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ohne seine Sicherheit dabei aufs Spiel zu setzen. Mir fiel ein, dass alle Bewohner des Atolls in den Obergeschossen von Betongebäuden untergebracht waren. Solange diese stehen blieben und das Wasser nicht höher als fünf bis sechs Fuß stieg – was unter den gegebenen Umständen nahezu ausgeschlossen war –, brauchte niemand etwas zu befürchten.

      Im Laufe der nächsten Stunde erfasste die Flut bereits weite Teile der Insel. Ich verfolgte aufmerksam alle Berichte, die wir aus den Unterkünften bekamen. Es standen zwar zwei Fuß Wasser im Erdgeschoss der Bibliothek, doch weder das Gebäude noch irgendjemand darin war gefährdet. Auch aus den anderen Häusern meldete man, dass alles sicher sei.

      Der Wind flaute rasch ab, je weiter sich der Taifun entfernte, und knapp drei Stunden nach dem Zeitpunkt, als das Auge über Kwajalein gewandert war, machten sich die Sicherheits- und Rettungskräfte bereits an die Arbeit. Dem Anschein nach hatte die Insel das Unwetter ungeachtet der Überschwemmungen gut überstanden, doch man kam trotzdem überein, dass die Bevölkerung bis zum Morgen in den Notunterkünften bleiben sollte. Somit durfte ich mich also auf eine lange Nacht im EOC gefasst machen.

      Kapitel 4

       Dienstag, 29. Mai, 05:13 Uhr – Notfalloperationszentrum, (EOC)

      Ich wurde wach, weil Unruhe aufgekommen war und es nach verbranntem Kaffee roch. Nachdem ich den Kopf von meinem Arm gehoben hatte, musste ich mich zunächst einmal orientieren. Mein Gesicht lag auf der Tastatur, und meine Haut klebte daran, als ich den Kopf wegzog. Kaum, dass ich klarsehen konnte, kam Jeff auch schon eilig auf mich zu.

      »Hast du’s schon gehört?«, fragte er aufgeregt.

      »Ich bin vor Stunden hier eingeschlafen und gerade erst aufgewacht.«

      »Wir haben keinen Satellitenempfang mehr. Der Commander ist gerade unterwegs zu einer Besprechung.«

      Das überraschte mich nicht. Bei einer Windstärke von hundert Meilen pro Stunde konnten sich Satellitenschüsseln leicht verstellen oder sogar ganz umfallen. Ich warf einen Blick auf das Radar und die Luftbilder. Unser Datenstrom funktionierte offenbar wieder. Erleichtert darüber, dass der Taifun keine Bedrohung mehr darstellte, schenkte ich mir einen verbrannten Kaffee ein und ging ebenfalls zum Versammlungsraum.

      Als ich mich der Tür näherte, kam Colonel Blaine mit ernster Miene um die Ecke. Er ging mit einem allenthalben angedeuteten Nicken an mir vorbei, betrat den Raum und bellte: »Rühren!«

      Sobald er saß, ordnete er erst einmal seine Gedanken, dann sah er LTC Polian an und bat ihn: »Sam, würden Sie mir bitte die letzten Neuigkeiten mitteilen?«

      Anspannung lag in der Luft; hier schien es anscheinend um mehr zu gehen als um ein paar verstellte Satellitenschüsseln.

      »Um ungefähr null-dreihundert brach unsere Satellitenverbindung zusammen. Wir haben dies zunächst auf den Taifun zurückgeführt, doch die Technikwartung hat die Systeme überprüft, und das Problem geht nicht von unserer Seite aus. Hier steht der Anschluss, doch vom anderen Ende kommt einfach nichts zurück.«

      Der Colonel fügte hinzu: »Wie viele von Ihnen vermutlich schon wissen, bahnt sich zurzeit eine Krise an, und zwar nicht nur in unserem eigenen Land, sondern weltweit. Die Rot-Pest tritt in immer mehr Gegenden auf, ein sehr gefährliches Virus, wie man mir sagte, und im Falle einer Ansteckung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit tödlich. Vor der Störung des Satellitennetzes stand ich mit General Whitehead in Kontakt, der seine Befehle von den Vereinigten Generalstabschefs erhält, und diese haben uns aufgefordert, uns darauf gefasst zu machen, unsere Verteidigungsbereitschaft auf Stufe 3 zu setzen. Dadurch bin ich befugt, eigenmächtig zu handeln, auch ohne Weisung des Pentagons, um mein Personal und die Einrichtungen vor Ort zu schützen, sollte dies unerlässlich werden.

