Скачать книгу

sackte der Druckpegel haltlos ab – 977, 975, 973 – und allumfassende Stille kehrte ein. Das Anemometer maß jetzt fast Nullgeschwindigkeit, und der Druck blieb weiterhin bei neunhundertsiebzig Millibar. Der Windrichtungszeiger rotierte willkürlich, und in meinen Ohren knackte es, als mein Körper den stark sinkenden Atmosphärendruck auszugleichen versuchte. Ich schaute mich hektisch um. Die anderen rieben sich verwirrt die Ohren.

      Ich sprang auf, weil ich zur Tür laufen wollte, doch LTC Polian hielt mich auf.

      »Was haben Sie vor?«

      »Es ist vorbei!«, rief jemand.

      »Nein, das ist es nicht, wir sitzen jetzt genau im Auge«, erklärte ich ihnen. »Uns steht noch der hintere Teil des Windfeldes bevor.«

      »Die anderen werden bestimmt auch glauben, dass es vorbei ist«, gab jemand zu bedenken.

      LTC Polian stürzte daraufhin zum Funkgerät.

      »An alle: In den Häusern bleiben! Der Sturm ist noch nicht vorbei! Ich wiederhole: IN DEN HÄUSERN BLEIBEN!«

      Der Kommandant, der jetzt neben mir stand, fragte beinahe rhetorisch: »Der Rest des Windfeldes ist aber nicht so stark, oder?« Ich beugte mich zu ihm, um ihn besser hören zu können, da der Druck in meinen Ohren immer weiter zunahm.

      Blaine seinerseits beugte sich mir ebenfalls entgegen, als ich antwortete: »Davon können wir auszugehen. Durch die Vorwärtsbewegung wird die Strömung auf der Nordseite kräftiger und im Süden schwächer. Sir, sind Sie schon einmal im Auge eines Taifuns gewesen?«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Ich auch nicht, deshalb muss ich mir das unbedingt ansehen. Gehen wir doch nach draußen.«

      »Sir, davon möchte ich Ihnen dringend abrat…«

      Aber der Kommandant fiel Polian ins Wort: »Wegtreten, Sam, ich werde schließlich von einem Fachmann begleitet.« Mit diesen Worten zwinkerte er mir zu, dann liefen wir aus dem Raum hinaus und die Treppe hinunter.

      Ich öffnete die Haupttür zum EOC und trat dann mutig hinaus. Es war vollkommen ruhig. Einzig die Notfalllampe über dem Eingang spendete uns Licht. Auf dem Parkplatz würde man stellenweise bis zu den Knöcheln im Wasser stehen, aus dem unzählige Trümmer aufragten. Das Wasser hatte bereits Lachen gebildet und kräuselte sich, wenn Böen darüber hinwegfegten. Wir hörten den Ozean laut brausen, ganz nahe hinter den Wellenbrechern. Als ich hochschaute, war der Himmel nicht mehr bewölkt und das Sternenzelt sichtbar. Blitze zuckten im Dunkeln auf und gaben den Blick auf eines der schönsten Dinge preis, die ich jemals im Leben gesehen hatte.

      »Oh mein Gott, das ist wirklich unglaublich«, raunte der Colonel. »Ist das ein Augenwall?«

      Ich stand mit offenem Mund da und war außerstande, ihm zu antworten.

      Er lachte. »Das fasse ich dann mal als Ja auf.«

      Der Wall war ein glattes, dichtes Wolkengebilde, das bis in die Tropopause aufragte, die Grenzfläche über der höchsten vom Wetter geprägten Atmosphärenschicht – zehn Meilen hoch und vollkommen senkrecht. Er umschloss ein kreisrundes Gebiet mit einem Durchmesser von zwanzig Meilen, und wir sahen ihn in seiner ganzen Pracht: ein flüchtiger, aber zauberhafter Blick auf eine der eindrucksvollsten Naturphänomene überhaupt. Man kam sich wie am Boden eines riesigen, weißen Eimers vor.

      »Sind wir jetzt sicher? Hallo Matt, hören Sie mich noch?«

      »Ja. Ja Sir. Es wird noch ein paar Minuten dauern, bis wir den Rest des Windfeldes abbekommen. Wir sollten jetzt aber trotzdem besser wieder hineingehen, denn dieses Mal wird der Sturm zuerst auf den hinteren Teil des Gebäudes treffen.«

      Ich ging langsam rückwärts, weil mich die Dunkelheit nicht mehr losließ, denn ich hoffte, es würde noch einmal blitzen. Auf einmal, während sich die Masse nach Westen wälzte, wurde ein Teil des Mondes sichtbar, und schwaches fahles Licht fiel in die Mitte des Trichters.

