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von Belgravia und Mayfair, an den Spieltischen, in den Pubs, und nicht hier, wo es nur durch Inzucht erzeugte Bauern und ihre schweinsgesichtigen Gattinnen gab. Wo waren sie alle?

      Als er die Ecke erreichte, schwankten zwei betrunkene alte Männer an ihm vorbei.

      »Hören Sie«, rief Nicholas. »Gibt es hier ein Hotel? Ich brauche ein Zimmer für die Nacht. Ich bin aus London. Kennen Sie London?« Ihm wurden noch mehr ausdruckslose Blicke zuteil. »Die wichtigste Stadt der Welt? Das funkelnde Juwel des britischen Weltreiches? Schon mal gehört? Na?«

      »Hier ist es nicht sicher«, sagte einer der alten Männer. »Es herrscht Ausgangssperre. Haben Sie die Neuigkeiten nicht gehört? Die Armee hat bereits die nächste Stadt erreicht.«

      »Wann wird sie hier ankommen?«

      »Heute, nach Einbruch der Dunkelheit. Sie müssen verschwinden. Verschwinde!« Einer der Betrunkenen versuchte ihn zu verscheuchen. »Wir wollen nicht noch mehr Schwierigkeiten.«

      »Gibt es einen Zug, den ich nehmen kann?«

      In der Ferne war das Geräusch einer Zugpfeife zu hören. Verdammter Bahnhofsvorsteher mit seinen Lügen.

      »Das war er«, bemerkte einer der Betrunkenen wenig hilfreich. »Es gibt keinen weiteren mehr.«

      »Aber es kommt einer um Mitternacht. Ich habe gehört …«

      »Nehmen Sie den ruhig, wenn Sie nach der Pfeife des Teufels tanzen wollen.« Die bierseligen alten Männer nutzten die Gelegenheit, ihn ein letztes Mal anzustarren, bevor sie in verschleimtes Gelächter ausbrachen und davonschwankten.

      »Schwachsinnige Bauerntölpel«, murmelte Nicholas leise vor sich hin und ging weiter. Vor ihm befand sich irgendeine Art von stinkender Fabrik, aus der der Geruch von geschmolzenem Erz und das Getöse von gehämmertem Eisen drangen.

      Die Gießerei bestand aus gewaltigen kahlen Steinmauern, auf denen sich oben ein steiles Ziegeldach befand, und hohen Schornsteinen, die öligen schwarzen Rauch in den Himmel pumpten. Als er vorbeiging, konnte er durch die großen verrosteten Eisentüren hineinblicken und die Vision einer Hölle sehen. Männer, aufgrund der Hitze mit nacktem Oberkörper, zeichneten sich als Silhouetten vor den Flammen des Schmelzofens ab. Sie schaufelten Kohle und zogen glühende Stäbe aus dem Feuerwall, der so aussah und sich so anfühlte wie die Oberfläche der Sonne. Was für ein Leben führten diese Männer? Wie lange dauerte es, bis sie schwarzen Ruß husteten und dahinsiechten? Es wäre ein Wunder, wenn einer von ihnen älter als dreißig Jahre werden würde.

      Nicholas schätzte sich selbst als überaus weise für sein Alter ein. Er verstand, wie sich Männer verhielten und wie man Frauen kontrollieren konnte. Doch obwohl er so weise war, schien er sehr oft Fehler zu begehen, die ihn zwangen, so schnell wie möglich aus einer Stadt zu verschwinden.

      Er ging weiter. Ein Soldat in einer kakifarbenen Uniform stand an eine Wand gelehnt und zündete sich eine Zigarette an. »He, Kumpel«, rief er Nicholas an. »Hast du gesehen, ob sie über den Hügel kommen?«

      »Nein, aber ich habe gehört, dass sie nicht mehr weit weg sind.«

      »Gut. Dann werden wir heute Nacht in dieser Stadt unseren Spaß haben.«

      »Wird man euch hier einquartieren?«

      »Könnte man sagen.« Er schüttelte sein Streichholz, bis es erlosch. »Wir werden trinken, bis die Stadt ausgetrocknet ist. An Orten wie diesem gibt es gutes Bier.«

      »Vielleicht werde ich mich euch anschließen«, sagte Nicholas.

      »Das überlegst du dir besser noch mal. Nachdem wir unseren Durst an Bier und Frauen gestillt haben, spießen wir jeden Mann auf, der nicht zu uns gehört, und brennen diese verdammten Häuser nieder.« Er nahm einen Zug an seiner Zigarette. »Wenn du das nächste Mal hier vorbeikommst, wirst du nur einen schwarzen Haufen Schutt vorfinden.«

      Nicholas beeilte sich, weiterzugehen.

      Schließlich wurde die Straße zu einem mit viel Grün umgebenen Weg und es schien, als ob er die letzten Häuser erreicht hatte. Schließlich fand er sich vor einem malerischen Gasthof mit Brunnen und gepflastertem Hof wieder.

