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einen in das Göller. Aber Walter Fürst, der Großvater des kleinen Walter, trat jetzt zum Landvogt und beschwor ihn bei seinem Seelenheil, von seinem schrecklichen Verlangen abzustehen. Er kniete sogar vor ihm nieder und hob flehend die Hände zu dem Tyrannen auf, der ihn aber kalt und höhnisch ansah.

      Auf einmal schrie eine Weiberstimme aus dem Volk: »Der Apfel ist gefallen, der Apfel ist gefallen!« Und hundertstimmig jubelte das Volk: »Der Apfel ist gefallen!«

      Während der Landvogt auf den alten Landammann Walter Fürst hörte, hatte Wilhelm Tell rasch die schwere Armbrust gespannt, den Pfeil daraufgelegt, gezielt und geschossen. Da flog der Pfeil, und der Apfel war gefallen.

      Aufjauchzend stürmte der kleine Walter auf seinen Vater zu, der noch fassungslos und wie im Traum am Boden kniete und die Armbrust krampfhaft in den Händen hielt. Ein Knecht aber hatte den Apfel aufgehoben und zeigte ihn nun dem Landvogt Geßler. »Wahrhaftig«, sagte der, »der Apfel ist mitten durchgeschossen; es war ein Meisterschuß, ich muß ihn loben.«

      Aber als der Tell, der lang aufatmend und bebend vor Freude sein Kind ans Herz geschlossen hatte, sich erhob und mit dem jubelnden Volk abziehen wollte, fragte ihn plötzlich der Landvogt: »Höre, Tell, sag an, warum stecktest du den zweiten Pfeil in das Göller, bevor du den Schuß tatest?«

      »Herr, es ist so des Schützen Brauch«, sagte dieser, der den Vogt und sein böses Herz durchschaute. Aber der Landvogt runzelte die Stirne und sagte: »Tell, bekenne nur die Wahrheit ohne Furcht, du sollst deines Lebens sicher sein. Warum stecktest du den zweiten Pfeil in das Göller?«

      Jetzt stellte sich der Tell bolzengerade vor den Landvogt hin, sah ihn furchtbar an und rief, ihm den Pfeil entgegenstreckend: »Wohlan, Herr, da Ihr mir mein Leben zugesichert habt, will ich Euch die Wahrheit sagen: Hätte ich mit dem ersten Pfeil meines lieben Kindes Haupt getroffen, mit dem zweiten hätte ich Euer wahrlich nicht gefehlt!«

      Der Landvogt erschrak innerlich sehr, denn nun erkannte er, wie ihn der Tell haßte, den er so schrecklich gequält hatte. Aber er ließ sich nichts merken und sagte kalt: »Das Leben habe ich dir zugesichert, Tell, ich will es redlich halten. Aber da ich deinen bösen Willen gegen mich erkannt habe, will ich dich dahin führen lassen, wo weder Sonne noch Mond dich bescheinen, auf daß ich vor dir Ruhe habe. Ergreift ihn!«

      Sogleich packten die Waffenknechte den Schützen Tell und banden ihm unter den Verwünschungen und unter dem Aufjammern des umstehenden Volkes die Hände auf den Rücken. Dann rissen sie ihn von seinem Büblein los und schleppten ihn ins Herrenschiff nach Flüelen, um ihn über den Waldstättersee ins finstere Burgverlies nach Küßnacht zu bringen. Geßler selbst bestieg mit seinem Gefolge den Herrennauen.

      Bald stieß des Landvogts Schiff ab, und noch lange schaute das entrüstete Volk nach seinem roten Dache. Im Nauen aber lag der Schütze Tell inmitten der Waffenknechte, und umsonst schaute er mit sehnsüchtigen Augen, wie die heimatlichen Gestade allmählich verschwanden, und umsonst blickte er sich nach der hinten im Schiff liegenden Armbrust um. Niemals mehr sollte er das Licht der Firnen sehen, niemals mehr das Schwirren seines sicheren Pfeiles im Bergwalde hören.

      Als sie aber ein gutes Stück über den See gefahren, sah man auf einmal das ewig lebendige Schneestaubwölkchen, das am Firnenhaupt der Großen Windgälle hängt, stärker aufstieben. Auch kam ein unheimliches Summen und Knurren, wie das Murren des Volkes an der Maienlandsgemeinde, von den Firsten und Graten der Berge. Der Himmel ward tiefblau, als wollte er sich auftun, und die Bergwälder schienen nahe, als könnte man sie mit den Händen greifen. Und jetzt kräuselte sich der See; ein paar heftige Windstöße pfiffen um die Bergwände, und plötzlich tobte der Alpenwind, der wilde Föhn, von den Bergen herab und fuhr schnaubend, jauchzend und pfeifend daher, den See also aufpeitschend und aufjagend, daß die gehetzten Wellen wie wilde, wutschnaubende Tiere auf das Herrenschiff lossprangen.

