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des Landarbeiters mit einem heftigen Knacken.

      Josef sah aus, als ob er gerade erst bemerkt hätte, dass von ihm erwartet wurde, um seine Verlobte zu kämpfen. Körperlich imposant, aber durch seine Masse behindert, näherte er sich langsam dem Engländer. Nicholas nahm seinen festen Gang, seine dicken Arme und seinen Stiernacken mit Verdruss zur Kenntnis. Er wusste, dass ihn ein einziger gut platzierter Schlag des Gießereiarbeiters außer Gefecht setzen konnte. Verzweifelt blickte er sich nach etwas um, das ihm als Waffe dienen konnte.

      Zu spät. Josef attackierte ihn. Nicholas hatte in Cambridge die hohe Kunst des Boxens gelernt, schreckte aber auch vor schmutzigen Tricks nicht zurück. So fest er konnte, stieß er Josef mit dem Knie zwischen die Beine, wodurch dieser auf dem Rücken landete. Isabella schrie. Josef streckte eine Hand aus, um nach seinem Gegner zu greifen. Nicholas konnte zwar ausweichen, rutschte jedoch auf dem nassen Gras aus.

      Josef ergriff die Gelegenheit und drückte Nicholas auf eine überwucherte Grabplatte, an deren Rand sich große eiserne Schienennägel befanden. Er presste seinen Arm gegen den Hals des Engländers und begann ihm die Kehle zuzuschnüren, indem er sein gesamtes Gewicht auf den Arm legte. Nicholas konnte die eigenen Arme befreien, was ihm jedoch nichts half. Er wollte nach Isabella blicken, konnte sie aber nur schreien hören. Josef nutzte seinen Vorteil und drückte noch fester zu.

      Vor Nicholas’ brennenden Augen begannen Lichter zu tanzen. Mit der rechten Hand griff er nach dem eisernen Ecknagel des Grabs, um sich abzustützen. Zu seiner Überraschung löste sich der durchgerostete Schienennagel.

      Während Josef zudrückte, um Nicholas das Genick zu brechen, stach dieser mit der scharfen Spitze des Nagels in das weiche Fleisch am Hals seines Angreifers. Der Schmerz war stark genug, Josef dazu zu bewegen, den Druck zu mindern. Isabella näherte sich, um sie voneinander zu trennen, und brachte dabei Ivan mit sich. Josef rollte auf den Rücken und Nicholas konnte sich hochrappeln. Er sah, dass Ivan auf ihn zustürmte, packte ihn am Ärmel und schleuderte ihn herum. Dabei trat er gegen sein Bein, sodass Ivan kopfüber zu Boden stürzte. Die Gießereiarbeiter waren stark, aber langsam.

      Nicholas griff nach der schluchzenden Isabella und zog sie mit sich, während er sich gleichzeitig ihre Reisetasche schnappte. Im Laufe des Kampfes hatte er seinen eigenen Koffer verloren, aber glücklicherweise befand sich in seiner Brusttasche das Bündel Geldscheine.

      Der Tumult hatte die Aufmerksamkeit der einmarschierenden Soldaten erregt, die nun Alarm schlugen. Weitere Fackeln waren in den Straßen der Stadt zu sehen, wo ihr Flackern Schatten auf den Mauern zu Monstern machte. Ihre Verfolger schienen sich zu einem einzigen Lynchmob zu vereinen.

      Nicholas und Isabella blieb nur die Möglichkeit, so schnell wie möglich vom Friedhof zum Bahnhof zu fliehen, während die feuerrote Prozession den Abstand zu ihnen verringerte. Nun kam ihnen das Glück zu Hilfe, denn eine Baumreihe hielt das entlarvende Mondlicht ab, sodass sie von den Soldaten, die zwischen den Grabsteinen herumirrten und sich gegenseitig in trunkener Verwirrung zuriefen, nicht gesehen wurden.

      Als das erschöpfte Paar am Glockenturm der Friedhofskirche vorbeikam, sah Isabella, dass die beiden Zeiger der Uhr fast auf Mitternacht standen. Vor ihnen konnte sie den niedrigen schwarzen Umriss des Bahnhofsgebäudes erkennen.

      »Hier entlang«, rief sie und zog an Nicholas’ Ärmel. »Wir müssen schneller laufen.«

      Nicholas hatte Seitenstechen. Der Kirchturm fing an, zwölf zu schlagen; der scharfe Klang der Glocke zerschnitt die klare Nachtluft. Sie mussten noch ein schlammiges Feld überqueren, während das Fackeln tragende Gesindel in ihrem Nacken immer näher kam.

      Sie erreichten den im Dunst liegenden Bahnhof und eilten die Rampe zum Bahnsteig hoch. Die eingleisige Bahnstrecke war leer. Zwei Gestalten befanden sich am Ende des Bahnsteigs, aber es war zu dunkel, um sie genauer erkennen zu können. Sie hatten ebenfalls Gepäck bei sich, und einer von ihnen schien einen Strohhut zu tragen, etwas, das nur ein Engländer tun würde.

