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zwischen den vielen Möglichkeiten, die sich darboten, zu wählen. Vielleicht waren die zwei Verschwundenen während der Fahrt auf dem Zug gesprungen! Möglicherweise waren sie ganz ruhig bis Berlin gefahren und irgendwo zum Beispiel Bahnhof Friedrichstraße oder Alexanderplatz vor dem Schlesischen Bahnhof ausgestiegen. –

      Hoffmann durchkreiste erregt sein Dienstzimmer.

      In diesen Reflexionen wurde er durch Klopfen an der Tür gestört. Man meldete ihm einen Herrn Erich Stangen, der ihn in Sachen der Dr. Wendlandschen Erbschaftsangelegenheit zu sprechen wünsche. Vielleicht gab es jetzt einen Fingerzeig. Er ließe bitten, sagte er, und im nächsten Augenblick trat ein schlanker, junger Mann ein, der sich als Erich Stangen vorstellte.

      »Ich bitte um Verzeihung,« sagte der Eintretende höflich, »ich wollte mir nur erlauben, nachzufragen, ob Ihre Bemühungen in Sachen des gestohlenen Diamanten, der der Erbschaft meines Onkels Dr. Wendland entstammte, irgend einen Erfolg gezeitigt haben. – Sie werden ja mein Interesse an der Angelegenheit begreifen – –«

      »Ich kann Ihnen leider noch nichts Erfreuliches mitteilen. Sie sind der Erbe des verstorbenen Dr. Wendland, nicht wahr?«

      »Der Erbe nicht, sondern nur einer der Erben. Und gerade dieser gestohlene Stein machte einen großen Teil der Erbschaft aus, und nun kann durch diese fatale Geschichte die Erbschaftsangelegenheit nicht zum Abschluß gebracht werden. Und der andere Erbe, der aus Amsterdam extra hierher gekommen ist, wird wohl jetzt auch unverrichteter Sache abziehen müssen.«

      Plötzlich begann sich das Interesse Hoffmanns zu regen. Vielleicht entwickelte sich da ein Weg, der zum Ziele führte.

      »So, aus Amsterdam? Ist der Herr schon sehr lange hier in dieser Angelegenheit?«

      Die Frage war in der Zerstreutheit Hoffmanns so dumm ausgefallen, daß der andere ihn erstaunt anblickte und seinen Mund zum Lächeln verzog.

      »Nein, erst seit einigen Tagen.«

      »So, so? Ja, natürlich!«

      »Wie ist der Name dieses zweiten Erben. Vielleicht ergibt es sich, daß wir diesen Herrn einmal vorladen.«

      »Ernst Dekker – mit zwei k bitte, er wohnt Kantstraße 26 bei Schmidt.«

      Der Kommissar notierte sich die Adresse und starrte sie noch eine ganze Weile an, nachdem der junge Mann gegangen war. Es war doch eigentlich nichts dabei, daß der zweite Erbe gerade aus Amsterdam kam. Das war ein Zufall, wie er täglich vorkam.

      Dann nahm Kommissar Hoffmann die Mitteilungen aus Amsterdam über Heubner vor. Diese Angaben entwarfen ein ziemlich deutliches Bild vom Charakter und der Lebensweise des verschwundenen jungen Mannes.

      Heubner stammte von recht gebildeten und wohlhabenden Eltern, die sich eines außerordentlich guten Rufes erfreuten und beide noch lebten. Heubner war dreißig Jahre alt, hatte bis zum sechzehnten Lebensjahre gute Schulbildung auf einem Gymnasium genossen und war dann, da er keine Lust zum Studieren zeigte, in das Geschäft von Blijdenstein & Co. eingetreten, wo er die vierzehn Jahre seiner Dienstzeit sich nichts zu schulden hatte kommen lassen. Die Firma sandte ihn wegen seiner geschäftlichen Tüchtigkeit und Gewandtheit öfter auf Reisen und betraute ihn dabei auch mit schwierigen Missionen, bei denen er nie das ihm entgegengebrachte Vertrauen enttäuscht hatte.

      Sein einziger Fehler war, daß er ein wenig zum Leichtsinn neigte, aber doch immer im Rahmen seiner Verhältnisse. Er befand sich so öfter in Geldverlegenheit, so daß sein Vater auch einmal Schulden für ihn bezahlen mußte. Aber im Geschäft war er die Ehrlichkeit selber.

      In letzter Zeit sollte er allerdings verschiedentlich in Geldnot gewesen sein.

      Über seinen Verkehr mit Frauen konnte nichts weiter festgestellt werden, als daß er vor einem Jahre eine Geliebte hatte, eine Tänzerin, die sich für eine Spanierin ausgab und unter dem Namen ›La belle Rositta‹ auftrat, in Wirklichkeit aber ein Mädchen niederer Abkunft war, die im Armenviertel von Amsterdam die unfreundlichen Tage ihrer Jugend verlebt hatte. Sie hieß Anna Snyders. Ihr Alter wurde auf dreiundzwanzig Jahre angegeben. Sie war nicht gerade gut beleumundet, hatte sogar bereits eine Freiheitsstrafe wegen Betrugs hinter sich. Auch sonst dürfte sie wohl manches ›hinter sich‹ haben.

