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hinaus auf den leeren Pausenhof.

      Während ich lief, spürte ich nichts, außer den Wind, der mir die Haare ins Gesicht peitschte und die Tränen auf meinen Wangen trocknete, ehe schon wieder neue über mein Gesicht kullerten.

      Erst als ich die Tribüne unseres Footballfelds erreichte, drosselte ich mein Tempo und steuerte auf eine Bank zu.

      Ich setzte mich und ließ mein Gesicht in die Hände sinken. Hatte Madison womöglich recht? Verhielt ich mich wirklich wie ein armes Hündchen? War es für mich so langsam an der Zeit, meine Trauer zu besiegen? Doch wie sollte ich das schaffen? Ich konnte noch nicht einmal über meine Mom nachdenken, ohne gleich in Tränen auszubrechen. Wieder geisterten Madisons Worte in meinem Kopf herum und krampfhaft versuchte ich, den Schmerz in meinem Innern zu unterdrücken.

      Nun war genau das geschehen, was ich unter allen Umständen zu vermeiden versucht hatte, nämlich ein Zusammenbruch vor aller Augen. Jeder konnte sehen wie sehr ich litt, jeder hatte mitbekommen wie ich in Tränen ausgebrochen war. Mein Leben glich einem einzigen Albtraum.

      Unerwartet vernahm ich Schritte auf der Tribüne neben mir. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich Mr Black erkannte. Wortlos ließ er sich auf dem Platz neben mir nieder und hielt mir ein Taschentuch hin. Verwundert von dieser netten Geste, nahm ich es dankend an.

      Dennoch wagte ich es nicht, hoch zu schauen. Ich wollte nicht, dass mein Lehrer mich in dieser Verfassung sah. Es hatten ohnehin schon genug Leute mitbekommen.

      »Falls Sie jemanden zum Reden brauchen, Drea, habe ich immer ein offenes Ohr für Sie.«

      Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Hatte er etwa gesehen, was sich soeben vor seinem Saal abgespielt hatte? Hatte er meine Demütigung mitangehört? Nun konnte ich doch nicht mehr an mich halten und blickte zu ihm auf. Seine goldenen Haare tanzten im Wind und umspielten seine markanten Gesichtszüge, während sein durchdringender Blick schweigsam auf mir ruhte. Doch anders als bei allen anderen, konnte ich nicht das geringste Mitleid in seinem Gesicht erkennen, lediglich die Aufrichtigkeit seiner Worte. Und zum ersten Mal seit langem sah jemand in mir nicht das arme, traurige Mädchen, das ihre Mutter verloren hatte und von ihrem Freund verlassen wurde.

      »Danke«, brachte ich atemlos über die Lippen, noch immer gefangen von dem intensiven Blau seiner Augen. Sein Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. Für ein paar Minuten saßen wir einfach nur schweigend da, genossen den Wind, der die Laubblätter vom Boden aufwirbelte und durch die Bäume peitschte. Ich wusste nicht warum, aber ich fühlte mich mit einem Mal nicht mehr unwohl in seiner Gegenwart. Ich empfand seine Gesellschaft nun sogar als angenehm, obwohl wir nichts miteinander sprachen.

      »Ich habe Ihnen übrigens etwas mitgebracht, Drea«, durchbrach seine Stimme plötzlich die Stille. Überrascht sah ich zu ihm rüber, als er bereits in das Innere seiner Tasche griff, die noch immer um seine Schulter hing. Er wandte sich mir wieder zu und ich erkannte, dass er ein kleines Buch in den Händen hielt. Er streckte es mir entgegen. Überrascht sah ich zu ihm auf und erneut umspielte dieses leise Lächeln seine Lippen.

      »Vielleicht kann ich ihre Meinung über Happy Ends ja noch ändern«, mit diesen Worten stand er auf und ließ mich alleine auf der Bank zurück. Ich verfolgte ihn mit den Augen, bis er im Schulgebäude verschwand. Erst dann blickte ich auf den Roman in meinen Händen und las den Titel.

      Jane Austen, Verstand und Gefühl.

      Als ich schließlich nach einem langen Einkauf nach Hause kam, machte ich mich wie bereits am Vortag daran, etwas für Dad und Lukas zu kochen. Ich deckte gerade den Tisch, als Dad mit Mia im Türrahmen erschien. Sofort kam Mia auf mich zu gerannt und klammerte sich an meinem Shirt fest.

      »Gibt es etwa Spaghetti?«, fragte sie mit großen Augen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um in die Kochtöpfe spitzeln zu können, wofür sie allerdings definitiv noch zu klein war.

