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Mitte fünfzig war Dr. Pepper körperlich noch sehr fit und sah keinen Tag älter aus als dreißig. Man konnte ihn auf der Insel allabendlich beim Joggen über den Weg laufen, und er ernährte sich offensichtlich äußerst gesund. Auch aufgrund der Dichte und des Glanzes seiner etwas längeren braunen Haare hätte man ihn niemals für so alt gehalten, ganz zu schweigen von seiner straffen faltenfreien und gebräunten Haut, die keinerlei Verunreinigungen aufwies. Er war in wirklich beneidenswertem Maße schlank, sodass er mit nacktem Oberkörper laufen gehen, Basketball spielen oder beliebigen anderen Tätigkeit im Freien nachgehen konnte, ohne dass jemand Anstoß daran nehmen würde.

      Er hatte die Universität von Kalifornien besucht, der die von mir geschätzte Hochschulsportliga Pacific-10 angehörte, was ihn mir sofort sympathisch gemacht hatte. Nach dem Tod seiner Frau bei einem Verkehrsunfall war er als Leibarzt nach Kwaj gezogen. Davon einmal abgesehen wusste ich bezüglich seines Werdegangs nur noch, dass er vorübergehend mal beim staatlichen Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention gearbeitet hatte. Er und seine dreizehnjährige Tochter waren im selben Flugzeug auf der Insel gelandet wie Kate, die Kinder und ich.

      Ich timte es so, dass wir gleichzeitig am Eingang ankamen, und sprach ihn nach unserer wie üblich herzlichen Begrüßung direkt auf das an, was mich belastete: »Haben Sie schon etwas Neues über die Pest gehört? Wie ist denn der aktuelle Stand, wissen Sie da etwas?«

      »Ich verfüge in meiner Praxis auch nicht über irgendwelche Zaubertelefone nach draußen. Darum weiß ich leider nicht mehr als Sie, Matt.«

      »Aber was haben Sie gehört, bevor das Netz zusammenbrach?«, beharrte ich auf dem Weg die Treppe hinunter. »Vielleicht wird das Ganze ja auch viel zu sehr aufgebauscht.«

      »Das glaube ich nicht«, erwiderte er zu meinem Bedauern. »Für mich ist das die eine große Sache – das, wovor wir Mediziner uns seit jeher fürchten – ein Massenaussterben, das Armageddon.«

      Normalerweise suchte ich ihn immer wegen seiner sachlichen Art auf. Momentan hätte ich nämlich dringend tröstlichere Worte gebrauchen können.

      »Die Angst vor so etwas wie einem Supervirus, das die gesamte Menschheit auslöschen könnte, besteht nicht erst seit gestern«, fuhr er fort. »Ich meine, denken Sie doch mal darüber nach. Sie sind schließlich Wissenschaftler, also muss Ihnen doch klar sein, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis uns die Natur im Rahmen der Evolution etwas vorsetzt, womit wir nicht fertig werden können. Viren verändern sich leider ständig durch genetische Umstrukturierungen, sodass immer neue entstehen, die aber in der Regel nicht gefährlicher sind und schnell wieder aussterben, ohne große Schäden zu verursachen. Und denjenigen, die sich doch gehalten haben, sind wir, dank der Wunder der modernen Chemie bislang immer einen Schritt voraus geblieben. Man ist zu dem Schluss gelangt, dass ein solches Killervirus eines Tages von selbst auf natürliche Weise entstehen würde, doch wir haben nicht im Traum damit gerechnet, dass jemand dies auch noch vorsätzlich beschleunigen würde.«

      »Was meinen Sie damit?«, fragte ich am oberen Treppenabsatz.

      Er hielt eine Hand an die Tür, öffnete sie aber nicht. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Virus künstlich ist. Jemand hat es gezüchtet!«

      Damit platzte eine Bombe, die mich absolut sprachlos machte, doch er antwortete gleich darauf auf meine beabsichtigte Frage, so als habe er sie vorausgeahnt: »Sie haben bestimmt gehört, dass es eine Kombination von zweigänzlich unterschiedlichen Viren zu sein scheint, das eine hämorrhagisch und das andere ein ähnlicher Erreger wie jener der Vogelgrippe. Wir wussten zwar, dass sich Viren miteinander verbinden können, also ist das an sich nichts Ungewöhnliches. Was man allerdings dabei verschweigt, ist die Tatsache, dass die Rot-Pest die schlimmsten Eigenschaften beider Komponenten behalten hat. Dass dies auf natürliche Weise geschah, ist höchst unwahrscheinlich.«

      Ich trat einen Schritt zurück, da jemand von der anderen Seite die Tür öffnete und mich beinahe anstieß. Den Mann interessierte unsere Unterhaltung augenscheinlich nicht, denn er nahm sofort den nächsten Treppenlauf nach unten. Dr. Pepper hielt die Tür fest, bevor sie zufallen konnte, doch wir blieben bis zum Ende unseres Gesprächs weiterhin im Eingang stehen.

