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so wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, in mein Zimmer zurückziehen und ein gutes Buch lesen können. Doch weit gefehlt. Stattdessen schien ihn das Vorhaben meines Bruders regelrecht zu beflügeln, mehrmals betonte er, wie gut er es fand, dass ich mal wieder rauskam.

      Nachdem er mit Lukas noch kurz über das Geschäft redete, mich nach der Schule fragte und Mia ihr Abendessen gab, schnappte ich mir die Kleine und machte sie fertig für die Nacht. Ich half ihr in den mit Häschen bedruckten Pyjama und ging dann mit ihr ins Bad, um ihr die Zähne zu putzen.

      Erst weigerte sie sich natürlich vehement, das Zähneputzen war ja so verdammt langweilig! Nach einem kurzen hin und her gab sie jedoch nach und so brachte ich sie danach wieder zurück in ihr Zimmer. Sie krabbelte auf ihr kleines Bettchen und klemmte sich ihren Plüschhasen unter den Arm. Ich musste schmunzeln, es gab drei Dinge, deren Mia sich verschrieben hatte; ihrem Plüschhasen, Pizza und der Farbe Pink.

      »Also dann, kleine Motte. Schlaf gut und hab süße Träume«, ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und zog die Decke über ihren kleinen zerbrechlichen Körper. Gerade als ich im Begriff war, das Licht auszuschalten und die Tür zu schließen, setzte sie sich wieder auf.

      »Drea?«, sprach sie mit leiser Stimme und blickte mich aus ihren kugelrunden Rehaugen an.

      »Ja, Motte?« Ich blieb im Türrahmen stehen.

      »Ist Mommy wirklich nicht mehr da?«, fragte sie mit einer so traurigen Kinderstimme, dass es mir sofort das Herz brach. Der Schmerz meldete sich wieder und ich spürte den Kloß in meinem Hals. Hier saß sie nun, meine süße Schwester von vier Jahren, klein und einsam und fragte nach ihrer Mutter. Ich ging zurück an ihr Bett und setzte mich, um nach ihrer kleinen, kindlichen Hand zu greifen, die nicht einmal halb so groß war, wie meine eigene.

      »Weißt du Mia, Mom wird immer da sein. Sie sitzt oben auf den Wolken und sieht auf unsere Familie hinab. Auf dich, Lukas, Dad und mich. Sie beschützt uns von jetzt an.«

      »Aber kann sie uns nicht auch von hier unten aus beschützen?«, wollte sie wissen und ich spürte die Sehnsucht in ihrer Stimme. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten und unweigerlich liefen sie mir über die Wangen, doch ich versuchte stark zu bleiben.

      Für Mia.

      »Nein, das geht leider nicht, Süße«, erwiderte ich und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Es fühlte sich an, als hätte ich einen dicken Wattebausch verschluckt.

      »Ich vermisse sie echt doll«, flüsterte Mia und ihre Augen wirkten unendlich traurig.

      »Ich auch, Mia. Ich auch ...«, meine Stimme klang erstickt und schnell strich ich Mia über ihr seidiges Haar. Ich drückte sie an mich, damit sie meine aufsteigenden Tränen nicht sehen konnte. Nachdem ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte, gab ich ihr noch einen Kuss auf die Wange und ließ sie alleine in ihrem Bett zurück. Sobald ich ihr Zimmer verlassen hatte, liefen die Tränen unaufhaltsam meine Wangen herunter. Ich stürmte in mein Zimmer, ließ mich aufs Bett sinken und weinte mich in den Schlaf.

      Wieso hast du uns alleine gelassen Mom? Wieso nur?

      ∞

      Als ich am nächsten Morgen in den Spiegel sah, bereute ich sofort, dass ich meinen Gefühlen gestern Abend freien Lauf gelassen hatte. Meine Augen waren derart angeschwollen, dass ich sie kaum öffnen konnte. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung die Schwellung würde etwas zurückgehen. Doch keine Chance. Irgendwann gab ich es auf und zog mich nach einer heißen Dusche an. Ich schnappte mir meine Schultasche und schleppte mich nach unten in die Küche, wo Dad mir wieder eine Brotbox hingelegt hatte. Ich steckte sie gerade ein, als er mit Mia auf dem Arm in die Küche kam.

      »Guten Morgen, Schatz«, er gab mir einen Kuss auf die Stirn und kümmerte sich um Mias Frühstück. Entweder überging mein Dad einfach die Tatsache, dass ich aussah, als hätte ich die Nacht durchgeweint oder es fiel ihm durch den Trubel mit Mia nicht auf. Wie auch immer, ich war dankbar dafür, dass er mich nicht darauf ansprach. Mir graute es bereits vor meinen Mitschülern, denen es mit Sicherheit nicht entgehen würde.