      Da erschraken der Landvogt Geßler und seine Leute. Nirgends war eine Fähre, denn überall starrten sie die jähen Felsen an, und die Ruderknechte hatten eine harte Arbeit, das Schiff von den Bergwänden abzuhalten, an denen die Wogen donnernd aufsprangen und zerschellten. Und auf einmal packte der Sturmwind den tanzenden Nauen und zwang ihn durch den kochenden See gegen die vorspringenden Riffe des Axenberges.

      Jetzt glaubten alle im Schiff ihr Sterbestündlein nahe. Sie hörten schon das Sterbeglöcklein auf dem Seelisberg läuten, das nur erschallte, wenn ein Schiff dem Untergang verfallen schien. In dieser höchsten Not baten die Waffenknechte den Landvogt, er möchte doch den Tell ans Steuerruder lassen, da er ein so starker Mann und im Rudern gar wohl bewandert sei. Der Landvogt, den die Todesangst übernommen hatte, erlaubte es mit stummem Nicken. Rasch band man den Schützen los, und da stand er schon am Steuerruder. Mit riesenstarker Faust zwang er das schwere, auf und ab springende Schiff um den Axenberg und brachte es so aus dem gefährlichsten Wogengang. Langsam, aber sicher lenkte er den immer noch wie ein gepeitschtes Roß steigenden Nauen der Felsplatte zu, die am Axen aus einem schmalen Gelände vorspringt.

      Als er mit dem Schiff daran fast anstieß, packte er plötzlich seine Armbrust und sprang auf die Felsplatte, das Schiff im Abspringen mit einem gewaltigen Fußtritt in die zischende Flut zurückstoßend. Dann verschwand er im Bergwald. – Lange Zeit wurde das Herrenschiff noch im empörten See herumgetrieben, und oft genug war es nahe am Versinken. Nur mit unsäglicher Mühe und Not brachten es die Ruderknechte bei Brunnen zum Landen, von wo aus dann Geßler nach seiner Burg Küßnacht reiten wollte.

      Tell aber eilte über Sisikon und die Alpenweiden bei Morschach nach Arth und von dort gegen Küßnacht.

      Gegen Abend ritt der Landvogt Geßler racheschnaubend von Immensee her gegen seine Burg zu Küßnacht. Als er mit seinen Leuten durch die Hohle Gasse kam, die von hohem Gebüsch und gewaltigen Eichen überwölbt und beschattet war, warf sich ein armes Weib namens Armgard mit ihren Kindern vor sein Pferd und schrie, sie gehe nicht von der Stelle, bis der Landvogt ihren gefangenen Mann aus dem finsteren Burgverlies hinauslasse. Aber der herzlose Vogt ergrimmte und machte Miene, über das arme Weib und ihre Kinder hinwegzureiten.

      Da schwirrte auf einmal ein Pfeil aus dem Busch und fuhr dem Landvogt mitten ins Herz. Schreckensbleich zuckte er zusammen, sank zurück und schrie auf: »Das ist Tells Geschoß!« Da zeigte sich der Schütze Tell auf einen Augenblick und rief: »Du kennst den Schützen, suche keinen andern!« Dann verschwand er im Gehölz. Der Landvogt Geßler aber starb in den Armen des Bettlerweibes, das ihn umsonst angefleht hatte.

      Das ist die Geschichte des berühmten Schützen Tell, und heute noch kann man sie abgemalt sehen in der offenen Kapelle auf der Tellsplatte, die der grüne Bergsee umbrandet.

      Als die Landvögte der drei Länder Uri, Schwyz und Unterwalden den Tod Geßlers durch den Schützen Tell vernahmen, erschraken sie. Es wurde ihnen unheimlich in dem Lande, dessen Volk sie so lange auf jede Weise erniedrigt, geplündert und geknechtet hatten. Vergeblich suchten sie Wilhelm Tell überall; er war nicht aufzufinden. Statt nun gerechter zu herrschen, glaubten sie die unbotmäßigen Hirten erst recht mit unerbittlicher Strenge niederzwingen zu müssen. Also trieben sie’s ärger als zuvor.

      Doch ihre Zeit war gekommen. Am Morgen des Neujahrstages 1308 erhoben sich auf einmal die Talleute von Schwyz und zogen mit ihrem blutroten Fähnlein unter Werner Stauffacher und den Führern des Volkes über den kleinen See von Lowerz [Lauerz] auf die Felseninsel Schwanau los, denn der See war fest zugefroren.

      Der Untervogt von Schwanau, ein Vetter des von Tell erschossenen Landvogtes Geßler, versuchte vergeblich, die Stürme der wütend anrennenden Schwyzer abzuschlagen. Die Burg wurde erstiegen, und dann ergriffen die eindringenden Hirten den Untervogt, der so lange das Land bedrückt und die Leute in seinen tiefen Schloßkerkern hatte verhungern lassen, und stürzten ihn zum gleichen Fenster hinaus in den See, durch das sich einst die geraubte Gemma von Arth gestürzt hatte. Das Eis brach unter seiner Last, und nie mehr tauchte er aus der grünen Flut auf. Aber noch lange danach sah man ihn als ein Gespenst rings um die Burgmauer laufen, verfolgt von einer weißgekleideten Jungfrau, die eine brennende Fackel trug.

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