      Wir haben keine Ahnung, was gerade im Kontinentalgebiet der USA vor sich geht, müssen aber mit dem Schlimmsten rechnen. In Anbetracht der Art dieser Krise habe ich angeordnet, jeglichen an diesem Stützpunkt eintreffenden Flug- und Schiffsverkehr bis auf Weiteres abzuweisen. Wenn heute früh die Hilfskräfte vom Festland kommen, dürfen nur Ansässige die Insel verlassen – und diese werden anschließend erst einmal unter Quarantäne gestellt. Solange wir diese Situation nicht im Griff haben, lasse ich niemanden von außerhalb auf diese Basis. Ab Betriebsschluss morgen gilt dies auch für die Einheimischen von Ebeye.«

      Ein entsetztes Raunen ging durch den Raum. Die Arbeiter aus der hiesigen Bevölkerung übernahmen alle wesentlichen Dienstleistungen für den Stützpunkt. Das Liefern von Lebensmitteln, Wartungen und Reparaturen, die Reinigung und Pflege der Außenanlagen – egal was es war, sie erledigten es. Die Amerikaner beschränkten sich auf die technische Arbeit, die Einheimischen verrichteten den Rest.

      »Ich weiß, das wird nicht leicht«, fuhr der Kommandant fort, »es ist aber dringend notwendig. Wir müssen einfach alle mit anpacken, unseren Beitrag leisten und darauf hoffen, dass sich bald alles aufklären wird. Hier arbeiten im Moment schon viele Bürger des Atolls, denen wir anbieten werden, es auch weiterhin zu tun. Als Anreiz dafür erhalten sie von unserem Logistik-Vertragspartner ein Tagesgehalt von vierundzwanzig Stundensätzen, solange sie hierbleiben. Selbstverständlich dürfen sie jederzeit nach Ebeye zurückkehren, doch dann erlauben wir ihnen nicht mehr, wieder zu uns zu kommen, bis die Gefahr auf Stufe vier oder niedriger herabgestuft wird. Noch irgendwelche Fragen?«

      Ich hob meinen Arm, und er erteilte mir das Wort.

      »Sir, Sie sagten, es gelte nur bis auf Weiteres, doch was geschieht im ungünstigsten Fall?«

      »Dazu kann ich jetzt noch überhaupt nichts sagen. Falls dies zu einer waschechten Pandemie ausartet, sollte man auf jeden Fall davon absehen, irgendjemanden hier aufzunehmen, und dies drei Monate lang so fortführen, das wurde mir erklärt. Das bleibt aber vorerst unter uns, verstanden?«

      Ich war am Boden zerstört.

      Schließlich brach Tom Delaney, der Leiter des Logistikunternehmens, das unserer Fassungslosigkeit geschuldete Schweigen. »Unsere Notfallvorräte reichen für ein halbes Jahr, sollte es so lange dauern. Das Wasser stammt aus unseren eigenen Reservoirs, und unsere Treibstoffvorräte reichen sogar noch darüber hinaus. Das bedeutet, wir werden hier draußen recht gut auskommen.«

      »Ja, das schon, aber einige von uns haben auch Angehörige, die sich momentan in den Staaten aufhalten«, rief jemand von hinten im Raum.

      »Ich weiß, es ist gerade Sommer, viele von Ihnen haben Ehepartner und Kinder auf dem Festland, doch im Augenblick darf ich leider nicht zulassen, dass Flugzeuge oder Schiffe hier landen, falls es nicht wirklich zwingend nötig ist. Das wäre einfach zu riskant. Wir könnten schließlich in keiner Weise gewährleisten, dass sie auch keimfrei sind.«

      Nach einer kurzen Pause, um seine Worte sacken zu lassen, fuhr er fort: »Des Weiteren … für den Fall, dass jemand von Ihnen meint, eine der letzten Abreisegelegenheiten von hier nutzen zu können … ich werde auch niemanden von Ihnen mehr von der Insel lassen. Ich muss schließlich einen Militärstützpunkt leiten, und Sie alle spielen dabei tragende Rollen.« Ihm war offensichtlich klar geworden, dass niemand die eigene Familie vom Atoll aus in eine Welt bringen wollte, die zusammenzubrechen drohte, also könnten vor allem diejenigen versuchen, es zu verlassen, die hier am Wichtigsten waren, Personen wie ich zum Beispiel.

      Beschwerden gegen Blaines Entscheidung wurden nun laut, dann hob er eine Hand, um die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Es wurde langsam wieder ruhig im Raum. Er stand bereits kurz vor dem Ende seiner Dienstzeit auf Kwaj und hatte hier im Umgang mit mehrheitlich zivilen Arbeitskräften gelernt, auf unsere Bedürfnisse einzugehen. Ein weniger erfahrener Kommandant, der während seiner bisherigen Laufbahn immer nur streng mit Soldaten ins Gericht gegangen war, hätte bestimmt keine Diskussionen geduldet. Der Colonel kratzte sich beim Überlegen an seinem glattrasierten Kinn. Wieder fiel mir auf, dass seine linke Hand zitterte.

      Plötzlich klopfte es an der Tür, woraufhin er seinem Sicherheitsoffizier einen verärgerten Blick zuwarf. Der stämmige Glatzkopf stand hastig auf und öffnete. An der Tür wurden jetzt ein paar leicht gereizte Worte gewechselt, die ich aber nicht richtig hören konnte, doch

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