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der Schnee wieder wie ein harter Besen ins Gesicht, was man als Omen hätte nehmen können, wenn man an Omen geglaubt hätte. Susanne hatte keine Zeit, in sich zu gehen und darüber nachzudenken. Vielleicht hätte sie es besser getan.

      Als sie feststellte, dass sie ihre Fäustlinge im Wagen hatte liegen lassen, hatte der Fahrer bereits Gas gegeben und war davongefahren.

      „Das darf doch nicht wahr sein!“, entfuhr es ihr.

      Und da stand sie dann, wandte sich dem viereckigen Haus zu, und als sie sich endlich mit gesenktem Kopf darauf zubewegte, schien ihr das Donnern des Windes abnormal laut. Vor allem daran würde sie sich später noch gut erinnern.

      Beim Haus angekommen, wollte sie gerade die Hand heben, um zu klingeln, als sie feststellte, dass die Tür offen stand.

      Sofort läuteten in ihr alle Alarmglocken. Ein schreckliches Unbehagen setzte ein, ein ungutes Gefühl, wie ein unterschwelliger Juckreiz. Alles in ihr schrie: Lauf weg! Doch stattdessen sagte sie: „Hallo?“

      Niemand antwortete.

      Susanne legte die Finger gegen die Tür und schob sie etwas weiter auf.

      Fehler Nummer zwei.

      Im Inneren des Hauses war es stockfinster. Und totenstill. Sie machte zwei Schritte nach vorne und begann, ganz automatisch nach dem Lichtschalter zu suchen. Als sie ihn endlich fand, drückte sie darauf.

      Fehler Nummer drei.

      Licht strömte aus einem Kronleuchter in den Eingangsbereich. Sie sagte noch einmal: „Hallo? Frau Stark?“

      Nichts.

      Susanne machte einen weiteren Schritt in das Haus hinein und sah sich um. Auf dem Boden lag ein dunkler Teppich. Neben der Tür stand eine Truhe, die sicher antik war und viel Geld gekostet hatte. Der Spiegel darüber war bestimmt nicht viel billiger gewesen. Er hatte einen schweren Goldrahmen. Die Standuhr auf der gegenüberliegenden Seite tickte schwerfällig vor sich hin.

      „Frau Stark?“ Noch zwei Schritte in das Haus hinein.

      Zur Antwort bekam Susanne nur weitere Stille.

      Rechts von ihr befand sich eine Tür. Sie ging darauf zu und blieb im Türrahmen stehen.

      Mit der Hand wischte Susanne sich über die Augen, aber das Bild, das sie sah, verschwand nicht. Tief in ihrer Kehle blieb die Luft stecken, ehe sie wie eine Blase in ihrem Mund zerplatzte und sie sich selbst sagen hörte: „Guter Gott im Himmel.“

      Später würde sie sich noch sehr genau an jedes Detail des Bildes erinnern, das sich ihren Augen bot. Sie würde sich an die Anwältin erinnern, die in einem Sessel saß wie eine gespenstische Mumie – mit einem Loch in der Brust.

      In Susannes Kopf hämmerte es: Hau ab! Und sie wollte es tun, sie wollte weglaufen, so schnell und so weit wie möglich, doch dann stellte sie fest, dass die Frau noch atmete.

      Offenbar war sie noch am Leben.

      Oh verdammt! Susanne zwang sich zum Nachdenken. Ich bin gerade erst aus Norwegen gekommen. Die Polizei sucht mich. Vor mir sitzt eine Frau mit einem Loch in der Brust, und ich befinde mich am Tatort. Die werden mich sofort verdächtigen. Ich kann mich nicht darum kümmern. Ich muss hier weg. Ich muss … Ich kann nicht einfach abhauen. Ich kann nicht.

      Bereits in der nächsten Sekunde eilte Susanne auf den Sessel zu und blickte auf die Anwältin hinunter. „Frau Stark?“

      Die Antwort war ein schweres Atmen.

      „Frau Stark? Können Sie mich verstehen? Halten Sie durch. Ich rufe einen Krankenwagen. Ich …“

      Die Frau öffnete die Augen, hustete Blut und begann, am ganzen Körper zu zittern. Ihre Schultern hoben sich und fielen wieder herab.