      Nicholas blickte nach oben auf das Wirtshausschild, auf dem eine feurige, blutrote Dampflokomotive abgebildet war, aus deren Kessel Teufelshörner wuchsen. Sie fuhr über den in Stücke geschnittenen Körper einer nackten Frau, die auf die Gleise gebunden war. Mithilfe des Wörterbuchs in seinem Reiseführer konnte er feststellen, dass sich der Name des Gasthofs wohl am besten als »Die gepeinigte Jungfrau« übersetzen ließ, obwohl der genaue Wortlaut vermutlich auf etwas viel Schlimmeres hinauslief.

      Entzückend, dachte er. Es schien kein anderes geöffnetes Lokal zu geben, weshalb er sich durch die niedrige Vorhalle hineinbegab. In der Türöffnung hielt er an und musterte die betriebsame Schenke. Mit deprimierender Vorhersehbarkeit unterbrachen die Einheimischen – ausschließlich Männer – ihr Gebrabbel und wandten sich ihm zu. Ein paar von ihnen kicherten aufgrund seines Aufzugs. Jemand furzte unverschämt. Dazu entschlossen, unverdrossen zu bleiben, ging er zum Schanktisch.

      »Guten Abend, Herr Wirt. Einen Gin mit italienischem Wermut, bitte. Mit viel Eis.«

      Der Wirt hatte eine Säufernase. Er war fett wie ein Bauer, mit wild wuchernden Koteletten und einem Gesicht wie eine Bulldogge, die Brennnesseln kaut. Ohne sich die Mühe einer Antwort zu machen, zapfte er ein trübes, schaumiges Glas Bier und stellte den überschwappenden Zinnkrug vor Nicholas. Aus Höflichkeit nahm Nicholas einen Schluck. Es schmeckte, als ob ein tollwütiger Hund hineingefurzt hätte. Er stellte den Krug schnell wieder ab.

      »Ich suche ein Zimmer für die Nacht. Ein sauberes, wenn Sie so etwas haben.«

      Der Wirt war offenkundig missmutig, aber sein natürlicher Geiz hielt ihn davon ab, einen Gast abzuweisen, selbst wenn der aus der Zivilisation kam. »Engländer, Sie sind kein Freund von uns. Sie können hier nicht lange bleiben.«

      »Ich habe Sie nicht darum gebeten, mich zu verstecken, Ich schäme mich nicht, Engländer zu sein.«

      Ohne seinen Blick von Nicholas abzuwenden, rief der Wirt über seine Schulter. »Isabella!«

      Die Wirtstochter – zum Glück gab es nur eine leichte Ähnlichkeit in den Augen – erschien in der Türöffnung hinter dem Schanktisch. Nicholas fand sich der strammbeinigen Schönheit auf dem Fahrrad gegenüber. Zu jung, zu keck und viel zu unschuldig, aber was für eine Herausforderung! Vielleicht, dachte er, würde sie sich als netter Zeitvertreib für einen feinen Herrn aus der Stadt entpuppen, der etwas Aufmunterung auf einer ansonsten grauenhaften Reise bedurfte.

      »Ja, Vater?« Sie blickte kurz auf ihn, lächelte aber nicht. Sie sah aus, als ob sie fast nie Grund zum Lächeln hätte, und doch waren ihre Augen so voller Hoffnung wie Sonnenaufgänge.

      »Wo hast du dich rumgetrieben? Zeig diesem Herrn ein Zimmer.« Er wandte sich wieder Nicholas zu. »Wenn die Soldaten nach Ihnen fragen, werde ich ihnen sagen, wo Sie sind.«

      Nachdem sie die Platte des Tresens mit ihrem kräftigen, sonnengebräunten Arm angehoben hatte, trat Isabella einen Schritt zurück. »Folgen Sie mir, bitte.«

      Das Zimmer war spärlich möbliert, aber sauber genug. An den Wänden hingen unscharfe Fotografien stämmiger Männer, die vor Lokschuppen posierten; neben einer Vase mit frischen Gardenien befanden sich ein weißer Porzellankrug und eine Wasserschüssel. Nicholas warf seinen Koffer auf das Bett und prüfte die Matratze, nur um feststellen zu müssen, dass sie mit Stroh gefüllt war und ihm vermutlich die schlimmste Nacht seines Lebens bescheren würde.

      »Bitte entschuldigen Sie das Zimmer«, sagte Isabella in perfektem Englisch.

      »Sie sprechen meine Sprache ganz wunderbar.«

      »Unser Lehrer war aus England.«

      »Ausgezeichnet. Ich hoffe, er unterrichtet Sie noch weiter.«

      »Nein, er wurde erschossen.«

      »Wir sind nicht alle schlecht, wissen Sie. Ich bin Nicholas.«

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