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überzeugt gewesen.

      „Doch, das wirst du.“ Ihr Vater klang nicht weniger überzeugt. „Und ich sage dir auch, warum: weil niemand gerne ein Verlierer ist. Weil niemand gerne mit Verlierern arbeitet und weil sich niemand gerne mit Verlierern umgibt.“

      „Es mag sein, dass ich in deinen Augen ein Verlierer bin, Vater, aber ich wette, ich bin jeden einzelnen Tag glücklicher als du.“

      Blinzelnd kam Susanne in die Gegenwart zurück. Alles in ihr sträubte sich dagegen, das Hotel zu betreten. Sie wollte sich nicht zu einem Klon ihres Vaters machen, aber sie wusste auch, dass man sie hier am allerwenigsten suchen würde.

      „Hohoho!“

      Sie fuhr herum und sah den Weihnachtsmann, der an ihr vorbeiging. Ein bärtiger Hüne mit einem Jutesack über der Schulter, der verdächtig nach Schnaps roch. Der Hüne, nicht der Sack.

      „Frohe Weihnachten.“

      „Frohe Weihnachten“, gab Susanne zurück.

      „Die schönste Zeit des Jahres.“ Der Weihnachtsmann lächelte unter dem weißen Bart. „Das Fest der Liebe.“

      „Wenn Sie das sagen.“ Sie sah ihm einen kurzen Moment lang hinterher, beobachtete, wie er durch die dichten Schneeflocken davonstapfte. Dann wandte sie sich wieder dem Hotel zu, gab sich einen Ruck, trat durch die verspiegelte Glastür und buchte wenig später am Empfang ein Zimmer.

      Ihr Gepäck brachte sie selbst hinauf. Sie hatte ohnehin nicht vor, lange zu bleiben. Sie hatte heute Abend noch etwas vor.

      Vorher jedoch schrieb sie noch eine kurze SMS an ihren Bruder: Hallo Jörg, bin wieder da. Treffen uns morgen früh. Komm vorbei. Dazu schickte sie ihm die Adresse des Hotels, ehe sie sich noch einmal auf den Weg machte.

      3. KAPITEL

      Ein merkwürdiges Paar

      20:37 Uhr

      Mainz

      Die mächtige Betonburg, vor der Julia und Eva standen, war zwölf oder noch mehr Stockwerke hoch.

      Julia begutachtete die zahlreichen Klingelschilder, die den schmutzigen, abblätternden Beton an der Eingangstür überwucherten. „108“, las sie auf einem davon und drückte auf den Knopf.

      Als daraufhin nichts geschah, drückte sie nacheinander auf alle Knöpfe. Eine Frauenstimme meldete sich und sagte: „Ja?“

      „Polizei“, sagte Julia.

      Einen Moment lang geschah gar nichts, dann ertönte ein lautes Summen, sie drückte die Tür auf, und sie traten ein.

      „Der sieht nicht sehr vertrauenswürdig aus“, bemerkte Eva und deutete auf den Fahrstuhl.

      „Möchtest du bis in den sechsten Stock laufen?“, fragte Julia.

      „Nein.“

      Sie traten hinein und stellten fest, dass die Spiegel aus ihren Fassungen herausgebrochen waren. Die Metallverkleidung der Fahrstuhlkabine war mit leuchtend roter Schrift besprüht. Die Sprache war nicht zu identifizieren. Auf dem Fußboden allerdings stand deutlich zu lesen: Beate bläst dir einen.Wähle 0157 – 8894 … Die Nummer endete an der sich schließenden Tür, die restlichen Ziffern fand man offenbar auf einem anderen Stockwerk.

      „Immerhin“, murmelte Eva. „Fehlerfrei geschrieben.“

      Im sechsten Stock stiegen sie aus und stellten erleichtert fest, dass sich Edi Kerns Wohnung genau gegenüber dem Fahrstuhl befand.

      Sie gingen auf die Tür zu, und obwohl sie nichts anderes erwartet hatte, veränderte ihr Anblick Julias Stimmung. Die Anspannung wich Ernüchterung. War das hier wirklich der richtige Ansatzpunkt? Was hoffte sie hier zu erfahren? Und was immer es war, würde es ihr helfen, Zander näher zu kommen?

