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traditionelle Musikgruppe für den Einführungstanz, gekleidet in weiße Hemden, ausgerüstet mit Trommeln und Tamburinen. Sie hat einen eigenen Kostümträger, ein Mann, der keine andere Aufgabe hat, als sich um Dinas berühmt-berüchtigte Kostüme zu kümmern. Er bringt mehrere davon in einem Kleidersack an den jeweiligen Ort ihrer Auftritte, dazu den passenden Schmuck und Schuhe.

      Zum Team der Bauchtänzerin gehört ihr langjähriger, treuer, übergewichtiger Manager Tarek, der ihr kritische Presse vom Leib hält und ihren Terminkalender führt, ganz ohne moderne Hilfsmittel wie ein Smartphone oder ein iPad. Er schreibt sich alles auf Zettel und ändert Termine wieder, wie es üblich ist in einer Stadt, in der Pünktlichkeit verhandelbar ist.

      Wie jetzt. Ursprünglich ist der Beginn für neunzehn Uhr vorgesehen. Drei Stunden später sitzen Dina und wir immer noch in der Hotel-Cafeteria, der x-te Cappuccino steht vor uns. Wir scherzen, der Bräutigam hätte sich in letzter Minute aus dem Staub gemacht, aber da taucht zumindest das Paar, sie im weißen Kleid, er im dunklen Anzug, oben auf der Rolltreppe auf und lässt sich vom Hochzeitsfotografen ablichten. Nochmals posieren sie in einer der Boutiquen um uns. Wir warten, weil, wie Walid herausfindet, im Fernsehen ein Fußballspiel des bekanntesten ägyptischen Clubs Al-Ahli gegen eine afrikanische Mannschaft übertragen wird. Die meisten Geladenen setzen sich erst nach dem Schlusspfiff überhaupt in Bewegung. Weil der Verkehr abends besonders dicht ist, beginnt die Feier schließlich mit dreieinhalbstündiger Verspätung. Braut, Bräutigam und die teuerste Bauchtänzerin des Orients müssen sich gedulden.

      Dinas Gage beträgt laut Tarek um die 1500 Euro pro Auftritt, eine stattliche Summe in Ägypten. Dafür gibt es nur eine relativ kurze Tanzeinlage, Zaffa genannt, die am Beginn einer Hochzeit für Stimmung sorgen soll. Eine längere Tanzvorführung Dinas kostet mehrere Tausend Euro.

      Tourneen in arabischen Nachbarländern bringen ihr und ihrem Team etwa einen fünfstelligen Betrag ein, vor allem, wenn Auftritte von reichen Arabern aus den Golfstaaten geordert werden.

      Getanzt wird auch vor Privatpersonen, sagt mir Dina, und nennt als Beispiel den inzwischen verstorbenen italienischen Modedesigner Gianni Versace. Er ließ sie nach Italien einfliegen. Sie tanzte vor einigen auserwählten Gästen.

      Wie Dina ist kaum eine zweite Ägypterin gefragt, insofern ist sie mehr als eine heimische Größe.

      Dieses ständige Hin und Her zwischen den Welten des Westens, der toleranter ist in einigen Fragen, und der Kairoer Szene verlangt von Dina eine kulturelle Verrenkung. Was sie in Paris anstandslos tun darf, steht in Kairo außer Frage. Eine zigarettenrauchende Frau gehört dazu.

      Auch eine Bauchtänzerin sollte hier in der Öffentlichkeit nicht rauchen. Nur in der abgeschotteten Umkleidekammer, wo sie niemand sieht, bekämpft Dina ihre Nervosität in den Minuten vor dem Auftritt mit ein paar Zügen aus einer Zigarette, genauer gesagt ist es die Zigarette ihrer Helferin, einer rund fünfzigjährigen Frau namens Wafa. Sie ist eine passionierte Raucherin. Ohne eine Schachtel in ihrer Tasche ist sie verloren. Für Dina steckt sie immer auch eine elektrische Zigarette ein, um ihre Lust aufs Rauchen trotz aller Verbote in der Öffentlichkeit zu stillen. Mit diesem Trick hilft sich Dina über die Sitten hinweg.

      Ich sehe, wie sie beinahe nackt aus der Umkleidekabine kommt, aber Angst hat, mit einer Zigarette im Mund erwischt zu werden. Wafa nimmt sie ihr ab und drückt sie schnell in einem halbvollen Aschenbecher aus. Los, sagt Dina daraufhin.

      Sie rennt regelrecht, mit riesigen Schritten, zuerst vorbei am Personal, das überall herumsteht, nur um einen Blick auf Dina zu werfen, und drängt sich dann vorbei an den Hochzeitsgästen, bevor sie, begleitet von einem Trommelwirbel, nahe bei dem Hochzeitspaar ruckartig haltmacht. Sollte Dina in diesem Augenblick an die Schmach bei der Fußballer-Hochzeit denken, zeigt sie es nicht. Sie wird nicht dafür gut bezahlt, um nachtragend zu sein.

      Szenen folgen, in denen sie nahe an den männlichen Hochzeitsgästen entlangtanzt und sich dabei nach vorne und nach hinten neigt, sodass ihre Brüste mehr als gut sichtbar sind. Paradox: Laut Bauchtanzregeln ist es allen strengstens untersagt, sie anzufassen.

