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heute in der Schule sehen zu müssen, was sich zwangsläufig nicht vermeiden ließ, wurde mir speiübel und ich bekam feuchte Hände.

      Wie sollte ich mich bloß verhalten? Nach der Trennung hatten wir uns nicht mehr gesehen, geschweige denn miteinander gesprochen. Zwar hatte er am nächsten Tag, als er erfuhr, dass meine Mutter bei einem Unfall verunglückt war, angerufen und mir unzählige SMS geschrieben, allerdings hatte ich alle ignoriert.

      Mir war bewusst, dass ich Danny nicht egal war, schließlich waren wir zwei Jahre lang miteinander gegangen, kannten uns so gut wie kein anderer. Aber er liebte mich nicht mehr. Und diese Erkenntnis schmerzte noch immer, sehr sogar.

      Ich zwang mich dazu, diese trübseligen Gedanken beiseite zu schieben und konzentrierte mich auf Poppy und Timmy, mit denen ich gerade auf dem Weg zu unseren Schließfächern war. Es schien mir eine Ewigkeit her zu sein, als ich mit Poppy, Timmy und Danny die Schulflure entlang gelaufen war. Doch so lange lag es noch gar nicht zurück. Heute waren es genau zwölf Wochen. Mit dem einzigen Unterschied, dass wir nur noch zu dritt waren. Ohne Danny.

      Ich öffnete meine Spindtür und wollte gerade meine Bücher verstauen, als mein Blick auf ein Bild von Danny und mir fiel, das noch immer an der Innenseite klebte. Augenblicklich spürte ich den Schmerz zurückkehren. Ich erstarrte und fühlte ein Stechen in der Brust.

      Poppy, die meine Reaktion bemerkte, riss das Bild herunter und zerknüllte es. Die Wut in ihren Augen war unübersehbar. Sie war ebenfalls aus allen Wolken gefallen, als ich ihr von Dannys Trennung berichtet hatte. Denn auch Poppy war mit ihm befreundet gewesen und hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb er plötzlich keine Gefühle mehr für mich empfand.

      Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu. Im Augenblick aber wünschte ich mir nur noch alleine zu sein. Selbst dies schien Poppy nicht zu entgehen.

      »Timmy und ich gehen schon mal vor. Du weißt ja wo der Saal ist«, sie lächelte mir noch einmal aufmunternd zu und strich mir mitfühlend über den Arm, bevor sie und Timmy sich auf den Weg machten. Erleichtert stieß ich die angehaltene Luft aus und legte meine Bücher in das Fach.

      Ich war wirklich froh, eine so gute Freundin an meiner Seite zu wissen. Dies war mir in den letzten Monaten noch einmal umso deutlicher geworden.

      Gedankenverloren drehte ich mich um und war gerade im Begriff, das Buch für die nächste Unterrichtsstunde in meiner Tasche verschwinden zu lassen, als ich mit jemandem zusammenstieß. Meine Tasche glitt mir aus der Hand, der gesamte Inhalt rutschte heraus und verteilte sich auf dem Fußboden.

      Na klasse. Dieser Tag konnte wohl kaum noch schlimmer werden. Ich murmelte eine kurze Entschuldigung an mein Gegenüber, ohne ihn anzusehen. Dann ging ich in die Hocke, um meine Schulsachen zurück in die Tasche zu stopfen. Als ich nach meiner heiß geliebten Ausgabe von Sturmhöhe griff, traf meine Hand auf eine andere Hand. Eine männliche, mir fremde Hand.

      Überrascht sah ich auf und für einen klitzekleinen Moment stand die Welt still.

      Stahlblaue Augen blickten unter dichten schwarzen Wimpern hervor und hielten meinen Blick für mehrere Sekunden lang gefangen.

      Aus einem mir unerfindlichen Grund setzte mein Herzschlag kurz aus. Ich hielt die Luft an und schluckte schwer. Erst dann bemerkte ich, dass ich den Mann mir gegenüber regelrecht anstarrte. Doch ich war nicht imstande wegzuschauen. Ich nahm markante Gesichtszüge wahr, die perfekter nicht hätten sein können und von goldenen, wirren Haaren umrahmt wurden. Einige Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihm locker auf die Stirn.

      Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass sich unsere Hände noch immer berührten und ich fühlte ein Kribbeln. Verzweifelt versuchte ich meine Gedanken zu sammeln.

      Ich spürte, dass mein Gegenüber sich langsam aufrichtete, was mich aus meiner Trance riss. Ich tat es ihm gleich und erhob mich. Als ich aufsah, bemerkte ich erst, wie hochgewachsen er war, gut einen Kopf größer als ich. Er trug ein weißes Hemd mit Krawatte und einen grauen Pullunder, unter dem sich der regelmäßige Besuch im Fitnessstudio deutlich erkennen ließ.

