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mich schon lange im Visier haben.“

      „Wie bitte?“ Der Professor blinzelte. „Sie?“

      „Ja. Sie hätten mich schon lange im Visier. Mehr stand in der Mail leider nicht.“

      „Um Himmels willen, was könnten Sie denn getan haben, um in deren Schussfeld zu geraten?“

      „Ich habe keine Ahnung.“ Susanne machte eine kurze Pause. Dann fügte sie hinzu: „Ich habe tausend Fragen, aber nicht eine einzige Antwort.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nur, dass Britta Stark den Auftrag für den fingierten Vergewaltigungsversuch gegeben hat, das habe ich inzwischen herausgefunden. Ich hatte eine Menge Fragen an sie, aber leider war sie tot, bevor sie mir auch nur eine davon beantworten konnte.“

      „Nun ja“, setzte der Professor an. „Britta Stark war ein Kranich.“

      Susanne sah auf. „Jetzt im Nachhinein, wenn ich so darüber nachdenke, ergibt das natürlich Sinn …“ Sie brach ab und starrte einen Moment lang auf den Boden. Die ganze Situation fühlte sich so unwirklich an. Dann hob sie den Blick wieder und richtete ihn erneut auf den Professor. „Was sind das für Leute?“

      „Sie haben wirklich keine Ahnung?“

      „Nein.“

      „Nun, dann werde ich Ihnen auf die Sprünge helfen.“ Der Professor nahm wieder einen großzügigen Schluck aus seinem Flachmann. „Mir sagte der Name Kranich bis vor einer Woche nämlich ebenfalls nichts. Dann aber, als Britta Stark mit ihren Erzählungen fertig war, war ich, gelinde gesagt, geschockt. Wie ich bereits gesagt habe, war sie ein Mitglied der Kraniche und wollte nun aussteigen.“ Noch ein Schluck aus dem Flachmann. „Ich gebe zu, ich habe gezweifelt, war mir nicht sicher, ob ich nicht auf den Arm genommen werde. Ich wusste es nicht. Ich wusste es wirklich nicht. Als wir auseinandergegangen sind, sagte sie, sie würde sich wieder bei mir melden, und das hat sie auch getan. Gestern Abend. Wir haben uns für heute Abend verabredet. Sie sagte, ich solle zu ihr kommen, dann würde sie mir Beweise liefern für alles, was sie mir erzählt hatte.“ Der Professor hob bedauernd die Hände und ließ sie dann zurück in den Schoß fallen. „Es kam nicht mehr dazu. Jetzt ist sie tot.“

      Susanne überlegte, ob sie fragen oder es doch besser lassen sollte. Schließlich entschied sie sich dafür, zu fragen: „Was hat sie Ihnen denn erzählt?“

      „Dass es sich bei den Kranichen um eine Organisation handelt, die schon sehr lange existiert, die in sehr schmutzige Geschäfte verwickelt ist und ein festes Ziel hat.“ Der Professor rutschte in seinem Sessel herum, um es sich ein wenig bequemer zu machen. „Damit Sie das alles verstehen, muss ich etwas weiter ausholen.“ Er legte wieder die Lippen an den Flachmann, trank einen Schluck, dann sprach er weiter: „Die Kraniche haben sich bereits in den frühen Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts formiert. Angeführt von einem Mann namens Elmer Nilson, einem Norweger. Bereits damals verfolgten sie ein Ziel. Sie bereiteten sich auf die neue Zeit vor, auch bekannt unter dem Namen: Tausendjähriges Reich.“

      „Ach du Scheiße“, entfuhr es Susanne.

      „Ja, so kann man es auch nennen“, bemerkte der Professor. „Sie fanden wohl, es sei ihre Aufgabe, dieses Tausendjährige Reich vorzubereiten, und so formierten sie sich, während sich gleichzeitig in Deutschland die ersten Nazis zusammentaten, die denselben bösen Traum hatten, wie Sie wissen.“ Wieder ein Schluck aus dem Flachmann. „Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass sich beide Seiten schon sehr bald zusammentaten. Doch auch nach dem Zweiten Weltkrieg zerfielen die Kraniche nicht, im Gegenteil, sie breiteten sich immer weiter in Deutschland aus, und ihr Einfluss wurde größer und größer. Sie verfügen über einen eigenen Geheimdienst und haben inzwischen überall Spione, die verdammt gut sind, sehr professionell. Äußerst effektiv, sehr verschwiegen und finanziell üppig ausgestattet. Die Leute fürs Grobe, sozusagen, für Schweinereien, die wir uns nicht einmal vorstellen können. Und wollen. Außerdem haben sie eine Menge Leute auf ihrer Gehaltsliste – Polizisten, Politiker, Journalisten, Akademiker … was immer Sie wollen. Diese Leute verstehen etwas von ihrem Handwerk, darauf können Sie sich verlassen. Und so … werden sie schon bald den Krieg führen können, den sie im Sinn haben. Und ihn gewinnen.“

      „Mir gefällt das Wort Krieg nicht“, bemerkte Susanne.

