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bin ich der einzige Mann in der Geschichte der Menschheit, der seiner Traumfrau einen Heiratsantrag machte, das Jawort erhielt und daraufhin »Warum?« fragte.

      Kate verdiente nämlich eine Menge Geld, hatte einen großen Freundeskreis und war einfach dazu bestimmt, der Superstar ihrer Kanzlei zu werden. Mir gegenüber hatte sie sich niemals auch nur mit einer Silbe über ihre Arbeit beschwert. Im Nachhinein wurde mir bewusst, wie egoistisch ich damals war, von ihr zu verlangen, all das für mich aufzugeben.

      Ihre Erklärung belief sich allerdings auf folgende vier Wörter: »Ich hasse meinen Job!« Sie zog sich daraufhin im reifen Alter von siebenundzwanzig Jahren aus der Rechtsbranche zurück, lebt seither in glücklicher Ehe mit mir und zieht unsere Kinder groß.

      Als ich meine Wohnung betrat, ging ich zuallererst zum Telefon, um sie anzurufen. Aber bei ihr sprang nur die Mailbox an. Doch weil es an der Westküste bereits nach Mitternacht war, machte ich mir keine Sorgen darüber, dass sie sich nicht meldete. Eine Nachricht hinterließ ich allerdings auch nicht; sie würde meine Nummer sehen und mich dann am Morgen zurückrufen.

      Während ich durch die Wohnung ging, bewunderte ich die Ordnung, die Kate hier hielt. Und mir wurde plötzlich bewusst, dass ich nur wenig tun konnte, um die Dinge darin zu schützen. Entweder würde der Sturm unser Quartier zerstören oder eben nicht. Ich stellte allerdings einige der teureren Elektrogeräte sicherheitshalber höher, damit sie im Falle einer Überschwemmung nicht so schnell nass wurden. Anschließend kehrte ich zur Tür zurück und ging hinaus.

       Montag, 28. Mai, 0:00 Uhr – Notfalloperationszentrum (EOC) Kwajalein, Mitternachtsbesprechung

      »Der Tropensturm vom Typ Ele hat nun an Geschwindigkeit gewonnen und befindet sich jetzt ungefähr zweihundertfünfzig Meilen südöstlich von Kwaj«, hob ich an, als ich an die Reihe kam.

      »In Anbetracht dieser Beschleunigung glaube ich mittlerweile, dass uns auf dem Atoll ein Taifun bevorsteht. Uns bleiben noch geschätzt achtzehn Stunden. Obwohl der Sturm schneller als erwartet an Kraft gewinnt, habe ich einen Trog in den höheren Lagen entdeckt, der von Nordwesten herkommt und den Scherwind noch verstärken wird, was eine weitere Geschwindigkeitszunahme verhindern dürfte, außer er braucht länger, um uns zu erreichen. Hier vor Ort könnte der Wind innerhalb der nächsten zwölf Stunden mit bis zu fünfunddreißig Knoten wehen.«

      Alle Einsatzbereiche berichteten nun nacheinander von ihren Fortschritten, und die Vorbereitungen gingen wie erwartet vonstatten. Die Zweifel, welche stete Begleiter eines Meteorologen sind, konnte ich allerdings nicht verdrängen. Wir beziehen oft eine Menge Prügel, doch die meisten Laien sehen dennoch durchaus ein, dass Wettervorhersagen nun einmal eine haarige Angelegenheit sind. Im schlimmsten Fall würde ich mich täuschen, und die Sturmstärke würde weiterhin rasch zunehmen, sodass er zu einem richtigen Killer wurde, der nicht nur unser Paradies zerstören, sondern auch viele Menschen töten würde, die ich kannte. Immerhin lag unser Eiland nur durchschnittlich acht Fuß über dem Meeresspiegel und bot keine geeigneten Unterschlupfmöglichkeiten.

      Als ich mich am Tisch umschaute, dachte ich kurz über die anderen Besprechungsteilnehmer nach. Einige von ihnen waren meine Freunde, doch darüber hinaus hing das Wohlsein aller, von meiner Vorhersage für die nächsten Stunden ab, ob es ihnen bewusst war oder nicht. Eine Frau trommelte mit einem Kugelschreiber auf ihren Notizblock herum, als ob sie wegen alledem genervt sei. Ein Mann schien hingegen durch irgendetwas in seiner Kaffeetasse abgelenkt zu sein. Die meisten anderen hörten allerdings aufmerksam zu, ließen sich aber keinerlei Dringlichkeit anmerken. Ich fragte mich, ob sie den Ernst der Lage tatsächlich richtig einschätzten.

      Ich hatte jede verfügbare Information berücksichtigt und traf somit die bestmögliche Prognose. Außerdem versuchte ich, den anderen eine Ahnung davon zu vermitteln, was im Extremfall passieren könnte. Doch der Grat zwischen Bemühungen, um die eigenen Hände in Unschuld zu waschen, und zu viel Schwarzmalerei war ein äußerst schmaler. Ich hatte mich früher schon geirrt und könnte auch jetzt falschliegen.