      Während Dinas Tanz lasse ich den Salafisten nicht aus den Augen, doch er bleibt die ganze Zeit über erstarrt wie eine Statue, mit gesenktem Blick, um nicht in Versuchung zu geraten, die sündige Frau auch vielleicht nur unabsichtlich anzusehen.

      Aber Dina darf sich darstellen. Niemand protestiert. Die niqab-tragende Schwester der Braut steht sogar fasziniert am Rande des Tanzparketts. Sie klatscht Beifall – mit ihren behandschuhten Händen.

      Der Ursprung des im Orient – in Ägypten, betonen hier alle stolz – entstandenen Bauchtanzes ist umstritten. Es gibt dazu keine einheitliche Meinung. Es gibt so viele Geschichten, wie es Bauchtanz-Experten gibt, und, sagte mir eine Tänzerin, eine Vielzahl von Märchen und Anekdoten, beinahe mehr als Einwohner in der Millionenstadt Kairo. Selbst was seine genaue Bezeichnung betrifft, ist man sich nicht einig. Bauchtanz heißt er für die einen; orientalischer Tanz, Raqs Scharqi, für die anderen.

      Ein Kollege aus Kairo, der mir bei meiner Recherche in Tanzlokalen hilft, findet heraus, dass zu Zeiten der Pharaonen der Bauchtanz von Mädchen aufgeführt wurde, um männliche Besucher zu unterhalten. Ein anderer behauptet, Bauchtanz wäre ursprünglich eine Art altägyptische Schwangerschaftgymnastik gewesen, bei der Frauen vor der Geburt ihren Bauch in rhythmischen Bewegungen kreisen ließen, um die Muskeln zu lockern. Dann wiederum heißt es, Bauchtanz sei entstanden in den abgeschirmten, weiblichen Gemächern, dem Harem, wo der Hausherr sich vor Einbruch der Nacht eine seiner vielen Ehefrauen aussucht. Tanz ist einer der Wege der Verführung. Die Frauen bewegen ihren Körper wie Schlangen. Die das am aufreizendsten tut, hat die beste Chance. Sie verbringt die Nacht nicht im eigenen Bett. Je öfter ihr gelingt, bei ihrem Mann zu übernachten, desto besser sind ihre Chancen, ihm einen Erben zu schenken. Der Sohn gibt ihr Macht. Sie selbst ist nur Mittel zum Zweck.

      Andere meinen, Bauchtanz sei ein Tanz einer Sinti- und Roma-Großfamilie, die sich auf dem Weg aus Indien nach Europa vor Jahrhunderten im Niltal niederließ. Der Tanz, so diese Version, war ein reiner Frauentanz. Männer waren ausgeschlossen, selbst als Zuschauer.

      Sicher ist, dass europäische Besucher den Tanz auf ihren Entdeckungsreisen in den Orient im 18. Jahrhundert kennenlernten. Sie brachten ihn wie eine seltene Kuriosität in den Westen. Dort erst wurde er zu dem Phänomen, das er bis heute ist. Erotisch. Verführerisch. Unerreichbar mit seinen schlangenartigen Körperbewegungen.

      Teils wurden diese im Ausland einfach dazuerfunden. Um den Vorstellungen der Ausländer von fremdartiger Exotik zu entsprechen, wurden die Kleider von Tänzerinnen entsprechend aufgeputzt. Die bis dahin relativ einfachen Kostüme wurden verziert. Durchsichtige Gesichtsschleier, unüblich im damaligen Ägypten, gaben den Frauen einen zusätzlichen Ruch der verbotenen Begierde. Alles wird eine Spur heißer gemacht, außer die Füße. Die bleiben nackt. Dina erklärt das so, dass die Tänzerin damit ständig den Kontakt mit der Erde habe. Das gehöre dazu wie die rhythmische Musik, von der jeder Bauchtanz begleitet wird.

      Von den Tanzvarianten Europas wusste man in Ägypten zunächst nichts. Ohnehin wurde Bauchtanz hier traditionell nur dargeboten zur Unterhaltung von Hochzeitsgesellschaften. Später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wird er in seiner ursprünglichen Heimat neu entdeckt – vor allem als zusätzliche Unterhaltung für ausländische Gäste, für die bald mindestens ein Abend mit einer Bauchtänzerin organisiert werden muss. Geschäftsleute, Politiker, Militärs sind die besten Kunden von Kairos aufstrebendsten Tänzerinnen in der Zwischenkriegszeit, dem Höhepunkt der Bauchtanz-Mode. Danach, in der aufkommenden Zeit des Tourismus, wird kein Ägypten-Urlaub mehr möglich ohne Bauchtanz im Reiseangebot, undenkbar wie ohne eine Fahrt auf dem Nil. Politikergrößen wie Henry Kissinger und die Kennedy-Witwe Jackie lassen sich mit Bauchtänzerinnen ablichten.

      So enorm wie die Nachfrage ist das Angebot. Bei den Sing- und Tanzshows in den Sechzigerjahren, die nicht vor ein Uhr nachts beginnen, müssen Bauchtänzerinnen eine ganze Reihe von Verrenkungen bzw. Bewegungen mehr oder weniger perfekt beherrschen. Schreiende Türsteher locken vor den Toren von Clubs und Tanzlokalen in der Al-Haram-Straße, Zentrum der

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