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in der Nähe von irgendetwas Wichtigem, oder? Ich bin verblüfft, dass überhaupt jemand diesen Ort findet. Ich sollte gar nicht hier sein. Es gab ein Problem mit dem Zug, der mich nach Hause bringen sollte. Ich bin aus London.«

      »London.« Sie ließ sich den Klang auf der Zunge zergehen und genoss es sichtlich.

      »Die aufregendste Stadt der Welt. Ich arbeite dort, wissen Sie. Ich habe eine Wohnung in der Park Lane, aber meine Familie kommt aus Herefordshire. Kennen Sie Herefordshire?«

      Isabella senkte schüchtern ihre herrlichen Augen. »Ich habe Chelmsk noch nie verlassen.«

      »Was, Sie waren noch nie irgendwo anders?«

      »Nein.«

      Nicholas trat einen Schritt auf sie zu. »Isabella, wissen Sie, wohin es ein hübsches Mädchen bringen kann?«

      »Nein, wohin?«

      »Überall hin, wohin es möchte.«

      Ihre blauen Augen vergrößerten sich. Er beobachtete amüsiert, wie sie aus Verlegenheit rot wurde und aus dem Zimmer flüchtete.

      »Und du bist so verdammt hübsch«, vertraute er dem Rücken ihrer sich entfernenden Gestalt an.

      Die Verabredung

      Noch lange, nachdem Isabella das Zimmer verlassen hatte, konnte Nicholas ihren Duft riechen, der ihn an wild wuchernde Sommerfelder und den weiten blauen Himmel erinnerte. Natürlich war da die Andersartigkeit des Mädchens vom Lande – die Frauen in London waren schlau und setzten ihre Reize geschickt ein, aber sie waren auch zu sehr geschminkt und schon verbraucht. Und in der letzten Zeit hatte er den Eindruck gehabt, dass der Nachwuchs schon gepflückt wurde, bevor seine Knospen aufblühen konnten, weggeschnappt von alten Lüstlingen, als ob sie sich Ansteckblumen für Premierenabende beschafften.

      Er stieg die schmale Treppe hinab und stand im Dunkeln, um sie zu beobachten, während sie den Gästen der Schenke die Getränke an die Tische brachte. Die Männer grapschten nach ihrem Hintern und ihren Brüsten, wenn sie vorbeiging. Nicholas wusste, wie wichtig es war, dass er sich nicht in die Karten schauen ließ, aber als sie zum Schanktisch zurückkehrte, griff er unwillkürlich nach ihrem Arm.

      »Warum erlauben Sie den Männern das?«

      Sie sah überrascht aus, als ob sie noch nie darüber nachgedacht hätte. »Ich habe keine Wahl. Eine Frau bedeutet hier nichts.«

      »Können Sie nicht von hier verschwinden?«

      »Das ist unmöglich.« Sie blickte verzweifelt zurück zu den schwankenden und grölenden Einheimischen.

      »Isabella, der Krieg wird diese Stadt vernichten.«

      »Ich weiß nichts vom Krieg.«

      »Sie werden ihn bald genug kennenlernen. Wann haben Sie Feierabend?«

      »Ich habe niemals Feierabend. Vater schließt nie, bevor nicht der letzte Mann nach Hause zu seiner Frau gegangen ist. Und die meisten von ihnen würden niemals heimgehen, wenn es diese Möglichkeit gäbe.«

      Nicholas blickte die Einheimischen an, die an ihren Tischen herumlümmelten, und stellte sich ihre Gespräche vor, die vermutlich selten über Diskussionen von Kompost und den Vergleich von landwirtschaftlichen Gerätschaften hinausgingen. »Dann treffen Sie sich mit mir«, schlug er vor.

      Isabella warf einen weiteren Blick auf die hartgesottenen Trinker in der Gaststube. Einer stampfte gerade den getrockneten Schlamm von seinen Stiefeln, um damit die Katze zu bewerfen.

