ТОП просматриваемых книг сайта:
DER HÖLLENEXPRESS. Christopher Fowler
Читать онлайн.Название DER HÖLLENEXPRESS
Год выпуска 0
isbn 9783958350274
Автор произведения Christopher Fowler
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der ramponierte grüne Zug hatte schon bessere Tage gesehen, aber es war immer noch die zuverlässigste Möglichkeit, durch das Land zu reisen. Auf vielen Straßen waren mit der Hilfe von Stacheldraht und Steinen Blockaden errichtet worden. Die Armee versuchte die Wege für Zivilisten im Inneren des Landes zu beschränken.
Der Zug kam mit einem Kreischen der Bremsen und quietschenden Kolben zum Stehen. Es gab so viel Rauch und Dampf und verspritztes Öl, dass er dachte, der Zug sei einfach eingefahren und zusammengebrochen und würde niemals mehr Fahrt aufnehmen. Und doch hatte er es gerade noch geschafft, mit seinem Koffer auszusteigen, bevor der Zug seine Kräfte sammelte und die Flucht antrat, indem er langsam schnaufend den Bahnhof hinter sich ließ.
Nicholas stellte seinen Lederkoffer ab und blickte sich um. Er hätte niemals die Grenze zu den Karpaten überqueren sollen, vor allem nicht jetzt, zu dieser Zeit. August 1916, die schwache Neutralität neigte sich dem Ende entgegen, die Mittelmächte standen kurz vor der Invasion. Selbst ein Geschäftsmann von internationalem Ansehen wäre unter diesen Umständen nicht sicher gewesen. Und er war weit davon entfernt, ein solcher zu sein.
Nicholas betrachtete sich selbst am liebsten als Abenteurer. Das hatte einen schillernden, wenngleich nicht unbedingt seriösen Klang und schien angemessen zu sein. Obwohl er ein Londoner war, hatte er sich immer wieder ins Ausland begeben und Geld durch Glücksspiel, Spekulationen und gelegentlichen Diebstahl angehäuft. Er wusste, dass er sich auf dem falschen Weg befand, aber es war nicht an ihm gewesen, die Wahl zu treffen. Er war auf der Flucht vor Gläubigern, vor Mädchen und vor anderen Dingen …
Als sich der Rauch verflüchtigt hatte, hörte er nichts als Grillen und Lerchen und sah niemanden mit Ausnahme eines ältlichen Mannes in einer fleckigen Uniform, der gerade seine grüne Flagge wegpackte. Außer Nicholas waren keine weiteren Passagiere ausgestiegen. Niemand war dumm genug gewesen.
Er glättete seinen schmalen braunen Schnurrbart und blickte sich um: Gestrüpp, hohe belaubte Buchen und unbestimmbare Büsche, an denen kärgliche gelbe Beeren hingen. Eine von Bäumen gesäumte Straße führte vom Bahnhof weg, eine unbefestigte Straße, kein Makadam. Eine Stadt mit grauen Mauern – womöglich von ihren Bewohnern aufgegeben – lag in der Ferne. Felder und noch mehr Felder. Das Geraschel der Weizengarben. Ein einsamer Hund bellte. Keine menschlichen Geräusche.
Er blickte auf seine silberne Taschenuhr und bemerkte, dass es nur noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergang war. Wenn der verdammte Anschlusszug in Sofia pünktlich abgefahren wäre, hätte er vielleicht den richtigen Zug erwischt oder er wäre zumindest rechtzeitig zum Mittagessen irgendwo angekommen. Er fragte sich, was wohl der Bahnhofsvorsteher von ihm denken mochte: ein schneidiger englischer Gentleman, achtundzwanzig, so robust und stattlich wie eines der neuen Automobile, die man nun in der Park Lane sehen konnte, in einer schwarzen Brokatweste, einem silbergrauen Anzug und einem Filzhut, viel zu elegant gekleidet für diese Einöde. Nicholas gehörte nach London, natürlich, und verhielt sich auch dementsprechend, aber er genoss es, auf die Damen Osteuropas einen guten Eindruck zu machen. Perfektion machte sie empfänglich und ermöglichte den Zugriff auf die Geldbeutel ihrer Ehemänner.
Er wartete, bis der Bahnhofsvorsteher bei ihm ankam, und stupste ihn unverschämt mit seinem Rattanstock an.
»He, Sie da. Haben Sie hier das Sagen?«
Alles, was ihm das einbrachte, war ein ausdrucksloser Blick.
»Ah.« Er schlug erneut seinen Reiseführer auf und sagte laut: »De tren mi-a laut pentru a gresit locul.«
Der alte Bahnhofsvorsteher verzog das Gesicht wie ein Wasserspeier. »Wir sprechen Englisch in unserer Stadt«, verkündete er.