      Ihr Verkehr mit Heubner hatte zirka zwei Monate gewährt, sie wären jedoch später noch, wenn auch seltener, zusammengekommen. Zuletzt war sie bei einem Varietee in Amsterdam engagiert, aber bereits seit zwei Wochen von dort entlassen. Ihr augenblicklicher Aufenthalt war unbekannt. Den einen hatte sie angegeben, sie beteilige sich an einer Tournee nach Amerika, anderen erzählte sie, sie hätte einen schwerreichen Verehrer, der sie nach Paris mitnähme. Einer Kollegin gegenüber hatte sie erwähnt, daß sie vielleicht nach Deutschland ginge.

      Man nehme an, so endete der Bericht, daß sie sich augenblicklich in Deutschland befände, wo sie jedoch zur Zeit vermutlich kein Engagement hätte.

      Es folgte noch eine Personalbeschreibung der Tänzerin, die mit der von Stahl abgegebenen so ziemlich übereinstimmte.

      Hoffmann hatte aufmerksam gelesen. Über Heubner wurde eigentlich nicht Positives berichtet aber eben auch kaum etwas Ungünstiges. Und daß er mit der Tänzerin durchgegangen war, das hatte genau so viel für wie wider sich. Denn selbst wenn diese Rositta sich wirklich in Deutschland befand, so war das durchaus noch kein Beweis dafür, daß sie mit Heubner hierher gekommen war.

      Aber daß man dennoch auch diese Spur verfolgen müsse, darüber war sich Hoffmann klar.

      Als er an diesem Punkt seiner Gedankenreihe angelangt war, wurde er noch einmal gestört. Verärgert blickte er auf, aber sein Unmut legte sich und an seine Stelle trat lebhaftes Interesse. Man meldete ihm den Sohn des Bahnwärters, der an der Strecke Stendal-Spandau kurz vor Spandau den Dienst versah. Ein frischer Bursche mit lachenden Augen trat ein, ein dickes Paket in der Hand.

      »Vater schickt das. Das haben wir gefunden.«

      »Wir? Wer ist ›wir‹?« fragte Hoffmann.

      »Na ich! Wer sonst?«

      Der Kommissar packte das säuberlich verschnürte Paket auf, und über sein Gesicht huschte es wie eine freudige Überraschung.

      »So, so. Das ist ja sehr schön. Hast du – – haben Sie sich auch die Stelle gemerkt, wo Sie das gefunden haben, junger Mann?«

      Der › jungen Mann‹ lächelte selbstbewußt und sagte:

      »Na ob.«

      Hoffmann entschloß sich sofort, den Fundort persönlich aufzusuchen, denn der vorgelegte Gegenstand rief wieder Hoffnungen in ihm hervor. Es war ein vom Regen etwas mitgenommener schwarzer Damenhut mit blauen Straußfedern.

      Von dem Jungen des Bahnwärters geführt, war der Kommissar bald an der Stelle, wo der Hut gefunden worden war. Es lag ihm daran, festzustellen, ob der Hut aus dem Wagenabteil geworfen worden war oder ob die Flüchtigen sich seiner entledigt hatten, nachdem sie aus dem fahrenden Zug gesprungen waren. Aber das ließ sich so leicht nicht entscheiden. Der Fundort war wohl ziemlich weit vom Gleis entfernt, doch konnte ihn auch ein kräftiger Windstoß eventuell dorthin getragen haben. Fußspuren, aus denen sich hätte etwas schließen lassen, waren nicht zu finden, der Regen, der unterdessen niedergegangen war, hatte wohl alles verwischt.

      Der Bahnwärterjunge, der Hoffmann begleitete und mit gespannter Aufmerksamkeit dessen Tun verfolgte, steckte seine Nase in den Busch und zeigte jenen enthusiastischen Eifer, den eine Mark Trinkgeld bei bescheidenen Gemütern zu erzeugen pflegt. Als er einige Sträucher, die an der Böschung wuchsen, absuchte, stimmte er plötzlich ein Freudengeheul an:

      »Herr Kommissar! Herr Kommissar! Schauen Sie bloß – daraus macht sich Mutter noch ’n Sonntagsstaat!«

      Er schwenkte einen Frauenrock, der an den Zweigen gehangen hatte, hoch in die Luft. Als Hoffmann näher kam, wurde auch sein Interesse wach. Und dann erkannte er ihn – ja, das mußte er sein. Der Rock war aus leichtem englischen Herrenstoff und auf Taft gearbeitet. Einige Verzierungen aus blauem Samt waren aufgesteppt. Das konnte nur der von Stahl beschriebene Rock sein. Hoffmann untersucht ihn genauer. Er mußte einer schlanken, nicht

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