlecht, weil die meisten Angestellten Muslime sind. Wein trinken ist für sie verboten. Sie können also das Produkt, das sie anbieten, nicht einmal kosten, was jeder gute Winzer nun einmal tun muss.

      Mit oder ohne Alkohol droht diese Hochzeit zum perfekten Albtraum zu werden für die Bauchtänzerin. Die Familie der Braut, höre ich, sei streng religiös, der früh eingetroffene Salafist damit nur einer der möglichen Frommen in der Runde. Die Schwester der Braut taucht auf, gekleidet in eine nachtblaue Niqab, eine festliche Ausgabe des sonst schwarzen Umhanges. Ihrer ist noch dazu mit goldenen Schriftzeichen bestickt. Der Gesichtsschleier ist mit Spitzen verziert. Darunter ist die Frau geschminkt, ich entdecke in dem Augenschlitz Spuren von dicht aufgetragener Wimperntusche um die kajal-umrandeten Augen. Geschmückte Niqabs, weiß ich von Rita, bezeichnet man als jemenitische Niqabs. In einem Geschäft für Umhänge sagte mir der Verkäufer, so eine würde um die 2000 ägyptische Pfund kosten, umgerechnet immerhin fast 200 Euro.

      Bei einer ähnlichen Feier eines Brautpaares mit religiösen Verwandten, einige Monate davor, wurde Dina hinausgeworfen. Noch dazu war es die Verehelichung eines bekannten Fußballers, bei der die Presse anwesend war.

      Wie so oft sollte Dina der Höhepunkt der Feier sein. Sie hatte sich bereits in der Kabine umgezogen, stand in ihrem Tanzkostüm bereit für den Einführungstanz, als ein Onkel des Bräutigams vehement Einspruch erhob. Er hatte von Dinas Auftritt erst vor Ort erfahren und wollte nicht im selben Raum sein wie sie. Ein Wort folgte dem anderen. Ein Familienrat entschied zugunsten des Frommen.

      Wie eine Verbrecherin musste Dina durch die Hintertür verschwinden, während die Verwandtschaft des Brautpaares, Muslimbrüder und Salafisten, sich über einen kleinen moralischen Sieg freuen konnten. Anschließend verlangt Dina trotzdem das vereinbarte Honorar und steckt die Nachricht der Presse zu, die genüsslich über das Nachspiel berichtet. Sie akzeptiert schließlich ein Ausfallhonorar in der Höhe von fünfzig Prozent, um deutlich zu demonstrieren: Wenn sie etwas verschenkt, dann nicht an solche Kunden.

      Dina einzuladen, ist eine Frage des Prestiges. Damit demonstriert man, dass man sich so einen Star leisten kann. Im Westen mag man ein nicht-alkoholisches Ereignis mit einer Frau, die sich in knappen Kostümen nahezu anbietet, für unlogisch halten. Der Orient ist eben anders. Und Dinas Show ist einzigartig.

      Fasziniert von ihrem Höhenflug im islamischen Ägypten wurde sie vor einigen Jahren von einem amerikanischen Wochenmagazin als die letzte Bauchtänzerin bezeichnet. Ein verfrühtes Urteil. Neben Dina verdient sich eine ganze Reihe junger Bauchtänzerinnen ihren Unterhalt mit dem Tanz. Nachwuchs aus Osteuropa drängt nach. Der Bedarf kann damit ganz gut gedeckt werden.

      Das Luxushotel, in dessen Lobby ich auf Dinas Erscheinen warte, ist nicht so viel anders als das, aus dem man sie vor Kurzem hinausgeworfen hat. Andere Widersprüche springen geradezu ins Auge, selbst wenn man nicht darauf achtet. Der überschwenglich dargestellte Reichtum in der Dekoration, passend zu einer Frau wie Dina. Vor der Hoteleinfahrt, auf der Corniche entlang des Nils, dagegen ist kaum eine Frau auf dem Gehsteig zu sehen, die ihre Haare zeigt.

      In einem der Säle in den oberen Stockwerken, in den ich schon einen Blick geworfen und den Salafisten sitzen gesehen habe, ist der Kontrast am vordergründigsten, aber gut verborgen. Unbeteiligte werden von der Sicherheit zurückgewiesen. Man will unter sich sein. Man sondert sich ab von der feindlichen Atmosphäre draußen. Einzig verräterische Aufnahmen mit Handys, die oft im Internet landen, zeigen jedem, was sich so abspielt in der feinen Gesellschaft von Ägypten, die unüberbrückbaren Widersprüche. Hier sind auch manchmal wohlhabende Leute streng religiös. Die Kluft reicht durch alle Klassen, wie sich bei dieser Hochzeit zeigt, wo sich neben der Niqab-Trägerin junge Mädchen kokett gegenseitig betrachten. Es sind Cousinen des Bräutigams. Ihre Röcke gehen ihnen nicht einmal halb übers Knie.

      Kein Ägypter kann mir die Frage beantworten, wie der explosive Cocktail aus Islam und extremer Verwestlichung funktioniert. Dieser Gegensatz springt aber überall ins Auge. Nirgendwo fällt er mir mehr auf als bei meinen Treffen mit Rita und Dina. Bei der einen befinden wir uns im religiösen Mittelalter. Bei der anderen im verruchten Las Vegas. Unentwegt bewegen wir uns hin und her, wie bei einer Zeitreise in die Vergangenheit und wieder zurück in die Gegenwart.

      Mein Kameramann, der Übersetzer und ich passen weder so richtig in die eine noch in die andere Welt. Bei Dina sehen wir aus wie ärmliche Verwandte vom Land. Bei Rita dagegen wie gottlose Heiden.

      Wenn eine die Regeln der Kairoer Tanzszene bestens beherrscht, dann ist es Dina. Zusammen mit einigen wenigen Tänzerinnen ist sie Favoritin von Ägyptens oberen Zehntausend. An manchen Abenden heißt das für sie, dreimal aufzutreten, gegen zwanzig Uhr das erste Mal, gegen Mitternacht das zweite Mal und ein letztes Mal gegen drei Uhr früh. Höchstens noch Engagements in der Stadt Alexandria gehören dazu. Der Rest des Landes kann sich eine wie Dina kaum leisten.

      Hochzeiten sind in Ägypten wichtige Ereignisse. Sie sind nur denkbar im Beisein von im Vergleich zu Europa immer noch riesigen Familien, selbst in Kairo, einer Metropole, hat sich daran nur wenig geändert im Lauf der letzten Jahre. Hochzeiten sind dementsprechend teuer, selbst wenn kein Whiskey getrunken wird. Wo Dina tanzt, wird über Geld nicht gesprochen. Da hat man es.

      Die Bauchtänzerin bezeichnet diese Kreise als A-Klasse. Das sind Leute der A-Klasse, sagt sie mir mehrmals in Gesprächen. Sie meint damit Leute, die alles haben. Stolz schwingt in ihrer tiefen, rauchigen Stimme mit, wenn sie darüber spricht, dass sie dort auftritt. Bei den Hochzeiten der A-Klasse. Geschäftswelt, Prominente. Kreise der Macht gehören dazu.

      Wenn sie vor der A-Klasse auftritt,

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