»Wo bin ich?«
»Sie sind in Chelmsk.« Der Name klang wie das Ausspucken eines Klumpens Schleim.
»Nun, Ihr Zug scheint mich am falschen Halt abgesetzt zu haben.«
»Das geht mich nichts an.«
»Es gibt hier eine Stadt, oder? Ich gehe davon aus, dass hier Kutschen warten.«
»Sie können hier von gar nichts ausgehen.«
»Wo sind die Gepäckträger?«
Der Vorsteher blickte ihn herablassend an. »Wir haben keine Gepäckträger. Hier trägt jeder sein eigenes Hab und Gut.«
Nicholas wurde ungehalten. »Aber ich bin Engländer! So etwas mache ich nicht.«
»Wie Sie wünschen.« Der Vorsteher wandte sich ab, um zu gehen.
»Ah, ja. Die berühmte europäische Gastfreundlichkeit. Hören Sie, guter Mann, sagen Sie mir einfach nur, wann der letzte Zug zurück geht.«
»Heute fährt kein Zug mehr. Und ich bin nicht Ihr guter Mann.«
»Aber ich bin mir sicher, dass ich gehört habe, wie andere Passagiere von einem Zug sprachen, der um Mitternacht fährt.«
»Einen solchen Zug gibt es nicht. Verstehen Sie? Es gibt keinen.« Der Bahnhofsvorsteher spuckte knapp neben Nicholas’ Stiefel und marschierte davon.
»Merkwürdige Gestalt.« Nicholas seufzte und hob seinen Koffer. Das war wirklich überaus unangenehm.
Es gab keine wartenden Kutschen, nicht einmal ein bäuerliches Fuhrwerk. Es gab keine andere Möglichkeit. Er musste seinen eigenen Koffer tragen und sich auf der staubigen Straße auf den Weg machen, während die Nachmittagssonne in den Spalt zwischen seinem Kragen und seinem von Brillantine glänzendem Haar brannte. Den Hut abnehmend, hielt er vor einem großen Holzschild an, auf dem absolut unverständliche Worte geschrieben standen. Er versuchte sie in seinem Reiseführer nachzuschlagen, sah sich aber schließlich gezwungen, die richtige Richtung zu raten.
»Lächerliche Bauernsprache«, murmelte er, während er Ziegenkot von seinem Stiefel entfernte.
Nach ein paar Minuten erreichte er eine Kreuzung. Wie um alles in der Welt sollte er wissen, wo sich die nächste Stadt befand? Wohin waren die grauen Mauern verschwunden? Er wusste, dass er sich die Richtung auf dem Bahnhof hätte merken sollen.
Als er eine Fahrradklingel hörte, trat er gewandt zur Seite und wurde von einer jungen Frau überholt, die ein rotes Dirndlmieder mit einem weißen Bauernrock trug. Der Rock war hochgesteckt, damit er nicht in die Speichen geriet, und ließ ihre wohlgeformten, gebräunten Beine sichtbar werden.
»He, Sie. Passen Sie auf!«, rief er und sie drehte sich überrascht zu ihm um.
Sie war überwältigend hübsch, mit großen blauen Augen und Haar, das wie Getreidegarben hinter ihrem Nacken hervorströmte – aber es war bereits zu spät sie anzuhalten, und einen Moment später war sie verschwunden.
Er benötigte eine weitere halbe Stunde, bis er die Mauern der Stadt erreichte. Aus der Nähe waren sie viel höher und abweisender, als er erwartet hatte. Nachdem er durch eines der großen Holztore geschritten war, befand er sich auf einer verlassenen Straße mit mächtigen hässlichen Kirchen, die praktisch keine Fenster hatten und in denen man beim Beten vermutlich immer am Erfrieren war. Ein Rudel räudiger, streunender Hunde fing an zu bellen. Einer von ihnen humpelte hinter Nicholas’ Rücken und sah aus, als ob er nach seinem Bein schnappen wollte.
Irgendwo zu seiner Linken läutete eine traurige Kirchturmglocke, als ob sie die Menschen abschrecken wollte. Er blickte auf die hohen grauen Steinmauern, die gepflasterten Straßen, die breit und leer waren, und die schmucklosen Häuser mit ihren geschlossenen grünen Fensterläden.
Der Anblick hatte etwas so trostlos Zweckmäßiges und Militärisches, dass er fast erwartete, russische Soldaten um die nächste Ecke kommen zu sehen. Irgendwo über ihm, im Glockenstuhl eines düsteren Turms, war das lederartige Flattern von Fledermausflügeln zu hören. Er blickte nach oben und sah eine Wolke von Fledermäusen, die den Himmel ausfüllte. Sie stürzten herab