      „Aber genau genommen befinden wir uns schon mittendrin.“ Der Professor wirkte jetzt sichtlich angespannt. „Die Kraniche wollen den Untergang des Rechtsstaates, und sie setzen alles daran, um das auch zu erreichen.“

      „Könnten Sie …“ Susanne schluckte. „Könnten Sie mir etwas davon abgeben?“ Sie deutete auf den Flachmann in der Hand des Professors.

      „Aber natürlich. Verzeihen Sie. Ich bin ein schlechter Gastgeber.“ Er erhob sich.

      „Ich brauche kein neues Glas“, sagte sie schnell. „Schütten Sie es einfach hier rein.“ Sie hielt ihm das Glas hin, in dem sich vor ein paar Minuten noch das Aspirin befunden hatte.

      Der Professor goss es zur Hälfte voll.

      „Danke.“ Susanne trank einen großen Schluck. „Wenn es stimmt, was Sie sagen“, setzte sie an, „dann ist das … angsteinflößend.“

      „Ja, nicht wahr?“ Der Professor setzte sich wieder. „Der Punkt ist: Die Kraniche sind keine Ansammlung von einsamen Irren mit einer seltsamen Idee.“

      „Das finde ich aber schon.“

      „Ganz im Gegenteil. Wir reden von einer einflussreichen gesellschaftlichen Kraft. Sie haben eine Menge Anhänger, die neben allen Unterschieden ein gemeinsames Ziel haben. Und das macht sie so gefährlich.“

      „Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass Deutschland durchzogen ist von Nazis. Dass es ein paar vereinzelte Gruppierungen gibt, ist schlimm genug, aber …“

      „Täuschen Sie sich nicht.“

      Susanne nahm noch einen Schluck aus ihrem Glas. „Sie meinen das, was Sie sagen, ernst, oder?“, fragte sie dann.

      Der Professor hielt ihrem Blick stand. „Ja.“

      Sie schwiegen einen Moment.

      Dann fragte sie: „Haben Sie einen Beweis für irgendetwas von dem, was Sie mir gerade erzählt haben?“

      „Leider nein.“ Der Professor hob entschuldigend die Hände. „Wie gesagt, es kam nur zu dem einen Treffen mit Britta Stark. Bisher habe ich nichts, worauf man einen Finger legen könnte.“

      „Vielleicht, weil alles nur erfunden ist. Weil Sie einem Schwindel aufgesessen sind.“ Susanne richtete sich etwas auf. „Ich meine, wie viel Verlass ist auf die Worte einer Anwältin, die nachweislich Dreck am Stecken hatte? Wie glaubhaft ist ihre Aussage über irgendwelche Kraniche, die das Tausendjährige Reich erschaffen wollen und bereits die halbe Regierung infiltriert haben?“ Sie sah ihn herausfordernd an. „Wie glaubwürdig ist das?“

      „Sie haben absolut recht“, sagte der Professor. „Ich bin selbst nicht sehr leichtgläubig und habe auch schon darüber nachgedacht, ob das nur ein Schwindel ist. Aber die entscheidende Frage ist doch: Was hätte es Britta Stark gebracht, mir einen derartigen Bären aufzubinden?“

      Susanne kniff die Augen zusammen. „Kannten Sie sie vielleicht von irgendwoher? Sind Sie ihr vorher schon einmal begegnet? Hatte sie aus irgendeinem Grund einen Hass auf Sie? Haben Sie vielleicht irgendwann einmal schlecht über sie geschrieben?“

      „Nein, nein, nein und nein.“

      Diesen Worten des Professors folgte ein weiterer langer Augenblick des Schweigens.

      „Und was hat die Anwältin dazu bewogen, die Seiten wechseln zu wollen?“, fragte Susanne dann.

      „Das habe ich sie auch gefragt. Sie hat mich angesehen und gesagt …“

      „Wir alle müssen uns irgendwann für eine Seite entscheiden. Und ich habe mich entschieden.“

      Der Professor stellte das Cognacglas auf den Tisch und schob es ein Stück von sich weg. „Wenn es stimmt,

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