      »Das ist noch atemberaubender, als ich es mir je erträumt habe«, sagte ich. »Wenn das bloß jeder erleben könnte …«

      Der Colonel lachte wieder, jetzt noch lauter. »Die meisten Leute würden sich, glaube ich, davor sträuben wie vor der Pest! Nein, ich denke, nur für Sie ist so etwas wunderschön.«

      So unvermittelt, wie der Sturm nachgelassen hatte, brach er jetzt wieder aus. Der Mond verschwand hinter einer Wand aus Wasser und Finsternis. Regen ging in Sturzbächen auf dem Dach über uns nieder und ergoss sich schließlich überall. Während der Wind über das Gebäude hinweg und an den Seiten vorbei beschleunigte, verflüchtigte sich das Wasser am Boden, und zurück blieben nur noch die Trümmer auf dem Zementboden. Selbst unter dem Dach spürten wir den Zug von hinten, als die Luft aus dem Gebäude gesogen wurde.

      Die Deckenbeleuchtung fiel jetzt aus, und uns wurde plötzlich bewusst, in welcher Gefahr wir eigentlich schwebten. Während wir uns zurück nach oben zur Zentrale tasteten, knackte es erneut in meinen Ohren.

      Nachdem ich mich schnell wieder an meinen Computer gesetzt hatte, fiel mir auf, dass das Barometer wieder rasch anstieg. Als Druck und Windgeschwindigkeit ein paar Minuten später stabil waren, betrugen sie neunhundertachtundachtzig Millibar beziehungsweise siebzig bis fünfundachtzig Meilen die Stunde aus südlicher Richtung, beides deutlich niedrigere Werte im Vergleich zu der Frontmasse des Sturmes.

      Ich seufzte erleichtert auf, wenn auch nur unter Vorbehalt.

      Der Kommandant kam nun zu mir hinüber und schaute auf die Instrumente.

      »Das war’s, oder? Haben wir das Schlimmste jetzt überstanden?«

      »Ja, aber …«

      »Was aber? Gibt es ein Problem?«

      »Ich weiß es nicht. Ich habe ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stört mich an der ganzen Sache.«

      Ich lehnte mich zurück und starrte auf die veralteten Daten, die das Radar anzeigte.

      Colonel Blaine stellte sich in die Mitte des Raumes und fing nun an, seinem Personal Aufgaben zu erteilen.

      »Ich möchte, dass die Sicherheitskräfte nun mit der Überprüfung unserer Posten beginnen und die Schäden sichten, sobald die Windgeschwindigkeit unter fünfzig Meilen pro Stunde fällt. Lassen Sie mich wissen, wie es um die Notunterkünfte steht – und finden Sie heraus, was die Wohnsiedlung wegstecken musste. Mal sehen, ob die Anwohner wieder zurück in ihre Quartiere können, wenn der Wind nachlässt, oder ob sie weiterhin fernbleiben müssen.«

      Ich tippte hastig auf meiner Tastatur herum. Als ich wieder auf den Richtungsmesser schaute, pendelte der Zeiger zwischen hundertneunzig und zweihundert Grad, was Südwind bedeutete, der leicht nach Osten wehte. Folglich drehte er also gerade.

      Dann fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen.

      »Moment!«, rief ich aufgeregt.

      Alle drehten sich sofort zu mir um.

      »Der Wind … Er kommt jetzt verstärkt aus dem Westen.«

      »Und?«, fragte jemand verwirrt.

      »Noch ein paar Grad, dann weht er genau über die Lagune.«

      »Sir!« Das war LTC Polian.

      »Was ist los, Sam?«

      »Ich erhalte gerade Meldungen von Überschwemmungen in der Stadt. Der Nachtwächter der Bibliothek sagt, das Wasser fließe unter der Tür hinein und stehe schon einen Fuß hoch.«

      Alle schauten erneut nervös zu mir.

      »Eine Sturmflut«, flüsterte ich beklommen.

      »Sie haben mir doch versichert, dass es dazu hier nicht kommen könnte!«, empörte sich der Kommandant.

      »Daran habe ich dabei auch nicht gedacht, doch je nachdem, wie der Wind dreht, kommt er durch die Kanäle im Süden und weht dann genau über die Lagune. Da sie deutlich niedriger liegt und ihre Ufer schräg abfallen, könnte es tatsächlich Hochwasser geben. Ich glaube, genau das geschieht gerade.«

Скачать книгу