      Ich gab mir alle Mühe meinen Puls, der aus einem mir unerfindlichen Grund zu rasen begann, zu beruhigen.

      »Emily Brontë?«, seine Stimme war tief, melodisch und rau. Sie jagte mir einen gewaltigen Schauer über den Rücken. Erst jetzt bemerkte ich, dass er meinen Roman in den Händen hielt und diesen betrachtete. Dann hob er seinen Blick und sah mir direkt in die Augen. Mein Herz machte einen Satz.

      »Schullektüre?«, fragte er nochmals und sein rechter Mundwinkel verzog sich zu einem wunderschönen, schiefen Lächeln. Ich räusperte mich, da ich das Gefühl hatte, meine Stimme erst wieder finden zu müssen.

      »Ähm, nein. Ich lese es in meiner Freizeit«, ich richtete meinen Blick auf den Roman, um mich wieder einigermaßen zu sammeln.

      »Mein Lieblingsroman«, merkte ich an, in der Hoffnung, er würde mir das Buch endlich wieder zurückgeben, sodass ich von hier verschwinden konnte.

      Diese Begegnung verwirrte mich zutiefst.

      Im Augenwinkel sah ich, wie er die Brauen hob.

      »Ein solch düsterer Roman weckt Ihre Liebe zur Literatur?«, er wirkte erstaunt.

      »Scheint so«, erwiderte ich und sah wieder in seine stahlblauen Augen.

      »Was ist mit Jane Austen? Stolz und Vorurteil?«, neugierig musterte er mich. Leicht lächelnd blickte ich zu Boden. Natürlich hatte ich Stolz und Vorurteil gelesen - und geliebt. Doch das war, bevor ich all diese schweren Schicksalsschläge hatte erleiden müssen.

      »Ich schätze ich gehöre zu der anderen Sorte.«

      »Sie mögen kein Happy End?«, ein überraschter Ausdruck legte sich über sein Gesicht.

      »Doch«, flüsterte ich. »Ich glaube nur nicht mehr daran.«

      Bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, was ich da sagte, waren die Worte bereits über meinen Lippen. Erschrocken schaute ich auf. Er hatte die Brauen zu einem schmalen Strich zusammengezogen und sah mir tief in die Augen. Für einen kurzen Moment schien etwas in seinem undurchdringlichen Blick aufzuflackern.

      War es Neugierde? Wissen? Möglicherweise sogar Verständnis? Es schien als versuchten seine eisblauen Augen in meine Seele zu schauen, an einen Ort, der in Schutt und Asche lag.

      Bevor ich diesen Ausdruck jedoch deuten konnte, nuschelte ich eine kurze Verabschiedung und machte auf dem Absatz kehrt. Ich stürmte regelrecht davon. Auf halbem Weg zum Unterricht fiel mir auf, dass der Fremde noch immer meine Ausgabe von Sturmhöhe hatte. Ich kehrte jedoch nicht zurück.

      ∞

      In der ersten Stunde hatte ich amerikanische Geschichte. Mein Platz befand sich zwischen Poppy und Timmy und nun saß ich hier inmitten der beiden und war noch immer verwirrt über das vorherige Gespräch mit diesem Mann. Ärger sammelte sich in meinem Bauch, da ich meinem Kummer nachgab und ihn nach außen getragen hatte. Ich hatte einem Fremden für einen kleinen Moment meine Trauer offenbart, ihm einen Einblick in meine Seele gewährt.

      Wer war er überhaupt? Ein neuer Schüler wohl kaum. Sein Kleidungsstil entsprach nicht gerade dem eines Jungen hier auf der High School. Sehr wahrscheinlich war er ein neuer Lehrer.

      Zugegeben, er sah noch relativ jung aus. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Allerdings gab es selbst in diesem Alter bereits Lehrkräfte, was noch peinlicher war in Anbetracht dessen, dass ich ihn zuerst angestarrt hatte, wie eine Ertrinkende, um ihn danach auch noch zum Zeuge meiner schwarzmalerischen Weltanschauung zu machen. Ich konnte nur hoffen, ihn in der Schule so wenig wie möglich sehen zu müssen. Jedoch war er noch im Besitz meines Romans, den ich mir wohl oder übel zurückholen musste.

      Seufzend warf ich einen Blick auf die Uhr. Noch ein paar Minuten und die erste Stunde war überstanden. Poppy sah mich besorgt von der Seite her an und ich spürte die unausgesprochene Frage auf ihrem Gesicht. Ich rang mir ein Lächeln ab, um ihr mitzuteilen, dass alles okay war.

      Endlich klingelte es zur nächsten Stunde und ich begab mich zusammen mit ihr auf den Weg zu

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