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Schweizer Sagen und Heldengeschichten. Meinrad Lienert
Читать онлайн.Название Schweizer Sagen und Heldengeschichten
Год выпуска 0
isbn 9783843801294
Автор произведения Meinrad Lienert
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Alles wurde so ausgeführt. Wie nun die neun Jahre um waren, bot sich Agnes, die Tochter des Freiherrn von Attinghausen, an, die Erlösung der Alp zu vollbringen. Und also zog sie eines Tages mutterseelenallein, weiß gekleidet und bräutlich geschmückt auf die Surenenalp. An einem seidenen Schnürchen aber, das in einem Nasenring hing, führte sie den silberweißen Stier hinter sich her, der ihr willig folgte.
Wie nun die Jungfrau um die Surenenecke bog, erhob sich ein schreckliches Gewitter. Der Sturmwind pfiff und schnob daher, als wollte er alle Berge über den Haufen stoßen; schwarze Donnerwolken machten den Tag zur Nacht, und ganze Garben von Blitzen machten sie wieder zum Tag. Aber auf einmal war ein seltsames Brüllen in der Alp, und jetzt hüllten die daherfahrenden Wolken alles ein.
Als sich die Urner nach langem, bangem Warten unten zu Attinghausen endlich auf die Alp getrauten, da es droben still geworden zu sein schien, fanden sie auf den Alpenweiden ein unförmliches, schrecklich zugerichtetes Ungeheuer: es war das tote Greiß. Aber nicht weit daneben lag auch der siegreiche silberweiße Stier tot in seinem Blute. Doch entsprang unter ihm eine reiche Quelle, die man von da ab den Stierenbach nannte. Schon wollte man in Jubel ausbrechen, da fragte einer nach Agnes, der Jungfrau von Attinghausen. Doch nirgends war sie zu finden, und wie man auch die Alp absuchte, sie blieb für immer verschwunden.
Da waren die Urner sehr unglücklich. Konnte auch das Greiß ihr Vieh nicht mehr schlagen, so hatten sie die Erlösung der Alp mit dem Leben der Jungfrau doch teuer bezahlt. Also hielten sie eine feierliche Landsgemeinde zu Altdorf ab und beschlossen, den Kopf des siegreichen Stieres mit dem Nasenring in ihr Landeswappen aufzunehmen, das nachmals der Schrecken ihrer Feinde wurde. Die Jungfrau von Attinghausen aber nahmen sie auf ewige Zeiten in ihre Herzen auf.
Das Neunuhrglöcklein von
Schaffhausen
Zur Zeit der Kreuzzüge, als viele Ritter und Kriegsknechte ins Heilige Land gezogen waren, um das heilige Grab Christi den Ungläubigen zu entreißen, war auch ein Ritter aus der Stadt Schaffhausen, wo die schöne Erkerstraße steht, mit ihnen über das Meer gefahren.
Schon lange Jahre war er aus der Heimat fort und dachte mit Schmerzen seiner lieben Frau, die er auf der stolzen Burg ob der Stadt, wo jetzt der Munot steht, zurückgelassen hatte. Und je mehr er ihrer und der schönen Heimat und der trauten Stadt am Rheinfall gedachte, desto schwerer wurde ihm zumute. Wie nun im Heiligen Lande die Waffen eine Zeitlang ruhten, übernahm ihn das Heimweh völlig. Er ließ sein Pferd satteln und zog mit seinen Kriegsknechten aus dem Lande Palästina fort, um heimzukehren. Eine unendlich lange Zeit dauerte es, bis er durch aller Herren Länder in die heimatlichen Gaue gelangte. Aber endlich sah er hie und da schon seine hochgelegene Burg aus den Hügeln auftauchen, und obwohl er noch weit von der Stadt Schaffhausen weg war, meinte er doch schon den Rheinfall rauschen und brausen zu hören. Das widerklang wie Musik in seinem Herzen. Er spornte sein Pferd und ritt, so rasch es sich bei den damaligen schlechten Prügelwegen tun ließ, der Stadt am Rheine zu. Es ging schon der Nacht zu. Noch einmal sah er von weitem die Burg aufleuchten in der blutrot hinter dräuenden Wolkenbergen verschwindenden Sonne. Dann geriet er wieder in düstere Wälder.
Noch nicht lange war er mit seinen Reisigen darin geritten, so donnerte es ob dem Walde. Und unversehens brach ein fürchterliches Gewitter los. Schnaubend und gluchzend fuhr ein Sturmwind durch die Bäume, und dann begann es aus allen Himmeln wie mit Eimern zu schütten. Und es wollte nimmer nachlassen. Die Bäume boten bald keinen Schutz mehr. Sie wurden selber zu Regentraufen, und mit Ach und Krach, naß wie Wasserschnecken, brachen der Ritter und seine Kriegsknechte durch das fürchterliche Dickicht, in das sie sich verirrt hatten, denn mittlerweile war es stockfinstere Nacht geworden. Wohl leuchteten ab und zu grelle Blitze ins Waldesdüster, aber die Verirrten konnten den rechten Weg gleichwohl nicht wiederfinden. Wie sie auch riefen, niemand antwortete ihnen, denn nun setzte der Sturmwind wieder ein, der die triefenden Bäume schüttelte und ihre krausen Wipfel also wild kämmte, daß die Zweige von den Ästen gingen.