      »Welche 'schlimmsten Eigenschaften’ sind das denn?«, bohrte ich ängstlich weiter nach.

      »Die genauen Einzelheiten habe ich leider nicht in Erfahrung bringen können, bevor wir von der Außenwelt abgeschnitten wurden«, antwortete er, »aber gehen wir mal davon aus, bei den Komponenten handele es sich um Ebola und die Vogelgrippe. Schon einer der beiden Erreger würde genügen, um den Wirt zu töten, lange bevor sie sich in zureichendem Maße umstrukturieren könnten, um zu einem wirklichen Supervirus zu mutieren. Mit anderen Worten: Dass ein Wirt so lange überlebt, bis sich die zwei zu einem dritten zusammenschließen, das sich ausbreiten kann, ist praktisch unvorstellbar. Die Rot-Pest ist so tödlich und ansteckend wie Ebola, wird aber – und das ist das Schlimmste – wie die Vogelgrippe einfach durch die Luft übertragen. Darum schließt man ein natürliches Vorkommen aus. Sie muss einfach in einem Labor entwickelt worden sein.«

      »Aber von wem?«, fragte ich beklommen.

      Er zuckte mit den Achseln. »Na ja, Möglichkeiten gibt es da zur Genüge.«

      Er ging durch die Tür und dann eilig durch den Flur.

      »Also, wie lange dauert es denn Ihrer Meinung nach, bis die Sache überstanden ist?«, fuhr ich fort, während ich ihm hinterherlief. Er schlug nun einen langsameren Schritt an, sodass ich zum ihm aufschließen konnte.

      »Die Beulenpest verschwand erst nach Jahren vollständig, und mittlerweile hat sich die Weltbevölkerung exponentiell noch mehr vergrößert. Außerdem besitzen wir jetzt Transportmittel, die uns in weniger als vierundzwanzig Stunden an einen beliebigen Ort auf dem Planeten bringen können. Die Inkubationszeit der Rot-Pest beträgt vielleicht bis zu dreißig Tage. Können Sie sich ausmalen, wie weit sie sich in einem Monat nur durch zufällige Begegnungen verbreitet haben könnte? Stellen Sie sich mal vor, dass jemand es noch dazu gezielt gestreut haben könnte, um den Prozess noch mehr anzukurbeln. Es könnte jetzt ohne Weiteres überall sein, und die Stärke des Immunsystems eines jeden in diesem Augenblick schon auf die Probe stellen … na gut, hier vielleicht nicht unbedingt, denn vorausgesetzt, es ist nicht schon hier, haben wir uns so gut abgeschottet, dass es sich eventuell gänzlich meiden lässt.«

      »Ja, das ist ganz toll«, sagte ich zynisch, als er um eine Ecke bog und sich von mir entfernte.

      Ich fand weder Colonel Blaine noch Jeff in ihren Büros, also beschloss ich, hinunter zum Flugplatz zu fahren und dort auf die Hilfskräfte vom Kontinent zu warten, die uns aufklären sollten. Als ich im Wartesaal eintraf, stellte ich jedoch fest, dass offenbar die halbe Insel die gleiche Idee wie ich gehabt hatte. Vereinzelt unterhielt man sich, doch die meisten saßen einfach nur auf den Bänken und warteten stumm. Abgesehen von der großen Menge schien alles ganz normal zu sein. Die Bodenkontrolle war eifrig mit den Vorbereitungen beschäftigt, indem sie Gepäckwagen verschob, den Generator überprüfte und das Treppenfahrzeug richtig aufstellte. Palmwedel wackelten im kräftigen Passatwind hin und her, und Wellen, die sich am Riff brachen, verbreiteten einen feinen, salzigen Nebel in der Umgebung. Der kleine Junge eines Pärchens, das ich flüchtig kannte, rannte von den Bänken auf die angrenzende Straße zu, doch sein Bruder hielt ihn mitten im Laufen fest.

      Ich schaute auf meine Uhr. Es war jetzt Viertel nach elf … Ankunftszeit. Nachdem ich mich in den Schatten einer einzelnen Palme gestellt hatte, lehnte ich mich zum Warten gegen den Stamm.

      Weil sich eine ganze Weile nichts tat, schaute ich immer wieder auf die Uhr, die schließlich halb und dann Viertel vor zwölf anzeigte. Die Menge wurde immer unruhiger. Um zwölf setzte ich mich schließlich mit dem Rücken an dem Baum nieder. Es war jetzt 12:10 Uhr, als ein junger Mann den Menschen atemlos mitteilte, ein Freund von ihm, der im Kontrolltower arbeitete, habe ihm erzählt, dass der Hilfstrupp noch nicht einmal in Radarreichweite sei, und per Funk könne man ihn auch nicht erreichen. Allmählich löste sich die Menge wieder auf.

      Um halb eins begann ein Mann, laut zu schluchzen. Mittlerweile war nur noch die Hälfte der Wartenden da. Ich lehnte mich wieder zurück und schloss die Augen.

      Die

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