      »Hallo kleine Motte«, begrüßte ich sie und strich ihr eine dunkle Locke aus dem Gesicht. Dann hob ich sie hoch auf meinen Arm, damit sie in die Töpfe lugen konnte. Ihre Augen begannen zu strahlen und fröhlich klatschte sie in die Hände. In diesem Moment wünschte ich mir, auch noch einmal so jung sein zu können wie Mia. Man freute sich über die kleinsten Dinge, war behütet und unwissend über all das Leid und Grauen, das einem mit dem Älterwerden bevorstand.

      Ich begrüßte nun auch meinen Dad und Lukas, während ich begann das Essen zu servieren. Erneut zwang ich mich dazu, ein paar Happen zu essen, was Dad und Lukas freudig zur Kenntnis nahmen.

      Nach dem Essen zogen die beiden sich in Dads Arbeitszimmer zurück, um ein paar Dinge bezüglich der Firma besprechen zu können. Da ich sowieso nicht viel zu ihren wirtschaftlichen Diskussionen beitragen konnte, beseitigte ich währenddessen das Chaos in der Küche und erledigte meine Hausaufgaben.

      Anschließend schnappte ich mir Mia und steckte sie in die Badewanne. Bereits im dampfenden Wasser legte sich ein schläfriger Ausdruck über ihr Gesicht. Kaum hatte ich sie in ihr Bett gebracht, dauerte es keine Minute ehe sie schon im Land der Träume versank.

      In meinem Zimmer warf ich mich zuallererst aufs Bett, wobei mein Blick auf das Buch auf dem Nachttisch fiel. Es war der Jane Austen Roman, den Mr Black mir heute Morgen mit der Absicht gegeben hatte, meine Einstellung Happy Ends gegenüber ändern zu wollen.

      Warum machte er sich überhaupt die Mühe? Schließlich war ich nur eine seiner Schülerinnen. Eine von vielen.

      Nun ja, es war gut möglich, dass er lediglich mein Interesse zur Literatur bemerkt hatte. Sicherlich war er wohl auch positiv überrascht davon, dass sich eine Schülerin tatsächlich und aufrichtig dafür interessierte. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass er einfach an beliebige Schüler seine Bücher verlieh.

      Plötzlich wurde mir bewusst, welche Richtung meine Gedanken einschlugen und ich war schockiert. Machte ich mir tatsächlich Gedanken darüber, was Mr Black von mir dachte? Sofort kamen mir Poppys Worte in den Sinn. Du stehst auf ihn.

      Na gut, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatte seine Gegenwart eine gewisse Wirkung auf mich, was jedoch kein Wunder war. Immerhin schien es den anderen Mädchen in meinem Kurs nicht anders zu ergehen. Mr Black hatte einfach diese Art Präsenz, die alle Blicke auf sich zog, sobald er den Raum betrat. Und offenbar stellte auch ich in diesem Fall keine Ausnahme dar.

      Aber stand ich deswegen gleich auf ihn? Nein, das war absoluter Schwachsinn. Ich fand ihn attraktiv und sympathisch, aber das war es auch schon. Obendrein hatte ich noch immer an dem Ende meiner zweijährigen Beziehung mit Danny zu knabbern.

      Zwölf Wochen hatten gewiss nicht ausgereicht, um den Tod meiner Mutter und das Beziehungsaus zwischen Danny und mir zu verarbeiten.

      Je mehr ich darüber nachdachte zwei geliebte Menschen verloren zu haben, desto intensiver fühlte ich den Schmerz in meinem Herzen wieder. Schnell schluckte ich den Kloß hinunter und verdrängte die Gedanken an die letzten Monate. Stattdessen griff ich nach dem Buch, das auf dem Nachttisch lag und begann zu lesen. Ich flüchtete mich an einen anderen Ort, in einer anderen Zeit.

      ∞

      Der Rest der Woche verlief Gott sei Dank ereignislos. Poppy hatte mir erzählt, dass Mr Black die Auseinandersetzung mit Madison wohl von Anfang an mitbekommen hatte. Sie berichtete mir, dass er Madison anschließend vor dem kompletten Kurs zusammengestaucht und sie zu einer Stunde Nachsitzen verdonnerte hätte.

      Zwar hatte auch Poppy die Schulbank eine Stunde länger drücken dürfen, da sie Madison gegenüber handgreiflich geworden war, doch das war es ihr, wie sie mir mit einem breiten Grinsen mitteilte, wert gewesen.

      Später informierte ich sie noch über Lukas' Vorhaben, am Wochenende auszugehen. Natürlich war sie von der Idee hellauf begeistert. Wobei ich mir nicht so ganz sicher war, ob ihre Freude womöglich mehr daher rührte, dass mein Bruder mit von der Partie sein würde.

      Als die Woche endlich vorüber war und Freitag vor der Tür stand, war Poppy einem Nervenzusammenbruch nahe. Sie wusste schlichtweg nicht, was sie für den Abend

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