Da machte der Ritter mit seinen Leuten ratlos halt, denn er wußte nicht mehr, wo aus noch ein. Er hatte keine Ahnung, wo die Stadt Schaffhausen, wo seine Burgfeste stehen könnte. Wenn doch nur ein Hornruf oder ein Glockenklang von der hochgelegenen Burg in die Wildnis dringen würde, in der sie immer im Kreise herumzugehen schienen! Aber wie sollte der Türmer auf dem Schloß ins Horn stoßen, da er keine Ahnung hatte, daß sein Herr, den er über dem Meer im Heiligen Land glaubte, so nahe sei!
Jetzt aber begann es zu stürmen und zu wettern, fürchterlicher als je. Krachend fuhren die Blitze in die Bäume, und es wurde so finster, daß die Kriegsknechte ihrem Herrn hart auf dem Fuße folgen mußten, wollten sie ihn nicht verlieren.
Da hörte auf einmal der Wald auf. Jauchzend gab der Ritter seinem Pferd die Sporen. Es bäumte sich hoch auf und wollte nicht vorwärts. Er spornte es heftiger. Hoch auf sprang es nun. In diesem Augenblick erleuchtete ein flammender Blitzstrahl die Gegend taghell, und mit Entsetzen gewahrte der Kreuzritter noch, daß er mit seinem Roß in die Fluten eines still, aber reißend dahingleitenden Baches hineinsprang. Er wollte aufschreien und das Pferd zurückreißen, da packten ihn schon die Wildwasser, und es versanken Reiter und Roß. Seine Knechte aber, die den hochgehenden Bach nicht gesehen hatten, fielen nun einer nach dem andern in die trübe Flut und ertranken. Nur der letzte wurde von den Wellen ans andere Ufer gerissen, wo er sich an einer Staude zu halten und aufs Bord zu ziehen vermochte. Jetzt wurde die Gegend wieder vom Blitze erhellt, und nun erkannte der gerettete Kriegsknecht, daß er sich am wilden Bach im Mühletal befand. Aber wie er auch Ausschau nach seinem Herrn und seinen Kriegsgefährten hielt, er sah nichts mehr von ihnen, und auf all sein Rufen antwortete nur das Brausen des Sturmwindes, der Donner des sich rasch verziehenden Gewitters.
Eine Weile noch wartete der Knecht. Doch als alles totenstill blieb, packte ihn ein Grausen. Er machte sich, so schnell er vermochte, auf den Weg nach dem Schlosse auf, der weithin zu sehenden Anhöhe, denn nun erkannte er, daß sie sich ganz nahe bei der Stadt Schaffhausen, ihrem heiß- und langersehnten Ziele, befunden hatten, ohne daß sie’s gewahr worden waren. Dort wurde er gleich in die Burg eingelassen, und er berichtete der voll Jammer aufschreienden Burgfrau noch in der Nacht, welch schreckliches Unglück ihren Gatten betroffen hatte.
Am anderen Morgen brachten ihre Hörigen, die die ganze Nacht den Bach abgesucht hatten, ihren Gemahl und die anderen ertrunkenen Knechte ins Schloß, wo sie aufgebahrt und danach feierlich beerdigt wurden. Der Schmerz der Edelfrau war grenzenlos. Jahrelang hatte sie sich in Sehnsucht nach ihrem geliebten Ritter verzehrt, und nun er endlich unversehens kam und ihr die größte Freude ihres Lebens geworden wäre, wurde ihr das größte Leid. Und er war doch so nahe schon ihrer Burg, so nahe ihrem Herzen, er, den sie unendlich weit weg glaubte. Hätte sie doch eine Ahnung gehabt, sie hätte ihre Burgkatze, ein unförmliches Geschütz, Tag und Nacht abfeuern lassen, und der Turmwart hätte sich an seinem Horn schier totblasen müssen. So hart vor seinem Hause mußte ihr so sehr geliebter Mann sterben. Sie war kaum zu trösten.
Als aber ihr Kreuzritter und seine treuen Kriegsknechte im Grabe lagen, ließ die Edelfrau ein silbernes Glöcklein gießen. Und von dem Tage an, da man’s im hohen Wendelstein ihrer Burg aufhing, mußte es alle Nacht um neun Uhr geläutet werden, denn um neun Uhr war der Ritter ertrunken.
Von nun an hörten die einsamen Wanderer, die sich etwa zu Beginn der Nacht in der Wildnis des Mühletals verliefen oder sonstwo verirrten, um neun Uhr den silbernen Klang des Burgglöckleins und fanden sich, den traulichen Tönen nachgehend, bald in der guten Stadt Schaffhausen am Oberrhein.
Der listige Habsburger
Mitten in der Schweiz, im schönen und fruchtbaren Kanton Aargau, steht das