      Die Einheimischen hatten sich nun mit den Soldaten vereint und gemeinsam rannten sie mit chaotischem Geschrei den Pfad entlang zum Bahnhof.

      Thomas und Miranda drehten sich um, erstaunt über den Lärm der Verfolgung. Genau wie der einfältige Junge prophezeit hatte, fingen die Gleise an zu summen, dann zu rattern. Miranda spürte, wie der Bahnsteig unter ihren Stiefeln erzitterte, und wurde plötzlich von einer schrecklichen Vorahnung erfasst. Sie beugte sich vor, um zu sehen, ob etwas herannahte, aber sie konnte nur eine schwarze Woge aus funkelndem Kohlenstaub ausmachen, die sich im Einschnitt zwischen den Kiefern gebildet hatte. Die Asche glitzerte wie Sternschnuppen, die auf die Erde fielen.

      Dann sah sie zwei Lampen wie die Augen eines Tigers, die eine zinnrot, die andere bernsteinfarben. Sie schwankten leicht und wurden größer. Der große Schornstein des Kessels war dunkler als der Himmel und puff-puff-puffte mit großen Fahnen erstickenden Glühwürmchenrauchs auf sie zu, eine glänzende Scheibe aus grünem Stahl. Die Lokomotive, der Kohlewagen und die angehängten Waggons rasten auf sie zu, als der gewaltige Zug in den Bahnhof stürmte.

      Für den Bruchteil einer Sekunde sah die Vorderseite der Lokomotive aus wie eine Teufelsfratze, eine Illusion, die durch Schatten und Rauch verursacht wurde. Wie eine gewaltige, ausgestorbene Kreatur, die in mechanischer Form wiedergeboren worden war, kam die Lokomotive donnernd und schnaufend mit Ausstößen von beißender Asche und Sprühregen von Öl zu einem Halt.

      Isabella blickte in die Waggons und erstarrte, als sich ein ferner Dämon in ihrem Kopf zu regen begann. »Nein«, sagte sie kopfschüttelnd. »Nein, nur das nicht.« Sie wollte zurückweichen, aber Nicholas packte ihre Hand. Er sah selbst in die Waggons, die hell und schmucklos schienen und nichts Ungewöhnliches an sich hatten.

      Mittlerweile hatten ihre Verfolger die Rampe zum Bahnsteig erreicht. Die Soldaten unter ihnen hoben ihre Gewehre. Es galt, keine Sekunde zu verlieren. Nicholas riss die Tür zum ersten Waggon hinter dem Kohlewagen auf und wollte Isabella hineinschubsen. Sie versuchte Widerstand zu leisten, aber sie wusste auch, dass sie, wenn sie blieb, die Soldatenmeute nicht überleben würde. In diesem kurzen Augenblick musste sie eine Entscheidung treffen.

      Die Soldaten eröffneten das Feuer. Kugeln prallten gegen die Wände des Zuges. Miranda schrie. Die Entscheidung war gefällt.

      Einer der Einheimischen versuchte Nicholas zu packen, wurde jedoch von einer Kugel getroffen, die über seinem rechten Ohr ein Viertel seines Schädels abriss und dafür sorgte, dass er vom Bahnsteig auf die Gleise fiel. Sein Blut spritzte auf die Räder. Nicholas wurde starr vor Schreck; er war mit Blut und weißen Knochensplittern übersät.

      Es gab keine andere Wahl. Er zog Isabella die Stufen zum Waggon hoch. Nachdem der Zug zum Stehen gekommen war, hatte der Lokomotivführer den Tumult auf dem Bahnsteig bemerkt und bereitete sich nun darauf vor, so schnell wie möglich weiterzufahren.

      An der nächsten Waggontür bemühten sich Thomas und Miranda verzweifelt, all ihr Gepäck an Bord des Zuges zu bekommen. Thomas war entschlossen, nichts zurückzulassen. Für einen Augenblick schien es, als ob sie es nicht schaffen würden. Als der Zug die Bremsen löste und zu rollen anfing, riss Isabella die Tür weit auf und streckte den Arm aus, um sie hereinzuziehen. Ihre Hände fanden sich, von Nicholas und Isabella zu Miranda und Thomas. In diesem einen kurzen Moment hatte Isabella das Gefühl, dass ihre Schicksale miteinander verknüpft wurden.

      Thomas griff nach draußen und zog die Tür in genau dem Augenblick zu, als eine Kugel ihm den Strohhut vom Kopf fegte.

      Überrascht musste Nicholas feststellen, dass ihre Verfolger plötzlich zurückblieben und anfingen, untereinander und mit den Soldaten zu kämpfen. »Sie folgen uns nicht«, sagte er. »Warum sind sie nicht mehr hinter uns her?«

      Die vier neuen Passagiere drängten sich am Fenster und beobachteten, wie der Tumult zurückblieb, als der Zug aus dem Bahnhof ausfuhr. Der Bahnsteig wurde immer kleiner und sie überließen die Einwohner von Chelmsk der Anarchie der einmarschierenden Armee.

      Der Zugführer

      Ihre Reise hatte eine Bluttaufe erlebt. Kein guter Beginn.

      Thomas

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