      »Isabella, Sie haben nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Welches ist das beste Restaurant in der Stadt?«

      »Es gibt nur eines. Es heißt Zum Schwein

      »Zum Schwein. Gut, dann treffen wir uns dort.«

      Sie wandte sich wieder dem Tresen zu, ihre Gedanken waren in Aufruhr. »Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis ich kommen kann.«

      »Das ist egal. Ich werde warten.«

      Auf dem Weg zum Restaurant ging Nicholas durch die verlassenen Straßen. Die Sonne war unvermittelt untergegangen, ohne den Himmel einzufärben, und von den Blechlaternen, die über der Straße hingen, fielen Kegel kalten Lichts herab. Unterwegs begegnete er einer unglaublich runzeligen alten Frau, die ein widerspenstiges, quiekendes Schwein trug. Ein betrunkener Bauer wurde aus einem Hauseingang geschleudert und fiel vor ihm in die Gosse, wo er sich heftig und ausgiebig übergab. Nicholas’ Unmut wuchs. Isabella verdient ein besseres Leben als das hier, dachte er wütend. Sie gehört an meine Seite in London. Wie gut wir zusammen aussehen würden, wenn wir das Café Royal betreten.

      Er stand vor den Fenstern des Restaurants. Es war leer, mit Ausnahme eines dösenden Kellners, der braune Suppenflecken auf seiner Weste hatte und über der Theke zusammengesackt war.

      Auf jedem der unbedeckten Holztische befand sich ein Arrangement aus getrocknetem Weizen, das um einen einzelnen, von Fliegeneiern und Maden befallenen Schweinefuß angeordnet war. Der Gedanke, hier zu speisen, ekelte ihn an. Er atmete tief durch und trat ein.

      Es dauerte eine Minute, bis der Kellner sich aufraffen konnte. Vom unerwarteten Erscheinen eines Gastes überrascht, wischte er den Tisch ab und legte eine schmutzige, in Leder gebundene Speisekarte vor Nicholas. Es gab keine anderen Gäste im Restaurant. Nicholas studierte die Speisen mit Widerwillen und deutete auf ein unaussprechliches Gericht.

      »Was ist das?«

      »Das ist Schwein«, antwortete der Kellner.

      »Und das hier?«

      »Das ist auch Schwein.«

      Seufzend starrte Nicholas aus dem Fenster und sah nach seiner Uhr.

      ***

      »Was wollte er?«, fragte der Wirt.

      »Ich hab’s dir gesagt, Vater. Er ist ein englischer Herr.«

      »So etwas gibt es nicht. Ich kenne diese Herren. Sie bringen nur Probleme.«

      »Er war nur höflich.«

      »Höflich!« Isabellas Vater warf ihr einen angewiderten Blick zu. Er berührte sanft den Arm seiner Tochter, aber sie wich zurück. »Ich will nur das Beste für dich. Sei glücklich mit dem, was du hast. Bitte, kümmere dich um deinen zukünftigen Ehemann.«

      Isabella blickte zu Josef hinüber, der mit seinen Kumpanen am Kamin saß, und zögerte. Sie liebte ihren Vater und bemühte sich, ihm zu gehorchen, aber manchmal kam ihr das Leben erdrückend und vorhersehbar vor.

      Josef war ein gut aussehender Mann aus einer anständigen Arbeiterfamilie. Er war nicht gebildet, neigte aber von seiner Natur her zur Gutmütigkeit. Es war vor längerer Zeit beschlossen worden, dass sie in der Peterskirche heiraten würden. Zweifellos würde sie das Erste seiner Kinder im nächsten Frühjahr zur Welt bringen. Es würden vier werden, meinte der Pfarrer: drei starke Jungs und ein Mädchen, um den Haushalt zu führen. Dieses Schema, vorhersehbar wie die vier Jahreszeiten, war eine Quelle der Freude im Leben der anderen Stadtbewohnerinnen, aber auch die Wurzel von Isabellas eigener Unzufriedenheit.

      Nachdem sie ein Tablett mit Bier für Josef und seine ungehobelten Freunde – Ivan und Karek – gefüllt hatte, stellte sie die Krüge vor den Mann, den sie heiraten sollte. Sie konnte sehen, dass Ivan wieder versuchte, ihn betrunken zu machen. Eifersüchtig auf Josefs Erfolg bei ihr, versuchte er andauernd, seinen Freund in ein schlechtes Licht zu rücken.

      »Die Koalitionsarmee wird den Bahnhof zerstören«, sagte Josef mürrisch.

      »Unsere Kameraden kämpfen an ihrer Seite«, erinnerte Ivan ihn. »Wir bleiben als ihre Verbündeten oder rennen als ihre Feinde davon.«

      »Ich kann Isabella nicht hier zurücklassen, Ivan. Schau sie dir an. Sie würden sie nicht am Leben lassen.«

      »Oh ja, du hast dir einen kleinen Hitzkopf angelacht«, sagte

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