      Ihr Blick fiel auf die Klingel.

       Irgendwo müssen wir schließlich anfangen.

      Sie drückte auf den Knopf, und wieder öffnete niemand.

      Sie klingelte noch einmal, nachdrücklicher, aber es schien tatsächlich niemand zu Hause zu sein. Wahrscheinlich hatte Edi Kern längst die Flucht ergriffen. Denkbar war allerdings auch, dass ihm etwas zugestoßen war. Dass die Menschen, vor denen er solche Angst hatte, ihn zum Schweigen gebracht hatten. Die Kraniche.

      „Was machen wir jetzt?“, fragte Eva.

      „Noch nicht aufgeben.“ Julia ging zur Nachbartür und drückte dort auf den Klingelknopf. Die Tür wurde fast sofort geöffnet, und eine junge Frau irgendwo in den Zwanzigern, mit einem eng anliegenden T-Shirt und einer bunten Leggins, schaute sie fragend an. „Ja?“

      „Entschuldigen Sie“, sagte Julia. „Wir sind auf der Suche nach Edi Kern.“

      Die Antwort kam etwas versetzt: „Oh, den habe ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.“

      „Erinnern Sie sich, wann Sie ihn das letzte Mal gesehen haben?“

      „Wer ist das?“, schrie eine Stimme aus dem Inneren der Wohnung.

      „Eine Frau!“, schrie das Mädchen zurück. Dann wieder an Julia gewandt: „Vor zwei Tagen, glaube ich.“

      „Glauben Sie oder wissen Sie?“

      Die junge Frau zögerte. „Ja, ich bin mir sicher. Vor zwei Tagen. Abends, so gegen sechs. Ich kam gerade nach Hause, und er kam aus seiner Wohnung.“

      „Können Sie sich noch daran erinnern, in welcher Verfassung er war?“

      „Na ja, ein bisschen aufgeregt war er, glaube ich. Aber das war er ja meistens.“

      „Wer sucht nach Edi Kern?“, kam es wieder von drinnen. „Ist das die Polizei?“

      „Hör auf zu schreien, Oma! Wir hören dich sehr gut!“

      „Was?“

      „Wir hören dich sehr gut!“

      „Dann sag doch, was die von Edi Kern wollen? Wird er jetzt endlich verhaftet, dieser notorische Kriminelle?“

      „Ich erklär es dir später!“

      „Was?“

      „Ich sagte, später!“

      „Ich will es aber jetzt wissen!“ Eine alte Frau kam an die Tür. Eine Hand auf einen Stock gestützt, sah sie Julia fragend an. „Oder kommen Sie wegen der Miete? Er soll ja ständig damit im Rückstand sein.“

      „Oma!“

      „Arbeitet nix und …“

      „Oma!“ Die junge Frau machte eine knappe Handbewegung in Richtung Julia. „Hören Sie nicht auf sie.“ Dann schob sie die Alte zurück in die Wohnung, vermutlich ins Wohnzimmer, und schloss die Tür. Eine Minute später kam sie mit einem entschuldigenden Lächeln zurück. „Meine Oma meint es nicht so. Edi ist ein netter Kerl. Eine harmlosere Type als ihn kann man sich kaum vorstellen – vorausgesetzt, man behält das Silberbesteck im Auge. Haben Sie nebenan geklingelt?“

      „Ja.“

      „Und es hat niemand aufgemacht?“

      „Nein.“

      „Dann versuchen Sie es noch einmal. Seine Schwester muss da sein.“

      „Er hat eine Schwester?“

      „Ja. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie zu Hause ist.“

      Julia bedankte sich und machte sich erneut auf den Weg zur Nachbartür. Dort legte sie den Finger auf die Klingel, und dieses Mal nahm sie ihn nicht mehr vom Knopf, bis die Tür geöffnet wurde.

      Eine Frau in einem zerschlissenen Bademantel, deren blondiertes Haar strähnig war und aussah, als wäre es seit Tagen nicht mehr gewaschen worden, sah sie missmutig und mit abweisendem Blick an. „Was wollen Sie?“

      „Wir

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