Скачать книгу

daß Hoffmann spürte, er könne sie ruhig annehmen. –

      Eine kurze Weile später saßen sie nebeneinander auf dem leichten, zweisitzigen Jagdwagen, der von kräftigen jungen Pferden gezogen wurde. Der Besitzer lenkte selbst, und im scharfen Trab ging es nach der Richtung von N.

      »Hat sich nichts in den Kleidern Heubners gefunden, Herr Doktor? Vielleicht Papiere, Sie haben doch sicher versucht, seine Identitäten festzustellen.«

      »Ich habe seine Taschen nicht durchstöbert. Die Kleider hängen unberührt im Schrank seines Zimmer.«

      Sie erreichten die ersten Häuser von N. und fuhren die mit Linden besetzte Hauptstraße entlang, wo der Doktor gut bekannt zu sein schien, denn die Leute, die ihnen begegneten, grüßten ihn tief und beinahe ehrfurchtsvoll.

      »Einen der Bauern, die Heubner brachten, kenne ich. Dorthin fahren wir zuerst. Es waren im ganzen drei Männer.«

      Sie bogen in einen kleinen Seitenweg ein und hielten dann vor einem einfachen Häuschen. Die Bäuerin kam herausgelaufen, sie hatte den Wagen durch das Fenster gesehen und begrüßte den Arzt. Glücklicherweise war auch der Bauer zuhause, und die Frau holte ihn diensteifrig heraus.

      »’n Tag, Karsten. Sie haben doch seinerzeit mit noch zweien den Herrn gefunden, der krank bei mir liegt.«

      Der Bauer bejahte.

      »Wer sind die beiden anderen? Und dann müssen Sie uns auch noch möglichst genau die Stelle zeigen, wo Sie ihn gefunden haben.«

      »Das waren der Neipert und der Roßbauer.«

      »Könnten Sie uns zu den beiden jetzt hinführen, Karsten?«

      Der Wagen kehrte um, und der Bauer trottete gemächlich neben den langsam schreitenden Pferden her. Er war wohl an die Schweigsamkeit des Arztes gewöhnt, denn er versuchte kein Wort zu reden. Sie fanden auch die beiden anderen zuhause, und Hoffmann nahm sich jeden einzelnen vor. Er fragte sie, wie sie Heubner gefunden hatten, ob er sprach, wo es war und um wieviel Uhr ungefähr. Sie erinnerten sich alle ziemlich deutlich und gaben, von kleinen Abweichungen abgesehen, übereinstimmende Auskünfte.

      Danach hatten sie drei in der nächsten Stadt Einkäufe besorgt gehabt und kamen, da sie die Nacht über zurückfuhren, um fünf Uhr morgens in die Nähe von N. Dort fanden sie Heubner dicht an der Landstraße bewußtlos liegen. Sie konnten sich alle an die Stelle erinnern, denn es war an einer kleinen Brücke gewesen, die über einen die Landstraße durchschneidenden Bach führte. Sie hielten Heubner für tot, aber auf Anraten Karstens hatten sie den Körper auf den Wagen gepackt und zu Dr. Wohlenberg gefahren, der dann feststellte, daß der Mann nur bewußtlos war und ihn bei sich aufnahm. Weiter hatten sie sich dann nicht um ihn gekümmert.

      Es war schon zu dunkel, als Hoffmann das Verhör der drei Bauern beendete, so daß es unmöglich oder wenigstens zwecklos gewesen wäre, die Örtlichkeit gleich zu besichtigen. Die Bauern erboten sich alle drei, Hoffmann und den Doktor anderen Tags an die betreffende Stelle zu führen.

      Hoffmann war das ganz angenehm, denn er hielt es an und für sich zweckmäßiger, vorher Heubner noch zu vernehmen. So kehrten sie denn nach der Villa zurück.

      * * *

      Gleich nachdem Wohlenberg mit dem Kommissar abgefahren war, schlich Else leise auf Zehenspitzen in das Zimmer des Kranken. Aber trotz ihres unhörbaren Huschens und obwohl sie fast lautlos die Tür öffnete und wieder schloß, um den Patienten nicht zu wecken, hörte er sie doch und schlug die Augen auf.

      »Else!« kam es mit schwacher Stimme von seinem Bett.

      »Ja!«

      Sie kam wie ein Sonnenstrahl in ihrem lichten Kleid mit dem Kranz goldene Haare auf dem zierlichen Kopf, trat zu ihm heran und setzte sich vorsichtig auf den Bettrand. Er sah sie lange an, und seine schmale, durchsichtige Krankenhand legte sich auf die ihre.

      »Du,« sagte er zärtlich und drückte schwach ihre Hand.