      Manchmal hasste ich meinen Beruf, weil er immer mit Unwägbarkeiten einherging. Dass Ingenieure Bedenken bekamen, dass ihre Gleichungen, die sie für Berechnungen im Brückenbau benutzten, nicht korrekt waren, war doch zu bezweifeln. X Tonnen Beton plus y Bewehrungsstäbe halten z Tonnen Verkehr aus, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute …

      So zuversichtlich konnte ich bei meiner Arbeit nie sein. Denn der Knackpunkt dabei war die Chaostheorie. Laut einer Redewendung könnte ein Schmetterling in Afrika mit seinen Flügeln schlagen und damit eine Reihe unvorhergesehener, chaotischer Ereignisse in Gang setzen, die zwei Wochen später einen Taifun in China verursachen. Das ist natürlich sehr zugespitzt ausgedrückt, verdeutlicht aber dennoch gut, worum es bei dem Ganzen geht, denn Wetterverhältnisse hängen nun einmal von unheimlich vielen zusammenspielenden Faktoren ab. Diese reichen von chemischen Reaktionen auf atomarer Ebene – global nur unzureichend messbar, geschweige denn modellhaft darzustellen – bis hin zu Körperkräften aus der Strömungslehre, die über Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Meilen hinweg wirken, weshalb sich ein meteorologischer Ausblick am ehesten mit einer auf Sachkenntnis begründeten Vermutung vergleichen lässt. Obwohl die Prognosen dank immer besserer Methoden zur Vorhersage dessen, was wir nicht anschaulich nachempfinden können – wir nennen das Prametrierung – immer genauer werden, können wir hinsichtlich der unvorstellbaren Komplexität des Systems trotzdem nach wie vor nichts Verbindliches aussagen. Man könnte Meteorologen auch Angsthasen nennen, wenn es um das Vertrauen ins eigene Berufsfeld geht.

      Ich bemerkte nun, dass sich hinten im Raum etwas bewegte. Es sah aus wie eine Kakerlake, die rückwärts, an der Wand hinaufkroch. Neugierig kniff ich die Augen zusammen, um genauer zu erkennen, worum es sich handelte. Die Schabe war offensichtlich tot und wurde von Ameisen zu einem Loch unter der Decke getragen. Ob sie das bevorstehende Unwetter wohl besser einschätzen konnten als ich?

      Die Kakerlake war um ein Vielfaches größer als alle Ameisen zusammen, und dass sie diese senkrecht die Mauer hinaufbefördern konnten, könnte man durchaus bewundern, doch mich faszinierte vor allem ihre Organisiertheit.

      Die kleine Schar bestand größtenteils aus gewöhnlichen Arbeitern, doch ringsherum krochen auch ein paar höherstehende Tiere, die mit ihnen kommunizierten. Als sie die Decke erreichten, brauchten sie ein paar Minuten, um ihre Beute in das Loch bugsieren zu können. Die Anführer umkreisten dabei die Arbeiter hektisch, krabbelten in die Öffnung und wieder hinaus. Der Ablauf war offenbar Schritt für Schritt durchgeplant und wurde nun den Trägern mitgeteilt. Allerdings erkannten diese nicht, dass die Kakerlake zu groß für das Loch war, es sei denn, sie würden sie waagerecht einführen, wozu sie jedoch frei in der Luft hätte schweben müssen, und dies überstieg selbst die Fähigkeiten von Ameisen.

      Ich war derart gebannt von dem Treiben, dass ich keine weiteren Ausführungen mehr mitbekam. Als die Besprechung zu Ende war, stand ich auf und ging hinüber zu der Wand. Wie hatten die Ameisen die Schabe überhaupt nach oben tragen können? Ich verglich sie mit einer Footballmannschaft, die einen Schulbus an der Fassade des Empire State Building hinaufschleppte.

      Schließlich drückte ich das tote Insekt aus Mitleid selber in die Öffnung hinein. Die Ameisen wuselten zunächst ganz hibbelig herum, erstarrten dann aber alle gleichzeitig – als wenn sie der unsichtbaren, aber anscheinend gewogenen Kraft danken wollten, die sie nicht sahen – und verschwanden dann ebenfalls in dem Loch. Ich malte mir aus, dass dieser Tag, an dem sich Gott dazu herabgelassen hatte, ihnen dabei zu helfen, ein großes Festmahl in den Bau zu holen, in die Geschichte des Staates eingehen würde, und noch viele Generationen später würde man sich an winzigen Ameisenlagerfeuern davon erzählen.

       07:00 Uhr – Kwajalein

      Im Laufe der Jahre, die ich nun schon auf dieser Insel lebte, hatte ich mir mehrere Methoden zur Einstufung des Windes ohne Geräte angeeignet: Indem ich auf das Rauschen der Palmen achtete, den Kraftaufwand beim Radfahren auf meinem Weg zum Büro oder auch das Flattern der Flaggen an den Kriegsdenkmälern. Alle meine Sinne sagten mir, dass der Wind über Nacht zugenommen hatte, doch erst als ich an der Süd-Ostseite des Atolls um eine Kurve fuhr und den Windsack dort aufgerichtet sah, fühlte ich mich in meinen Vermutungen bestätigt.

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