      »Könntest du heute Mittag nach der Schule vielleicht etwas einkaufen gehen?«, fragte Dad und zückte seinen Geldbeutel.

      »Ja, natürlich«, erwiderte ich und nahm das Geld entgegen. Kurz darauf machte ich mich auf den Weg in die Schule. Bereits in der Aula erwarteten mich Poppy und Timmy. Ein breites Grinsen lag auf den Gesichtern der beiden, doch als sie mich näherkommen sahen, schwand ihr Lächeln. Sehr wahrscheinlich hatten sie meine verweinten Augen bemerkt. Ich blieb vor ihnen stehen und niemand sagte etwas. Ein unangenehmes Schweigen herrschte zwischen uns. Irgendwann durchbrach Poppy die Stille und räusperte sich.

      »Also, ich habe Timmy gerade davon berichtet, dass er etwas verpasst hat. Unser neuer Englischlehrer ist 'ne totale Granate oder was meinst du, Drea?«

      So war Poppy. Sie bemerkte, dass ich nicht über meine Gefühle reden wollte und warf mir einen Rettungsanker zu. Wenngleich es auch etwas verdächtig war, dass dieser ausgerechnet unser neuer Englischlehrer sein musste. Timmy dagegen schien kurz mit sich zu ringen. Nachdem Poppy ihn jedoch mit dem Ellbogen in die Seite stieß, überlegte er es sich anders und spielte ihr Spiel mit.

      »Euer Englischlehrer interessiert mich recht wenig«, schnaubte er und schulterte seine Tasche.

      »Ach? Du bist also nicht schwul?«, Poppy grinste ihn breit an.

      »Nur weil der Großteil meiner Freunde weiblich ist, heißt das noch lange nicht, dass ich vom anderen Ufer komme«, er hob eine Braue und warf Poppy einen bösen Blick zu. Sie dagegen kicherte und wir machten uns auf den Weg zum Unterricht. Zum Englischunterricht.

      Vor dem Saal blieben wir stehen und ich widerstand dem Drang, zu Danny zu schauen, der sich ein paar Meter weiter mit seinen Freunden unterhielt. Selbst seine Stimme zu hören, schmerzte in meinem Herzen und ich schloss meine müden Augen, um mich auf etwas anderes zu konzentrieren. In diesem Moment rempelte mich jemand an.

      »Hey, pass doch auf!«, eine bekannte Stimme zickte mich von der Seite her an. Als ich die Augen wieder öffnete, begegnete ich Madison Livelys gehässigem Blick. Sie strich sich ihre rote Lockenmähne über die Schulter und erdolchte mich mit ihren Augen.

      »Pass du lieber auf wo du hingehst. Drea hat einfach nur hier gestanden«, fauchte Poppy und schoss beschützerisch wie ein Pitbull nach vorne.

      »Tja, ich kann auch nichts dafür. Würde die Heulsuse da«, sie deutete mit ihrem perfekt manikürten Zeigefinger auf mich, »mal ihre Augen öffnen, dann hätte sie mich bemerkt. Aber stattdessen trauert sie die ganze Zeit nur ihrem Ex hinterher, der sie einfach nicht mehr will.«

      Madisons Worte trafen mich. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand einen Hieb in die Magengrube verpasst. Unerwarteter Weise, kam Danny auf Madison zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

      »Maddy, es reicht.«

      Fassungslos stand ich da. Die Tatsache, dass Danny bei ihr stand, anstatt mich zu verteidigen, sie sogar berührte, verwirrte mich. Nein es verletzte mich. Mein Herz gefror und splitterte in tausend Teile. Seit wann waren die beiden befreundet?

      »Nein, es ist doch wahr. Sie soll aufhören, sich wie ein armes Hündchen aufzuführen, nur weil du sie abserviert hast und ihre Mutter ins Gras gebissen...«, doch weiter kam sie nicht, da Poppy vorschoss und Madison mit ihrem gesamten Gewicht gegen die Wand stieß.

      »Wag es ja nicht!«, brüllte Poppy und war erneut im Begriff auf Madison loszugehen, aber irgendjemand schien sie zurückzuhalten. Ich konnte es nicht genau erkennen, da die aufsteigenden Tränen mir die Sicht vernebelten. Nichts um mich herum nahm ich mehr wahr. In meinem Kopf begann es zu rauschen und Übelkeit stieg in mir auf.

      Mit aller Mühe unterdrückte ich den aufkommenden Würgereiz und krallte meine Fingernägel in die Handflächen. Dann ging ich einige Schritte rückwärts, bis ich an die Wand hinter mir stieß. Ich musste hier weg. Sofort.

      Das letzte, das ich wahrnahm, bevor ich in die entgegengesetzte Richtung rannte, war die tiefe Stimme von Mr Black, die meinen Namen rief.

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