      »Fühlst du dich wohl?« fragte sie, und an ihrer Stimme hörte man, daß dieses ›Du‹ ihr etwas Ungewohntes war, etwas, das sie gleichzeitig ängstlich machte und mit Freude erfüllte.

      Er sah ihr lächelnd ins Gesicht, und sie erwiderte seinen Blick »Wenn du bei mir bist, habe ich keine Schmerzen, weil ich nicht an sie denken kann, wenn ich dein Gesicht sehe und deine Hände spüre.«

      »Nun wirst du bald wieder ganz gesund werden, wirst eines Tages aufstehen – an einem wunderschönen, sonnigen Tag. Das muß doch ein wunderschöner Tag sein, an dem du gesund wirst, nicht wahr? Und dann nimmst du in eine Hand den Stock, den von Papa, den großen, dicken, da kann sich eine ganze Familie darauf stützen, Vater, Mutter, elf Kinder und ein Säugling, ja, ja, es ist wahr,« beteuerte sie, »und den anderen Arm nehme ich, ich bin nämlich furchtbar stark, ich werde nur so schnell müde, und dann gehen wir hinaus in den Garten spazieren. Der ist viel größer, wie du von hier sehen kannst und da draußen, siehst du den großen Kirschbaum? Da klettere ich immer hinauf, aber Papa sagt, er müßte immer dabei sein, damit ärztliche Hilfe in der Nähe wäre – – – ja, was lachst du denn eigentlich?«

      Er hatte bei ihrem lustigen Geplauder schmunzeln müssen, und er hörte so gierig auf jedes ihrer Worte, als ob es ihn erquickte und ihn schneller gesund machte.

      »Nichts, nichts, mein Liebes, ich höre nur mein Vögerl zwitschern und freue mich über das, was es mir in’s Ohr singt.«

      Er sah ihr lächelnd ins Gesicht, und sie erwiderte seinen Blick mit ihren großen lieben Augen. Dann beugte sie sich plötzlich über ihn, und er fühlte ihren bebenden Körper ganz nah bei sich; ihre heißen Lippen brannten den Bruchteil eines Augenblicks auf den seinen, dann warf sie den Kopf auf einmal wieder zurück und blickte zum Fenster hinaus.

      »Und dein Vater?« fragte er.

      Sie wandte den Kopf wieder zu ihm. Ja, der Vater! Der Vater, der sie so unermeßlich über alles liebte! Sollte sie den hierlassen, um ›ihm’ zu folgen. Sie konnte ihm keine Antwort geben, sondern starrte ihn nur erschrocken an. »Ja, der Vater!«

      »Es ist schlecht von mir, daß ich dich liebe,« sagte er. Und ich habe böse Ahnungen, so böse Ahnungen – ich weiß gar nicht wie und was. Es rächt sich alles – –«

      »So etwas mußt du gar nicht sagen, so was darfst du nicht einmal denken – das ist Unrecht. Was soll sich denn an uns rächen, wir tun doch gar nichts Böses. So, und nun mußt du wieder ganz ruhig sein, ja?« Sie küßte ihn auf die Stirn und streichelte ihn, »hörst du?«

      Draußen fuhr ein Wagen vor, der Arzt und Hoffmann kamen zurück. Else huschte zum Zimmer hinaus und eilte ihrem Vater entgegen, begrüßte ihn mit einem Kuß.

      »Nun, mein Sonnenschein? Was hast du gemacht? Hast du dich gelangweilt?«

      »Ich langweile mich doch nicht, Papa.«

      »Und wie geht es unserem Patienten?«

      »Ach, dem geht es ganz gut – – Ja, aber warum guckst du mich denn so an Papa – – so – – so traurig – –«

      »Ich? Keine Spur, mein kleines Mädel, das bildest du dir nur ein. Wie steht es denn mit dem Abendessen? Wir bringen einen gesunden Hunger mit.«

      Sie gingen alle drei plaudernd ins Speisezimmer, wo schon der Tisch gedeckt war.

      »Sag mal, Else,« fragte Wohlenberg seine Tochter, »kann der Herr heute noch den Heubner sprechen? Er ist nämlich eigentlich zu ihm gekommen.«

      »Ich weiß nicht, Papa, vielleicht schläft er. Es ist ja schon spät, um diese Zeit pflegt er doch schon müde zu sein,« antwortete sie.

      »Nun, Herr Hoffmann,« sagte der Hausherr, »dann hat es ja auch bis morgen früh Zeit, meinen Sie nicht? Sie sind ja ohnedies auch selbst abgespannt.«

      Er sagte absichtlich nicht ›Herr Kommissar’, um nicht den Argwohn seiner Tochter zu wecken. Sie hatte ja wohl in seinen Augen etwas gelesen, was wohl in ihm drinnen war, was er aber noch sorgfältig zu verbergen gedachte. Doch sie fühlte alles,

Скачать книгу