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Zarenblut - Ein Fall für Julia Wagner: Band 4. Tanja Noy
Читать онлайн.Название Zarenblut - Ein Fall für Julia Wagner: Band 4
Год выпуска 0
isbn 9788726643091
Автор произведения Tanja Noy
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Julia Wagner
Издательство Bookwire
Emilie hielt einen Moment inne, trat dann verwundert in den Vorraum und rief: „Frau Stark?“
Keine Antwort.
Noch einmal: „Frau Stark?“
Nichts.
Die Putzfrau ging auf das Wohnzimmer zu, dessen Tür ebenfalls offen stand. Sie machte einen Schritt nach vorne, dann noch einen. Und dann sah sie sie.
Ein Geräusch, das nicht zu identifizieren war, drang aus Emilie Wackernagels Mund und wurde gleich darauf zu einem Schrei.
Sie schrie.
Und schrie.
Sie konnte einfach nicht damit aufhören.
Kriminalhauptkommissarin Charlotte Gärtner hasste es. Sie hasste es wirklich. Seit mittlerweile drei Tagen lag Hannover nun schon unter dieser verdammten weißen Decke, und es wollte und wollte einfach kein Ende nehmen. Mindestens zehn Zentimeter Neuschnee waren in der letzten Nacht noch einmal dazugekommen. Und als ob das allein nicht schon schlimm genug wäre, kam zu alldem auch noch Weihnachten hinzu, dieses völlig überbewertete Fest der Liebe.
Und der Heizkessel spielte auch nicht mehr mit. Charlotte stand in ihrem Keller und begutachtete ein paar Sekunden lang den Brenner und die stillen Rohrleitungen. Dann verlegte sie sich darauf, den Kessel anzufunkeln in der Hoffnung, ein böser Blick könnte der Anlage vielleicht Angst einflößen und sie wieder zum Laufen bringen. Bei Verdächtigen funktionierte das immerhin oft genug.
Der Heizkessel ließ sich jedoch davon nicht beeindrucken.
Laut vor sich hin fluchend stieg Charlotte die Treppe hinauf, überquerte den Flur und wickelte sich im Schlafzimmer noch einen weiteren Schal um und zog sich einen weiteren Pullover über. Dabei fiel ihr Blick in den Spiegel am Wandschrank, der eine wenig attraktive Person zeigte, die von der Natur eher wenig begünstigt war – wie sie selbst meinte. Stämmige Beine, eine korpulente Figur und streichholzkurze blonde Haare, die in alle Himmelrichtungen vom Kopf abstanden.
Charlotte Gärtner setzte nicht auf makellose Eleganz und schon gar nicht auf unnötigen Charme. Und jetzt, mit den zwei Pullovern und der dicken Jacke, in die sie sich noch zusätzlich zwängte, sowieso nicht. Um dem Ganzen – im wahrsten Sinne des Wortes – die Krone aufzusetzen, stülpte sie sich noch eine Strickmütze mit Bommel auf den Kopf. Damit konnte dann wirklich und endgültig jedes Bemühen um Stil als gescheitert angesehen werden. Sie ging zurück in den Flur, hauchte in ihre Hände und wollte gerade nach dem Hörer greifen, um den Monteur anzurufen, als das Telefon klingelte. Sie nahm ab, hörte einen Moment zu und sagte dann: „Ich komme.“
Da die Scheiben ihres BMW Z4, der eigentlich winterfest sein sollte – jedenfalls hatte der Verkäufer das behauptet, allerdings war winterfest ein relativer Begriff, wie sich nun herausstellte –, auf allen Seiten von außen und innen gefroren waren, wie sie beim Einsteigen bemerkte, kratzte Charlotte mit einem primitiven Plastikschaber ein paar Minuten lang ohne großen Erfolg an ihnen herum. Da sich ihre Finger trotz Handschuhen schon bald klamm anfühlten, begnügte sie sich mit mehreren kleinen Gucklöchern.
Während der folgenden Fahrt erfassten immer wieder heftige Böen den Wagen und zerrten zornig an seiner Karosserie. Im Schritttempo fuhr Charlotte durch die Stadt, weil sie kaum etwas sah. Zudem musste sie immer wieder gegensteuern, um nicht auf der schneebedeckten Fahrbahn wie ein Spielzeug in die Leitplanken gedrückt zu werden. So ein Wetter hatte sie noch nie erlebt. Selbst mit einer klaren Frontscheibe hätte die Sichtweite kaum mehr als zwanzig Meter betragen. Wetterverhältnisse, die man sonst nur aus dem Fernsehen kannte. Als befände man sich irgendwo in den Alpen und nicht in Norddeutschland.
