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kam. Er schlug den Kragen seiner Jacke nach oben und eilte die Straße hinauf.

      „Ist das nicht Flöter?“, sagte Eva.

      „Ja.“ Julia öffnete die Tür. „Ich werde ihm folgen. Bleib du hier.“

      „Warte mal!“

      Aber Julia war bereits aus dem Wagen gestiegen und hatte sich in Bewegung gesetzt.

      Sie folgte dem Sozialarbeiter bis hin zu einer einsamen Kleingartensiedlung. Dort lief er einen Weg entlang und schien nach einer ganz bestimmten Parzelle zu suchen. Um ein Haar hätte er sie entdeckt, als er plötzlich stehen blieb und sich umdrehte. Julia konnte gerade noch hinter einer hohen Hecke verschwinden.

      Dann schien er endlich gefunden zu haben, wonach er suchte. Er blieb vor einem niedrigen Holztörchen stehen, öffnete es und verschwand im verschneiten Garten.

      Julia beobachtete, wie er einen Schlüssel unter einem Stein hervorholte und kurz darauf eine Hütte betrat. Sie warf einen Blick auf die Gärten links und rechts, die ordentlich in Reih und Glied angelegt waren und hinter einem halbhohen Maschendrahtzaun lagen. Dann bewegte sie sich langsam auf das Gartentor zu, blieb wieder stehen. In der Hütte blieb es dunkel. Flöter machte kein Licht. Warum machte er kein Licht?

      Vorsichtig trat Julia durch das niedrige Tor und ging auf die Hütte zu. Deren Eingang war von einer hohen Fichte bedeckt, einem ungewöhnlich großen Baum, der nicht so recht in eine Gartenkolonie passen wollte, im Sommer allerdings sicher reichlich Schatten spendete.

      Bei der Hütte angekommen, versuchte Julia durch eines der Fenster zu spähen, aber ein Vorhang verhinderte den Einblick. Also schlich sie zur Tür, legte die Hand auf die Klinke und drückte sie langsam, Millimeter für Millimeter, nach unten. Ihr Puls beschleunigte sich. Sanft schob sie die Tür auf und versuchte gleichzeitig, durch den entstehenden Spalt etwas in der dunklen Hütte zu erkennen. Und tatsächlich. Schemenhaft erkannte sie einen Menschen, der auf dem Boden kauerte und von dem sie annahm, dass es Flöter war. Überprüfen konnte sie es nicht, weil in der nächsten Sekunde etwas hinter ihr knirschte.

      Julia wirbelte herum und merkte gerade noch, dass da eine weitere Person war. Dann sauste etwas auf ihren Kopf zu. Traf sie schmerzhaft. Und sie sackte in sich zusammen.

      Der Schmerz war da, noch bevor die Erinnerung zurückkam, und er war heftig.

      Etwas war auf sie zugerast, und zwar so schnell, dass sie keine Möglichkeit mehr gehabt hatte, diesem – was auch immer es gewesen war; angefühlt hatte es sich wie ein Felsblock – auszuweichen.

      Das dröhnende Hämmern in Julias Schädel war unerträglich. Dann spürte sie, wie etwas an ihr ruckelte. Hörte eine Stimme, die ihren Namen sagte. Weit weg. Sehr weit weg.

      Noch einmal ihr Name.

      Und noch einmal.

      Schließlich öffnete Julia die Augen, und eine neue Welle des Schmerzes schoss durch ihr Gehirn. Sie zwang sich, die Augen offen zu halten, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Dann erkannte sie, dass sie auf dem Boden lag, den Kopf in Evas Schoß gebettet.

      „Wo kommst du denn her?“ Vorsichtig richtete Julia sich auf.