      „Halten Sie durch“, sagte Susanne noch einmal. „Ich rufe einen Krankenwagen.“

      Verschleierte Augen fixierten sie. Dann sagte die Anwältin etwas. So leise, dass es kaum zu verstehen war. Sie sagte: „Die Kassette …“

      Susanne hielt den Blick auf die Frau gerichtet, was sie große Mühe kostete, und fragte: „Wie bitte?“

      Die Anwältin hustete erneut Blut. Tropfen rannen über ihre Lippen. „Du …“, sie brach ab, sammelte ihre letzten Kräfte, „… musst dich … darum … kümmern.“

      Susanne blinzelte. „Worum?“

      „Die … Kassette.“

      „Was für eine Kassette?“

      „Du musst … sie vor … ihnen … finden.“

      „Vor wem?“

      „Sie … werden dich … leiten …“

      „Wer?“ Susanne war kurz davor, die Nerven zu verlieren. „Wovon reden Sie, um Himmels willen?“

      „Die … Engel … werden dich … leiten … Nicht … öffnen.“

      „Was?“

      „Du darfst … die Kassette … nicht … öffnen.“

      „Was soll ich damit, wenn ich sie nicht öffnen darf?“

      „Nicht … öffnen.“ Ein weiteres blutiges Husten. „Die … Karte.“

      „Was für eine Karte?“

      „In meinem … BH.“

      „Was?“

      Die Anwältin schien noch etwas sagen zu wollen, schaffte es jedoch nicht mehr. Die Kräfte verließen sie. Sie schloss die Augen. Und gleich darauf war sie tot.

      Tot.

      Das Wort hämmerte in Susannes Kopf.

      Sie machte einen Schritt zurück. Und noch einen.

      Die Anwältin war tot.

      Mausetot.

      Obwohl sie sie nicht angefasst hatte, bildete Susanne sich ein, dass ihre eigene Kleidung nach Tod roch.

      Einmal mehr schrie es in ihrem Kopf: Lauf weg! Und doch blieb sie nach den zwei Schritten stehen, wo sie war. Ein Augenblick nur, um eine Entscheidung zu treffen. Ein Wimpernschlag, der über alles Weitere entschied.

       In meinem BH.

      Der Wimpernschlag war vorbei. Susanne bewegte sich wieder auf die tote Frau zu. Ihre Beine überwanden die wenigen Meter ganz von selbst, wie es schien.

      Vor dem Sessel blieb sie stehen.

       Bitte nicht! Ich will das nicht tun!

      Und doch begann sie kurz darauf, die Bluse der Frau aufzuknöpfen, was sie mit Ekel und Widerwillen erfüllte. Sie war überhaupt nicht vorbereitet auf das grausige Gefühl der Intimität, von dem ihr schleichend immer schlechter wurde, und da sie zu zittrig und viel zu aufgeregt war, um die Bluse Knopf für Knopf zu öffnen, riss sie sie auf. Die Knöpfe sprangen ab, einer flog Susanne ins Gesicht, die anderen kullerten über den Boden. Ihre Finger waren vom Schweiß ganz feucht, und fast glaubte sie, den Atem der toten Anwältin auf ihrer Stirn zu spüren. Schließlich schob sie die Bluse auseinander, wobei sie sich bemühte, nicht direkt auf die Schusswunde und das viele Blut zu blicken, was jedoch unmöglich war. Das Geschoss hatte die Brust der Frau direkt über dem Herzen durchbohrt.

      Im BH der Toten steckte eine Visitenkarte. Mit Widerwillen zog Susanne sie heraus und stellte fest, dass sich nichts darauf befand außer einem Muster aus eingeprägten Punkten, die sie mit den Fingerspitzen ertasten und auch deutlich sehen konnte, wenn sie die Karte schräg ins Licht hielt. Es sah aus wie Blindenschrift.

      Susanne konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum die Anwältin eine Karte mit Blindenschrift in ihrem BH versteckte. Aber da sie es getan hatte, schien es wichtig zu sein.

      Sie steckte die Karte in ihre Manteltasche und schob die Bluse der Toten wieder notdürftig zusammen.

      Und

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