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zu vermeiden, dass sie in Tränen ausbrach. Unter normalen Umständen würden sie sich jetzt gerade gegenseitig ankeifen, wie es englische Reisende auf der ganzen Welt taten; über das Gepäck streiten, darüber diskutieren, wer dafür verantwortlich war, dass sie so viel eingepackt hatten, warum sie nicht einen der Koffer bereits vorab losgeschickt hatten und so weiter, aber stattdessen wurden sie von anderen Fragen bedrängt. Warum war eine Gruppe von Einheimischen hinter ihnen hergerannt und warum waren sie fast ebenso plötzlich stehengeblieben? Und wohin war das andere Paar verschwunden? Der Mann, der aussah wie ein Engländer – wo war er jetzt? Sie blickten sich in dem Abteil mit seinen sechs Sitzplätzen um und mussten feststellen, dass sie allein waren.

      »Hast du mit ihnen gesprochen?«, fragte Miranda.

      »Nein, aber der Mann war definitiv einer von uns, da bin ich mir sicher. Und wenn das Mädchen nicht gewesen wäre, hätten wir niemals rechtzeitig zusteigen können. Wir sollten sie suchen gehen und ihr danken.«

      »Dieser furchtbare Krieg macht die Männer zu Tieren.« Miranda schauderte. »Was für ein schreckliches Erlebnis. Ich wage zu behaupten, dass wir ihnen wieder begegnen werden. Landsleute neigen dazu, sich zu treffen. Gib mir die Karte.«

      Thomas kramte in seiner Tennistasche und brachte ein zerknittertes Bündel eng bedruckten Papiers zum Vorschein. »Ich hab es mir vorhin schon angesehen, aber das letzte Feld scheint zu fehlen. Die Strecke hört am Rand einfach auf.«

      »Dann kommen wir auf unbekanntes Gebiet. Noch mehr Aufregung.«

      »Nicht zu viel, hoffe ich«, sagte Thomas.

      Miranda machte sich nicht die Mühe zu erklären, dass ihr Kommentar sarkastisch gemeint gewesen war.

      ***

      Isabella führte Nicholas den reichlich verzierten Gang entlang. Die untere Hälfte war mit abgeschliffenen Teakholzbrettern verkleidet, auf Hüfthöhe war ein schmales Messinggeländer angebracht. An den glänzend tiefgrünen Wänden darüber befanden sich anmontierte Messinglampen und gerahmte Landkarten. Es roch nach Pfeifenrauch, verstaubtem Stoff, Hobelspänen und Metallpolitur, aber es hing auch noch etwas anderes in der Luft – ein Hauch von Schwefel, wahrscheinlich von brennender Kohle. Sie kamen an einer silbernen Gedenktafel vorbei, auf der der Name des Zuges und ein Datum eingeprägt waren: Ärzengel – Jungfernfahrt August 1897.

      Sie fuhren nun schneller und rasten unter einem schwarzen Himmel, der mit kalt schimmernden Sternen wie Frostpunkten übersät war, durch die üppige grüne Landschaft.

      »Das Paar«, sagte Nicholas. »Offensichtlich Engländer. Vielleicht sollten wir herausfinden, was sie hier machen.«

      »Dafür ist später noch Zeit genug. Zuerst müssen wir …«

      »Müssen wir was?«

      »Hier scheint niemand außer uns zu sein.« Isabella blickte ängstlich durch die Fenster in die Abteile.

      »Natürlich nicht. Das hier ist die erste Klasse. Wir sind in ländlichem Gebiet. Die Einheimischen werden alle die Dritte nehmen. Der Waggon hier wird sich erst füllen, wenn wir eine vernünftige Stadt erreichen.«

      »Oh. Ich bin noch nie mit einem Zug gefahren.«

      »Warum hast du gezögert?«, wollte Nicholas wissen. »Man hätte uns töten können.«

      »Ich wollte nicht einsteigen.«

      »Um Himmels willen, warum nicht? Aber jetzt musst du keine Angst mehr haben. Mit jeder Sekunde wirst du weiter von der Stadt weggebracht.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe erkannt, dass wir keine Wahl hatten.« Mehr wollte sie zu diesem Thema nicht sagen.

      »Du bist böse auf mich«, bemerkte Nicholas, nachdem die Stille zwischen ihnen zu lang geworden war. »Ich habe gekämpft, um mich zu verteidigen. Es ging um mich oder ihn.«

      »Mein armer Josef.«

      »Komm schon, ich bin mir sicher, er hat schon Schlimmeres erlebt. Außerdem kann man jetzt nichts mehr daran ändern. Lass uns lieber herausfinden, wo wir hinfahren.« Er nahm wieder ihre Hand und ging weiter den Gang entlang.