      „Ich bin dir gefolgt“, sagte Eva. „Glücklicherweise, möchte ich sagen.“

      „Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst im Wagen bleiben?“

      „Willst du jetzt wirklich mit mir diskutieren?“

      „Nein.“ Julia griff sich an den Kopf. „Jemand hat mir eins übergezogen.“

      „Ich weiß, aber ich konnte die Person nicht erkennen. Ich habe nur einen dunklen Schatten davonlaufen sehen. Gleich darauf ist auch Flöter verschwunden. Konntest du etwas erkennen?“

      „Nein.“ Julia beugte sich nach vorne und stützte den Kopf in die Hände. „Wie lange war ich weg?“

      „Ein paar Minuten.“

      „Prima. Und jetzt sind beide verschwunden.“

      „Wieso war Flöter überhaupt in der Hütte? Was kann er hier gewollt haben?“

      „Ich weiß es nicht.“ Julia hielt sich immer noch den Kopf. „Es ist ja nicht so, als ginge es in meinem Kopf nicht auch so schon drunter und drüber. Muss man dann auch noch draufschlagen?“

      „Kannst du aufstehen?“, fragte Eva.

      „Glaub schon.“ Als Julia wieder auf den Beinen stand, atmete sie tief durch, um neue Energie zu tanken. Es funktionierte nicht hundertprozentig, aber immerhin. „Wird schon“, sagte sie zu sich selbst. „Noch nicht ideal, aber ganz gut.“ An Eva gewandt, sagte sie: „Ich weiß, ich sollte es nicht sagen, weil es dich dazu verleiten könnte, weitere Dummheiten zu begehen, aber ich bin froh, dass du mir nachgegangen bist.“

      Eva zog die Augenbrauen in die Höhe. „Willst du mir mit diesen vielen Worten etwa danken?“

      „Sieht so aus.“

      „Prima. Dann nehme ich dieses Highlight des Tages so hin und werde nicht weiter darauf eingehen, denn wenn ich es tue, provoziere ich, dass du es dir wieder anders überlegst und die Worte zurücknimmst.“ Sie hakte Julia unter. „Kannst du gehen?“

      „Ja.“

      „Sicher?“

      „Ja.“

      „Gut. Dann lass uns verschwinden. Ich fühle mich äußerst unwohl hier, und das nicht nur wegen der Kälte.“

      7. KAPITEL

      Der Professor

      Susanne sah sich um und erblickte ein Mehrfamilienhaus aus Backstein. „Wo sind wir?“

      „In Sicherheit.“ Ihr Entführer stieg aus dem Polo und öffnete die Beifahrertür. Ein eiskalter Wind zog augenblicklich in den Wagen und vertrieb die warme Heizungsluft. „Kommen Sie.“

      „Ich denke nicht daran. Ich weiß ja noch nicht einmal, wo wir sind.“

      „Nicht weit von Hannover entfernt. Genau genommen gerade mal siebzehn Kilometer.“

      „Wirklich? Dafür sind wir aber ziemlich lange gefahren.“

      „Es war nötig, einige Schleifen zu fahren, um unsere Verfolger auch wirklich abzuschütteln. Und jetzt kommen Sie. Oder trauen Sie mir etwa immer noch nicht?“

      „Machen Sie Witze? Sie haben mich gerade entführt und dann gefühlte Stunden kreuz und quer durch die Gegend gefahren.“

      „Ich habe Sie nicht entführt. Ich habe Sie vor einer Entführung bewahrt. Jetzt kommen Sie schon, steigen Sie aus.“

      „Nein.“

      „Ich bitte Sie.“

      Susanne starrte den Mann mit dem struppigen Vollbart an. „Wer sind Sie überhaupt?“

      „Mein Name ist Karl Dickfeld. Und wie heißen Sie?“

      „Claudia Müller.“

      „In Ordnung, Claudia. Sie werden wohl einsehen, dass ich, hätte ich Sie umbringen wollen, es längst getan hätte. Also kommen Sie. Es ist wirklich niemandem geholfen, wenn wir hier draußen erfrieren.“

      Widerwillig stieg Susanne aus dem Polo. Der eisige Wind schnitt ihr sofort ins Gesicht.

      „Kommen Sie“, sagte der Mann noch einmal, und als sie sich in Bewegung setzte, fügte er hinzu: „Ist alles in Ordnung? Sie hinken und entlasten Ihr rechtes Bein beim Gehen.“

      „Tatsächlich? Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Sind Sie Arzt?“

      „Nein. Journalist.“

      „Wirklich? Darauf wäre ich nicht gekommen. Sie sehen aus wie mein Professor an der Uni.“

      „Das ist nichts Neues, das sagen mir alle. Und vermutlich nennen mich deshalb

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