Und trotzdem, trotz der langsamen Fahrweise kam Charlotte verhältnismäßig schnell am Tatort an. Sie stieg aus ihrem Wagen und zog sich die Bommelmütze tiefer in die Stirn. Da alles um das Haus herum bereits mit rot-weißem Absperrband versehen war, war ihr keine andere Wahl geblieben, als fünfhundert Meter weiter um die Ecke zu parken und sich nun durch die heftigen Schneewehen über die Straße zu kämpfen.
Schließlich erreichte sie einen Kollegen von der Streife, der sie an der Grenze des abgesperrten Bereiches anhielt und mit reichlich Überheblichkeit in der Stimme sagte: „Wo wollen Sie hin?“ Sein Atem wogte wie Rauch in der eisigen Luft.
„In das Haus“, sagte Charlotte.
„Da dürfen Sie nicht rein. Spurensicherung.“
„Ich bin Kriminalhauptkommissarin Charlotte Gärtner. Ich darf rein.“
„Ihren Dienstausweis, bitte.“
Widerwillig suchte Charlotte in ihrer Jackentasche nach dem Dokument, und als sie es endlich gefunden hatte, wedelte sie dem Kollegen damit vor der Nase herum. „Zufrieden?“
Er warf einen Blick darauf und wurde rot. „Tut mir leid. Ich mache nur meinen Job.“
„Ist mein Kollege Tech schon drin?“
„Nein.“
„Wird er auch seinen Ausweis zeigen müssen?“
„Ja.“
„Dann ist es in Ordnung.“
Charlotte ließ den Beamten stehen und betrat gleich darauf das Haus. Im Flur sah sie sich einen Moment lang um, dann hörte sie das Rascheln von Papierüberschuhen, und im nächsten Moment kam ein Mann von der Spurensicherung zu ihr getappt. „Noble Hütte, hm?“, sagte er.
Sie wollte antworten, wurde aber von einem Windstoß unterbrochen, der ins Haus fegte.
„Würden Sie bitte die Tür zumachen?“, sagte sie zu einem der Beamten an der Tür.
Er nickte und tat es.
„Wo ist das Opfer?“, fragte sie dann in Richtung Spurensicherung.
„Im Wohnzimmer.“
Charlotte nickte und folgte dem ausgestreckten Zeigefinger.
Im Türrahmen blieb sie stehen und überriss im Bruchteil einer Sekunde folgende drei Dinge.
Das Opfer war eine Frau.
Das Opfer saß in einem Sessel.
Das Opfer hatte ein Loch in der Brust.
Es herrschte drangvolle Enge am Tatort. Allein von der Spurensicherung wuselten vier Beamte in weißen Schutzanzügen im Wohnzimmer herum. Zwei stellten Fingerabdrücke sicher, während ein dritter Fotos schoss und der vierte für die Nachwelt alles auf Video bannte.
Während die Kamera aufblitzte, stellte Charlotte fest, dass das Opfer Mitte dreißig bis Anfang vierzig war und eine rote Bluse trug, die offenbar aufgerissen worden war, denn der Oberkörper war weitestgehend nackt. Die Beine waren ausgestreckt, beide Hände hingen links und rechts über die Sessellehnen. Der Mund war halb geöffnet, ebenso die Augenlider. Die Pupillen waren nach oben gerichtet, der Blick gebrochen. Es sah aus, als habe die Tote in den letzten Sekunden ihres Lebens und noch bei Bewusstsein in den Abgrund des bevorstehenden Todes geschaut und verstanden, dass nichts und niemand ihr mehr helfen würde.
„Keine schöne Sache, so kurz vor Weihnachten“, hustete eine Stimme hinter Charlotte.
Sie wandte sich um und stand einem großen, sehr dünnen Mann mit struppigem rotblondem Haar gegenüber. Seine Nase war rot, und ein kleiner Tropfen hing an der äußersten Spitze. Zusammen mit dem hellgelben Anorak, den er trug, erinnerte er auffallend an Tweety, den Vogel.
Charlotte seufzte leise. Michael Tech. Ein ganz besonderer Fall. Nicht nur, dass sie mit ihm arbeiten musste und er ihr fürchterlich auf die Nerven ging, nein, er hatte auch die lästige Angewohnheit, sich, wann immer er nervös war oder nachdachte – oder nachdachte und nervös war –, den Finger ins Ohr zu stecken, um darin zu pulen.
Glücklicherweise tat er das jetzt nicht. „Ich bin erkältet und sollte