      Sie hielt ihn an, um auf eine gerahmte Karte an der Wand zu zeigen. »Schau, auf der Strecke gibt es vier Stationen nach Chelmsk: Snerinska – Schlopelo – Blankenberg – Zoribskia.«

      »Du solltest diese Städte kennen.«

      »Nein, ich habe meine Heimatstadt noch nie verlassen. An meinem dreizehnten Geburtstag wollten wir an die Küste fahren, aber wir wurden davon abgehalten, die Reise zu machen. Es war der Tag, an dem der Englischlehrer erschossen wurde.«

      »Was hatte er verbrochen?«

      »Er wollte mit einem der Mädchen aus der Stadt durchbrennen.«

      Nicholas schaute mit zugekniffenen Augen auf die Karte und versuchte der blauen Zugstrecke bis zu ihrem Ende zu folgen. »Was ist unsere Endstation? Was kommt nach Zoribskia?«

      Isabella fuhr die Linie mit dem Finger nach. »Der Name ist nicht zu erkennen. Jemand hat Tinte darauf geschüttet. Es muss jemanden an Bord des Zuges geben, der es uns sagen kann.«

      Sie gingen den schaukelnden Gang bis zu seinem Ende, öffneten die Tür und traten hinüber in den Waggon der zweiten Klasse. Dort fanden sie eine weitere Karte, auf der die Strecke eingezeichnet war, aber wieder ohne die Endstation. Der Name in der linken unteren Ecke war ausgekratzt worden, sogar noch entschiedener als auf der anderen Karte.

      Vor ihnen konnte Nicholas eine dunkle Gestalt sehen, die vom Schwanken des Zuges unbeeindruckt war. Er näherte sich dem reglosen Mann, einem großen, dunkeläugigen Kerl mit hervorstechendem Kinn, der in eine blaue Zugführer-Uniform mit doppelten Reihen von Messingknöpfen und schwarzen Seidenpaspeln gekleidet war und eine runde, flache Mütze trug. Er stand in seiner Nische, wo er umgeben von Erinnerungsstücken an frühere Reisen wie eine Statue in einem Schrank darauf wartete, dass man ihn aufforderte, etwas zu tun. Seine Seemannsbeine neutralisierten die Bewegungen des Waggons und hielten seinen aufrechten Oberkörper still, etwas, das wahrscheinlich mit der Erfahrung kam.

      »Hören Sie, haben Sie hier das Sagen?«, wollte Nicholas wissen.

      Der Mann wandte sich ihm langsam zu und starrte ihn an, als wäre er ein Insekt. Er hielt einen gefährlich aussehenden silbernen Fahrkartenlocher in der rechten Hand. »Ich bin der Zugführer des Ärzengels«, antwortete er in perfektem Englisch. Er war fahl wie Elfenbein. Seine tiefe Stimme klang, als käme sie aus unergründlich fernen Abgründen. Obwohl seine glänzenden schwarzen Augen sehr tief in die Höhlen seines Schädels eingelagert waren, entging ihnen kein noch so kleines Detail.

      »Nun, was ist unser Ziel?«, fragte Nicholas brüsk.

      »Das hängt von Ihnen ab.«

      »Vielleicht haben Sie die Frage nicht verstanden. Wo endet dieser Zug?«

      »Wir müssen an Bord bleiben, bis wir die Grenze passieren«, sagte Isabella. »Ist das möglich?«

      »Sie werden schließlich zu einer Grenze kommen, ja.«

      »Dann brauchen wir Fahrkarten bis dorthin.« Nicholas langte in seine Jacke und fing an, ein paar Geldscheine von seinem Bündel abzuzählen.

      Der Zugführer blickte auf die Geldscheine in Nicholas’ Hand, als ob man ihm benutztes Toilettenpapier angeboten hätte. »Ich kann Ihr Geld nicht annehmen.«

      »Wenn es nicht die richtige Währung ist …«

      »Es hat nichts mit der Währung zu tun.«

      Vielleicht wollte die Eisenbahngesellschaft Unehrlichkeit nicht fördern. »Wie kann ich sonst bezahlen?«, erkundigte sich Nicholas.

      »Diejenigen ohne Fahrkarte müssen andere Wege finden.«

      Es gab Orte in Osteuropa, wo Dokumente von einer Reihe von Angestellten mehrmals abgestempelt werden mussten, bevor man zahlen durfte. »Selbst wenn das eine lokale Sitte ist, ergibt das keinen Sinn«, sagte Nicholas. Ganz offensichtlich neigte

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